Print Friendly, PDF & Email

Alois Schöpf
Das auserwählte Volk im Herz der Alpen
Die Marke „Tirol“ schafft mehr Probleme
als sie löst.
Notizen

Wenn man auf der Autobahn vom Brenner kommt, prangt mächtig hinter der Ausfahrt Igls gleichsam als Begrüßung, bevor man den Zentralraum des Bundeslandes erreicht, das verwitterte Tirol-Logo. 

Irgendwie wirkt es schon seit Jahren ranzig und erinnert an längst verflossene Zeiten, als noch 80.000 Fans ins Zillertal pilgerten, um sich die Schürzenjäger anzuhören. Oder es erinnert an ein abgewohntes Badezimmer, von dessen Deko-Fliesen, die man gerade herunterschlägt, ziemlich genau gesagt werden kann, vor wie vielen Jahrzehnten sie an die Wand geklebt wurden.

Ranzig ist aber nicht nur das Tirol-Logo, sondern der Begriff Tirol insgesamt, der, merklich porös geworden durch Globalisierung, Pandemie, Krieg und angeblich bevorstehender Klimaapokalypse, immer noch inflationär verwendet wird, um durch die anstrengungslose Aufwertung eines Produkts durch eine Marke, zu deren Entwicklung man nichts beigetragen hat, am Markt zu bestehen.

So haben die loyalen Tiroler, wenn sie in der Früh zum Frühstück schreiten, zuerst ihren Tiroler Kaffee (Der Faire Tiroler) mit Tiroler Bergbauernmilch zu vermengen und ihr Tiroler Bauernbrot entweder mit Tirol Milch Alpenbutter und Tiroler Waldhonig zu beschmieren oder mit Tiroler Speck bzw. Tiroler Bergkäse zu belegen, wobei zur Beförderung der Verdauung als volkskulturelle Abrundung des Mahls ein Tiroler Bergkräuter Geist empfehlenswert wäre. Während des geschmacklichen Verklingens desselben ist es dann auch Zeit, Radio Tirol einzuschalten, um sich, eingebettet in volkstümliche Musik aus Tirol, nach dem Tirol Wetter zu erkundigen, oder die Tiroler Tageszeitung aufzuschlagen, um die toten Tiroler zu studieren.

Wer trotz solch identitärer Einbettung noch in der Lage ist, sich seines Verstandes ohne die Zuhilfenahme eines anderen zu bedienen, wird sich zwangsläufig die Frage stellen, ob ein Kaffee tatsächlich deswegen besser ist, weil er in Tirol geröstet wurde, die Milch, die Butter, der Käse deswegen besser sind, weil sie angeblich von Tiroler Kühen stammen, der Honig, weil von Tiroler Bienen, und der Speck, obwohl er aus Oberösterreich, den Niederlanden oder China kommt, deswegen ein Qualitätsprodukt ist, weil er zum Ausreifen in die Tiroler Bergluft gehängt wurde und alle, die ihn genießen, dann zu Tyrolern mit y werden, was in Sachen Nahrung in etwa so ungesund ist wie die Publikationen des Tyrolia-Verlages katholisch sind.

Zugleich wäre es falsch zu leugnen, dass die angeblich unberührte, aber in Wahrheit perfekt erschlossene Bergwelt, die aus Not und Sparsamkeit geborene, sensibel der Landschaft angepasste bäuerliche Kultur samt kirchlicher und volkskultureller Schaustellungen und nicht zuletzt die Entwicklung des Skifahrens zum massentauglichen Gaudium dem Land und seiner aus den Tiroler Freiheitskämpfen, der Deutschen Romantik und den Auftritten der Tiroler Nationalsänger entwickelten Marke in den letzten Jahrzehnten durch den Tourismus große Erfolge und damit Wohlstand eingebracht haben.

