Alois Schöpf
Das geraubte Lebenswerk
Auf den Tiroler Festspielen Erl 2021 liegt der Makel der Niedertracht.
Versuch einer Analyse
2. Teil

Wie am Ende des ersten Teils meiner Analyse angedeutet wurde, ist der tiefe Fall Gustav Kuhns nur zu verstehen, wenn man neben dem Fluten des Zeitgeists, auf den noch näher eingegangen wird, auch die einerseits verdienstvollen und andererseits anzweifelbaren Leistungen des Schriftstellers und Journalisten Markus Wilhelm berücksichtigt. Als zum Puritanismus neigender nationalmarxistischer Fundamentalist beflügelt nichts mehr den Hass dieses  „Ötztaler Bloggers“ als Erfolg, vor allem wenn er von sogenannten Liftkaisern und Hoteliers erarbeitet wurde. Hass aber auch gegen die seit Jahrzehnten in Tirol regierenden politischen Eliten, Hass gegen die ebenso dominierenden medialen Eliten und darüber hinaus Hass wertfrei gegen alles, was mit den kulturellen Gelüsten des begüterten Bürgertums und den damit verbundenen hochkulturellen Lebensfreuden zu tun hat.

Es wäre unfair, zu verschweigen, dass dieser Hass, um es abgemilderter zu formulieren: diese grundsätzliche Skepsis gegen alles Etablierte und gegen all jene Netzwerke, die entstanden sind, weil die daran Beteiligten es sich gerichtet haben, in vielen Fällen sehr wohl auch einen reinigenden Einfluss auf die gesellschaftlichen Verhältnisse entwickeln konnte. Dies gilt besonders für die wahnwitzigen Ideen offenbar vollkommen verblendeter Manager, Gewinne durch Steuertricks zu lukrieren, indem ihre im öffentlichen Eigentum befindlichen Betriebe, ohne dass das Volk oder seine Repräsentanten im Landtag je darüber befragt worden wären, in die USA veräußert wurden, um sie von dort wieder auf die Distanz von Jahrzehnten zurück zu mieten.

Durch die Kritik an den Cross-Boarder-Leasing Geschäften vor allem der TIWAG und durch einige Prozesse, die der Frage gewidmet waren, ob eine solche Kritik geäußert werden dürfe, und die von den Gerichten mehrfach bejaht wurde, stieg Markus Wilhelm zum Nationalhelden für alle jene auf, die sich berechtigt oder unberechtigt in diesem Land für beleidigt und erniedrigt halten und zugleich zu feig sind, ihre Kritik unter Klarnamen zu äußern. Auf diese Art kam Wilhelm nicht nur zu zahlreichen internen Unterlagen, was ihn zur stolzen Behauptung veranlasste, er habe in jedem Dorf seinen Informanten, er konnte auch auf seiner Homepage ein Online-Forum installieren, das im Schutze der Anonymität zunehmend zu einer Müllverwertungsanlage für alle nur denkbaren Unterstellungen, Verdächtigungen, Denunziationen und Beschimpfungen wurde, an denen sich mit voyeuristischer Freude zunehmend mehr Landsleute, darunter naturgemäß auch fast alle Journalisten beteiligten, wodurch Wilhelm endgültig zu einer moralischen Instanz im Lande aufstieg.

Dass er diesen Status nicht mit einem journalistischen Ethos verband, das ihn dazu angehalten hätte, sich einem Minimum an Gerechtigkeit, Fairness und Verhältnismäßigkeit verpflichtet zu fühlen, ist ihm anzulasten, seinem fundamentalistischen Lebenshass zuzuschreiben, und hat zuletzt seiner moralischen Autorität enge Grenzen gesetzt. Infolge dieses fragwürdigen Charakterzuges ruinierte er reihenweise und bedenkenlos den Ruf unbescholtener Bürger, etwa jenen des Militärkapellmeisters Hannes Apfolterer, jenen des ehemaligen Landtagspräsidenten Helmut Mader, jenen des ehemaligen Landesrats Christian Switak und zuletzt eben auch jenen von Gustav Kuhn, wobei alle Genannten, dies kann nicht oft genug betont werden, bei jeweils eingeleiteten Untersuchungen durch die Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht einmal mit einer Anklage konfrontiert, sondern sämtliche Verfahren eingestellt wurden.

