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Alois Schöpf
Schnösel-Party im Tiroler Bergdorf
Zum Europäischen Forum Alpbach 2024 und
seinem Motto
“moment of truth”

Schützend halten die verblichenen Säulenheiligen Popper und Schrödinger ihre segnenden Hände über eine Veranstaltung, zu der die Tiroler als Volk der Köche und Kellner mit Schützen, Musikkapelle, Bischof und Landeshauptmann am sogenannten Tiroltag die feierliche Eröffnung beisteuern dürfen. Angesichts solch ritueller Zurückgebliebenheit aus dem Herz der Alpen ist es auch nachvollziehbar, wenn man auf das heimische Geistesleben, da offensichtlich noch in der Voraufklärung befangen, weitgehend verzichtet und das Denken lieber jenen Salontirolern überlässt, die mit frischen Lederhosen und Dirndln aus dem Osten der Republik angereist kommen, um gemeinsam mit ihren internationalen Stars, die sich bei genauerem Hinsehen oft nur als hochgediente Funktionäre menschheitserrettender Institutionen erweisen, ein paar Ferientage bei Hauben-Menage, exklusiven Weinen, gehobenen Gesprächen und meditativen Wanderungen zu verbringen und, wenn sich wie in den flotten 1980-Jahren dabei auch noch etwas Erotisches ausgeht: Umso besser!

Alpbach, durch Aufenthalte von Politikern und Medienleuten auf Staatskosten zum Geistesevent gehypt, wäre im Sinne seiner Gründerväter eigentlich dazu da, wenn schon solcher Aufwand getrieben wird, dem liberal-konservativen Lager Ideen zu liefern, wie mit den gerade anstehenden Problemen abseits gutmenschlicher Idyllen und rechtsradikaler Simplizität umgegangen werden könnte. Wie der Migrationskrise, der Medienkrise, der Gesundheitskrise, der Demokratiekrise, der Schräglage in der Vermögensverteilung und der zunehmenden Kriegsgefahr zu begegnen sei. Oder, speziell im Hinblick auf Österreich, das Dogma von der Neutralität, die lediglich darauf beruht, allfällige kriegerische Dreckjobs andere erledigen zu lassen, was diese sicher nicht tun werden, als feigen kollektiven Selbstbetrug bloßzustellen.

Dass hier die Lösungen ausbleiben, hat schlicht damit zu tun, dass das Europäische Forum nun schon seit Jahrzehnten von Leuten geleitet wurde und wird, die man sonst nicht mehr brauchen kann, weshalb man ihnen zwecks Abfederung ihrer narzisstischen Verletzung eine harmlose Spielwiese in den Tiroler Alpen zukommen ließ. Dass diese Leute nun wiederum genau jene sind, die es durch ihre frühere Tätigkeit als führende Politiker oder Banker genau dorthin gebracht haben, wo wir heute mit unseren Problemen stehen, ist dabei ebenso evident wie die Tatsache, dass für jene, die sie als Prominente einladen, ähnliches gilt. Sonst wären sie erst gar nicht durch Jahrzehnte währende schmiegsame Anpassung Staatsminister, Generaldirektoren, Präsidenten, Bundesminister, Bürgermeister, Geschäftsführer, Politikberater, Premierminister, Generalsekretäre oder Kabinettsexperten geworden. Prominenz ist eben in einer Mediengesellschaft wie der unseren ein Kampf um Aufmerksamkeit am Markt des Zeitgeists und damit die notwendige Präsentation des stets Abgehangenen. Die Hoffnung, von den Rückständen solcher Karrieren Problemlösungen für die Zukunft zu erwarten, erweist sich als Schildbürgerstreich auf der Höhe der Zeit.

Die Behauptung, das europäische Forum Alpbach bringe die innovativsten Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Kultur und Wissenschaft zusammen, um Ideen für ein starkes und demokratisches Europa voranzutreiben, ist also nichts anderes als Marketingschwachsinn, eine Diagnose, für deren Richtigkeit das für 2024 großspurig gewählte Motto moment of truth einsteht, ein Begriff, der geistesgeschichtlich unzweideutig mit der Tradition der europäischen Aufklärung und mit dem Wahrheitsanspruch wissenschaftlichen Denkens, wie es die eingangs erwähnten Säulenheiligen Popper und Schrödinger repräsentierten, in Zusammenhang steht.

Wie gleichgültig den Teilnehmern an der inzwischen geistig heruntergekommenen Schnösel-Party in Alpbach dieses lediglich zu Werbezwecken entwickelte Motto in Wirklichkeit ist, geht aus der Tatsache hervor, dass in den Medien mit großem Stolz zur Eröffnung des Forums eine Live-Zuschaltung des Papstes angekündigt wurde.

Nun darf man, sofern man sich äußerster Höflichkeit befleißigt, wohl annehmen, dass Herr Bergoglio aus Rom möglicherweise moments of belief repräsentiert, aber mit dem, was den Wahrheitsanspruch der Aufklärung, der Wissenschaften und der Naturwissenschaften betrifft, rein gar nichts zu tun hat. Ja, dass er, wenn man es weniger höflich formuliert, einer der höchsten Würdenträger eines, wieder höflich formuliert, zweitausend Jahre alten Narrativs ist, das mit unserem heutigen Vernunftgebrauch in keinster Weise in Übereinstimmung zu bringen ist, oder dass er, unzweideutig formuliert, einer der höchsten Repräsentanten des Aberglaubens ist, also einer jener Fürsten der Finsternis, die mit ihrem totalitären Herrschaftsanspruch an der Wiege all jener Diktaturen stehen, gegen die Popper mit seinem Kampf für eine Offene Gesellschaft und das Falsifikationsprinzip angekämpft hat, und die, wenn sie in ihren schwarzen oder weißen Kutten noch etwas zu sagen haben wie etwa im Iran, Ungläubige zu tausenden an Baukränen aufhängen lassen.

Was ist ein Forum, das auf diese Art seine Grundsätze vergisst, noch anderes als eine peinliche Schnösel-Party auf Staatskosten?

PS: Was hat eigentlich das Land Tirol von dem hochsubventionierten Schauspiel abseits toller dörflicher Nächtigungszahlen und der Gesichtswäsche unserer Politiker im Rahmen volkskultureller Peinlichkeiten? Trotz verschiedener Bemühungen sind die Verbindungen zur Universität Innsbruck marginal, zu den Repräsentanten des intellektuellen Lebens im Land inexistent, ein Austausch zwischen der in Alpbach anwesenden Prominenz und der heimischen Szene existiert ebenfalls nicht. 

Und was zuletzt die Investition öffentlicher Mittel in das Event besonders fragwürdig werden lässt: ob Transit, Raumordnung, Overtourism, Energiewirtschaft, Wohnungsnot – wo sind die Antworten, die von Alpbach aus auf all diese drängenden und realen politischen Probleme gegeben werden?

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Norbert Häfele

    Ja, so ein trefflicher Kommentar. Ja, was ist das Forum mehr als das?
    Dran bleiben! Miteinander.

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