Die Ranzigkeit, von der das Logo der Marke Tirol befallen ist, hat dennoch längst wie ein Schimmelpilz in aller Heimlichkeit Eingang in die Lebensrealität der Tiroler gefunden. So werden etwa die Infrastrukturen, die der Tourismus geschaffen hat, mit Begeisterung genützt. Auf die Flut der Fremden, die zwangsläufig damit verbunden sind, würde man allerdings lieber verzichten, mit Ausnahme des Geldes natürlich, das sie auszugeben pflegen.

Die Bevölkerung ist längst vom Tourismus genervt, ebenso vom Verkehr, der damit verbunden ist, aber auch von der EU samt LKWs und Schutzstatus für Wolf und Bär, was allerdings niemanden daran hindert, sich am Wochenende der allgemeinen Massenauswanderung an den Gardasee oder an die Adria anzuschließen.

All diese Widersprüche und Verlogenheiten, und es könnten noch viele weitere aufgezählt werden, werden durch die Marke „Tirol“ nicht gelöst, sondern bestenfalls verschleppt und somit vergrößert. Ursache hierfür ist, wie schon angedeutet, der Wahn, dass wir aufgrund unserer vom frühen Morgen bis zum späten Tiroler Abend sich hinziehenden Selbsterhöhung Opfer der Ansicht sind, unter den auserwählten Völkern dieser Erde eine besonders prominente Stellung einzunehmen.

Daraus leiten wir, wenn wir vom Verkehr überrollt werden, den Schluss ab, ein Opfer der Frächter-Lobby zu sein, obgleich wir selbst eine solche haben, ein Opfer des freien europäischen Warenverkehrs zu sein, obgleich wir mit Selbstverständlichkeit erwarten, im Supermarkt frischen Spargel aus Peru vorzufinden, und zuletzt das Opfer wahnsinnig gewordener Touristenströme zu sein, obgleich wir es als eine der größten Errungenschaft der EU betrachten, dass durch das Entfallen der Passkontrollen quasi die Landeseinheit mit Südtirol wieder hergestellt wurde, eine Tatsache, die uns jedoch mehr im Hinblick auf Shopping und Törggelen als im Hinblick auf die eigentliche politische Errungenschaft interessiert.

Die auf Kulissen einer längst vergangenen bäuerlichen Kultur aufbauende Tirol-Marke verfestigt zudem die Vorrangstellung einer bäuerlichen Welt von Gestern, die mit den gesellschaftlichen Realitäten von heute absolut nichts mehr zu tun hat. Den bäuerlichen Funktionären ist es jedoch mit Erfolg gelungen, eine saubere Rückübertragung der illegal entwendeten Agrargemeinschaftsgründe an die Gemeinden zu verhindern, was mit ein Grund dafür ist, dass der Traum vom eigenen Haus oder zumindest von der eigenen Wohnung aufgrund unbezahlbarer Grundstückspreise nur noch von den wenigsten verwirklicht werden kann.

Die Marke Tirol, die neben den inzwischen nur noch langweiligen Flugaufnahmen über die Tiroler Berggipfel hinweg immer noch mit den Versatzstücken einer Volkskultur hausieren geht, die bestenfalls ins Volkskunstmuseum passt, verführt dazu, dass sich beim alljährlichen Treffen der europäischen Geistesgrößen in Alpbach, oder zumindest derer, die sich dafür halten, der Tiroler Beitrag auf die Peinlichkeit eines landesüblichen Empfangs mit Bischof, Schützen und Musikkapellen beschränkt. Den aktuellen Zeitgeist überlässt man, kräftig die Veranstaltung subventionierend, in dienender Selbstverblödung lieber den anderen. Auch im Hinblick auf das Geistesleben gilt: Tiroler sein genügt!

Bilanz: Wer sich selbst belügt, kann nicht lernen, weil er die Realität nicht sieht. Schon aus diesem Grund gehören das Tirol-Logo und die Marke Tirol, die uns aufgrund großer Erfolge in der Vergangenheit zu einer inzwischen dramatischen Selbstüberschätzung verführt haben, einem Relaunch unterzogen. Oder besser überhaupt verworfen. 

Willkommen am Boden der Realität und Rationalität!

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Schreibe einen Kommentar