Wesentlich in diesem Zusammenhang ist auch die Beobachtung, dass nicht alle, die Wilhelm heftig und massiv kritisierte und in seinem Forum denunzieren ließ, dadurch auch Schaden erlitten. Ob selbiges eintraf, hing nämlich davon ab, ob die gesellschaftliche, ökonomische oder mediale Position des Betreffenden so mächtig, unverzichtbar und unangreifbar war, dass er gleichsam im Rahmen einer kollektiven und verschwiegenen Willensbildung zwischen Mächtigen, Medien und sich an digitalen Bösartigkeiten berauschenden Bürgern nicht zum Abschuss freigegeben werden konnte. Dies wiederum führte bei vielen jener, die durch den Kakao gezogen wurden, ohne dass dies Folgen gehabt hätte, dazu, dass sie meinten, die Aktivitäten Wilhelms und die in seinem Forum auftauchenden und in vielen Fällen gröbsten Unterstellungen und Beleidigungen ignorieren zu können. Prominenter Ausdruck dieser falsch verstandenen Toleranz war etwa der Umstand, dass der Landeshauptmann von Tirol, der ja nicht nur Privatperson ist, sondern auch den Wählerwillen von sehr vielen Menschen repräsentiert, immer wieder als geistig beschränkt dargestellt werden konnte. Die Tatsache, dass auf solche Herabwürdigungen nicht entsprechend reagiert wurde, wie es einem ordentlichen öffentlichen Diskurs entsprechen würde, führte in Folge zu einer immer drastischeren Verwilderung der Debattenkultur, ein Umstand, gegen den zuletzt nur Hans-Peter Haselsteiner und Gustav Kuhn mit einer Flut von Gerichtsverfahren mobil machten. Selbiges führte denn auch rasch zum Ende des Denunziationsforums, was schade ist für ein intellektuell ohnehin auf niedrigstem Niveau argumentierendes Land, was gut ist, weil, zumindest aus meiner Sicht, bei allen Auseinandersetzungen doch ein Mindestmaß an mit Zivilcourage gepaarte Courtoisie einzuhalten ist.

Die selektiv wirksamen Schmutzkübelkampagnen bewiesen jedenfalls, dass die Aktivitäten des Journalisten und Schriftstellers Wilhelm, statt reinigende Wirkung zu entfalten, umstandslos instrumentalisiert wurden, insofern als missliebige Personen, die man ohnehin loswerden wollte, mit Verweis auf ihren ramponierten Ruf leichter ins Abseits gestellt werden konnten. Zugleich lieferte Wilhelm, der heldenhaft von sich behauptet, noch nie einen Cent mit seinem Blog verdient zu haben, den etablierten Medien, denen sowohl die Personalkapazität, aber in vielen Fällen auch die Zivilcourage fehlt, selbst undurchsichtigen und nach Korruption riechenden Geschichten nachzugehen, kostenfrei Schlagzeilen aus den zurückgebliebenen Gebirgstälern Tirols. Dass Wilhelm damit als Gratiszulieferer genau jene ausbeuterischen Strukturen, in diesem Fall in den Medien, die ihm vor dem Hintergrund seines marxistischen Weltbilds ein besonderer Dorn im Auge sind, selbst aktiv und, wie angedeutet, journalistisch fragwürdig unterstützte, scheint ihm entgangen zu sein.

Zu erinnern ist an dieser Stelle noch einmal an die generelle Fragwürdigkeit des Projekts Tiroler Festspiele Erl, durch das das kleine Bundesland Tirol mit einem zweiten und einem ultramodernen dritten Opernhaus gesegnet wurde, aber auch an gewisse zu Kritik Anlass gebende und bereits aufgelistete Verhaltensweisen Kuhns, um nunmehr verstehen zu können, in welchem Ausmaß die inzwischen aus den USA nach Österreich hereinschwappende #Me-too-Bewegung und eine damit einhergehende auch in der Film-, Theater-und Opernbranche steigende Sensibilisierung in Bezug auf Willkür, Ausbeutung und Abhängigkeiten genau zu jener explosiven Mischung führte, aus der sich eine günstige Gelegenheit ergab, sich von jemandem zu verabschieden, der einem längst unheimlich bzw. zu eigenmächtig bzw. zu berühmt geworden war. Zumal eine solche Entthronung des Maestros der Kulturpolitik zugleich die unverhoffte Chance bot, sich, obgleich im Kern unverbesserlich konservativ, katholisch und inkompetent, als gut, edel und auf der Höhe der Zeit zu präsentieren.

So führten die Denunziationen und Gehässigkeiten, wie sie im Blog des Markus Wilhelm aufbereitet wurden, gemäß der längst auch in anderen Fällen in Österreich praktizierten Unsitte noch vor jeder Erkenntnis oder Entscheidung der Gerichte dazu, dass Kuhn mehr oder weniger genötigt wurde (die dafür zur Verfügung stehenden Machtmittel wurden bereits am Anfang meiner Analyse erwähnt), nicht nur seine Position in Erl zu räumen, sondern auch den vom ehemaligen Landeshauptmann Wendelin Weingartner überreichten Tiroler-Adler-Orden als Dank für die Verdienste um das Land Tirol zurückzugeben. Eine Demütigung, die all jene, die sie von Kuhn abverlangten, in dem Moment in ein noch schäbigeres und von miesem Opportunismus gekennzeichnetes Licht tauchte, als sich abzeichnete, dass die gegen Kuhn vorgebrachten Anklagepunkte wegen sexueller Belästigung und Nötigung auch aufgrund von Verjährung nicht einmal zu einer Anklageerhebung reichten.

Letzter Ausweg blieb daher, um sich noch einigermaßen vom Makel zu befreien, etwas zu schnell die Fähnchen in den Wind des Zeitgeists gehängt zu haben, die Anrufung der sogenannten Gleichbehandlungskommission, einer staatlichen Einrichtung, die eigentlich darüber zu wachen hätte, dass niemand aufgrund seines Geschlechts Diskriminierung erfährt, und deren Aufgabe schlicht nicht darin zu bestehen hat, abseits gerichtlicher Verfahren allfällige Gerichte zu ersetzen. Genau dies tat sie jedoch im konkreten Fall pflichtschuldigst, womit all jene Politiker, deren Aufgabe, da auf die österreichische Verfassung vereidigt, eigentlich darin bestünde, die Bürger vor einem ihre Existenz ruinierenden Rufmord zu schützen, von der Sünde exkulpiert wurden, ein Opfer von Denunziationen als Treibmittel missbraucht zu haben, um selbst vor der Bevölkerung als umso heiligmäßiger, sittenstrenger und moderner dazustehen.

Und dies mit der hanebüchenen Begründung, dass, wenn Kuhn schon nicht von den Gerichten belangt werden könne, dann zumindest sein durch die Gleichbehandlungskommission behauptetes unsittliches Verhalten und sein darüber hinaus auch durch andere Unregelmäßigkeiten ruinierter Ruf die Tiroler Festspiele Erl in einer Weise beschädigen könne, dass sein weiterer Verbleib an ihrer Spitze undenkbar sei.

Diese Hypothese gilt es zu überprüfen.

Fortsetzung 3. Teil 16. 07. 2021

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Sepp Guggenberger

    Geschätzter Alois!
    Wiederum “hänge” ich nun stundelang über (in) deinem Blog. Jedes Mal wieder, es bedeutet mir ein Vergnügen. Höchst interessant. Aufschlussreich, informativ und professionell, wie diese Website aufgestellt und von dir bearbeitet wird.
    Mutig schreitest du durch die Zeiten. So auch deine Aufklärungen im miesen Umgang mit Meister Kuhn (seine Abhalfterung ohne eine inhaltliche Entscheidung in der Hauptfrage durch ein unabhängiges Gericht). Ich kann dir nur gratulieren.
    Hab vielen Dank.

  2. Danke, lieber Alois Schöpf, für die klaren Worte. Ich habe versucht, in meinem Blog auf die Ungerechtigkeiten, die Gustav Kuhn widerfahren sind, hinzuweisen und auch in persönlichen Gesprächen das Meine dazu beizutragen, dass Gustav Kuhn rehabilitiert wird. Man stößt hier auf eine Mauer, ich bin leider zu alt, um noch einmal in den Ring zu steigen. Was aus Erl ohne Kuhn geworden ist, ist in der TT vom 12.07.2021 nachzulesen.

    Auszüge aus meinem BLOG https://s.dillersberger.wixsite.com/website, weitere Meinungen zu Gustav Kuhn sind dort nachzulesen.

    „Vor einigen Tagen bin ich vom Urlaub im Ausland zurückgekehrt, dort habe ich gelesen, dass Herr Prof. Dr. Gustav Kuhn rehabilitiert und das Strafverfahren gegen ihn eingestellt ist. Das war für mich keine Überraschung. Dass eine weitere Attacke eines bekannten Bloggers gegen einen Prominenten in Tirol einmal mehr so enden würde, war mir zu jeder Zeit klar, weshalb ich mich schon im Mai 2018 bei Herrn Landeshauptmann Platter für Kuhn eingesetzt habe.
    Es war ein Kesseltreiben, in dem die Unschuldsvermutung, die für jeden Menschen gilt, von Seiten der Verantwortlichen in einem Maße mit Füßen getreten wurde, wie das im Land Tirol bisher wohl einmalig war. Dass dann der nunmehrige Erl-Intendant Bernd Loebe laut TT vom 22.11.2018 „Kuhn spielt hier keine Rolle mehr“, verbunden mit seinem weiteren Statement, dass es „ihm vorbehalten bleibe, nachzudenken, ob er (Anmerkung: gemeint ist Prof .Dr. Gustav Kuhn, der Gründer der Erler Festspiele) vielleicht einmal ein Konzert hier dirigiert“, die Diffamierung des verdienten Gründers der Erler Festspiele fortgesetzt hat, war schlicht und einfach ein Skandal.
    Eine der Säulen unseres Rechtsstaates, die in eine grundlegende Bestimmung unserer Strafprozessordnung und in unsere Verfassung Eingang gefunden hat, ist die Unschuldsvermutung. Und an diese sind wir alle, die wir in unserem Rechtsstaat leben, gebunden, vom Blogger, von Landes- und Bundespolitikerinnen und – politikern und Industriellen bis hin zu Journalistinnen und Journalisten und zu uns – dem einfachen Volk.
    § 8 STPO lautet unter dem Titel „Unschuldsvermutung“:
    Jede Person gilt bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
    Auch in der Verfassung ist dieser Grundsatz in Art 6 Abs 2 EMRK verankert, der wie folgt lautet:
    (2) Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.
    Nun, da sich rechtskräftig herausgestellt hat, dass Herr Prof. Dr. Kuhn unschuldig ist, verweisen gewisse Kreise auf ein Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission. Diese aber trifft keine Entscheidungen, sondern erstellt lediglich Gutachten und kann bei einer Feststellung einer Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes den Arbeitgeber auffordern, die Diskriminierung zu beenden und sonst nichts. Eine solche Aufforderung, die in § 54 des Gleichbehandlungsgesetzes vorgesehen ist, ist in der Sache Kuhn meines Wissens nicht erfolgt. Die Gleichbehandlungskommission ist kein Gericht.
    Jeder einfache Straftäter wird, wenn sich seine Unschuld herausstellt, rehabilitiert, diejenigen, die unter Verletzung der Unschuldsvermutung Kuhn vom Hof gejagt haben, hätten in meinen Augen die Verpflichtung sich bei ihm zu entschuldigen und zumindest den Versuch zu unternehmen, ihn in seine frühere Position wieder einzusetzen – wenn er das überhaupt will.
    Sich wegzuducken und auf ein Gutachten zu verweisen, das keinerlei Rechtsfolgen hat, stellt den politisch Verantwortlichen im Land ein vernichtendes Zeugnis aus. Der Erler Stiftungsvorstand ist aufgefordert mit Prof. Dr. Kuhn das Gespräch zu suchen und ihn zu bitten nach Erl zurückzukehren. Das wäre auch im Sinne des Publikums, das dem Maestro bei seinem letzten Auftritt im Erler Festspielhaus Ovationen bereitet hat.“

  3. Wolfgang

    Na ja, das hat der Gute zum Großteil schon selbst verschuldet in seiner Selbstherrlichkeit. Und den Wilhelm jetzt anzupatzen, da bin ich geteilter Meinung.
    Und alles an den Haaren herbeigezogen ist es auch nicht. Wie diverse Verfahren gezeigt haben.
    Wiedergutmachung….beim möchtegern Karajan, wozu, er hat ja genug Unterstützer gehabt, die Ihn wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen haben.
    Der Dumme ist wieder mal der Steuerzahler, der des Maestros Kalamitäten begleichen darf.

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