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Alois Schöpf
Bescheiden und weltgewandt
Veredelt die naturwissenschaftliche Suche
nach Wahrheit die Menschen?
Essay

Mit einem gewissen Stolz dürfen wir als patriotische Österreicher zur Kenntnis nehmen, dass in jüngster Zeit gleich mehrere Wissenschaftler aus unserem eigenen Land bzw. aus seinem vergangenheitsbedingten Nahebereich für ihre Leistungen den Nobelpreis zugesprochen bekamen.

Das war zum einen Eric Kandel, der, geboren 1921 in Wien, im Jahr 1939 vor den Nazis in die USA flüchten musste und für seine Erforschung der biochemischen Grundlagen unserer Denkleistungen im Jahre 2000 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhielt.

Es war des Weiteren der 1945 in Ried im Innkreis geborene Anton Zeilinger, der für seine Arbeiten zur Quantenverschränkung ausgezeichnet wurde und damit die Basis für den in Entwicklung befindlichen revolutionären Quantencomputer legte, aber auch für jene im Quantenbereich offenbar bereits mögliche Teleportation, wie sie in Science-Fiction Romanen benützt wird, um auch grobstofflich die unendlichen Weiten des Weltalls zu überwinden.

Dieses Jahr nun erging die höchste Auszeichnung der Wissenschaftswelt gewissermaßen an eine Altösterreicherin, die in Ungarn geborene Biochemikerin Katalin Karikó für ihre Forschung an der RNA-vermittelten Immunaktivierung, wodurch es möglich wurde, auf kürzestem Wege einen Impfstoff gegen das Corona-Virus zu entwickeln und damit, wie die WHO unlängst feststellte, Millionen Menschenleben zu retten. Ganz abgesehen davon, dass sich durch ihre Forschungen vollkommen neue Perspektiven im Hinblick auf die Krebstherapie eröffnen.

Der Vierte im Bunde ist der ebenfalls aus Ungarn stammende Ferenc Krausz, der lange Zeit in Wien lehrte und forschte und dem es mit seinem Team gelang, im Rahmen der sogenannten Attosekundenphysik einen Lichtpuls von weniger als einer Femto-Sekunde Dauer sowohl zu erzeugen als auch zu messen.

Wer nun diese vier Persönlichkeiten in zahlreichen Interviews, aber auch in Dokumentationen, die aufgrund ihrer Preisverleihung entstanden sind, beobachtete, konnte an allen eine verblüffende Gemeinsamkeit feststellen: Zum einen eine große Bescheidenheit, mit der sie ihren wissenschaftlichen Werdegang und ihre Erkenntnisse erläuterten, wobei sie auch immer wieder auf die Leistungen ihrer Teams und Mitarbeiter hinwiesen. Und zum anderen eine Weltläufigkeit, mit der sie sich auch bei noch so provokanten Fragen nicht aus der Ruhe bringen ließen.

So wies zum Beispiel Ferenc Krausz auf die großzügige Förderung seiner wissenschaftlichen Tätigkeiten durch den ungarischen Staat hin, obgleich er genau wissen musste, dass im Wind des derzeitigen Zeitgeists Ungarn die Rolle des Bösewichts zu spielen hat und die Redakteurin von ihm eine entsprechend denunzierende Antwort erwartet hätte.


Was war die Leistung?

Eric Kandel „zermantschgerte“, um es auf gut österreichisch zu sagen, ein Leben lang Meeresschnecken, weil diese über ein so übersichtliches und leicht präparierbares Nervensystem verfügen, dass er damit seine Erforschung der biologischen Grundlagen des menschlichen Nervensystems, das sich im Prinzip der gleichen Informationsübermittlung bedient, vorantreiben konnte.

Anton Zeilinger wiederum bemühte sich ein Leben lang um die praktische Anwendung der Quantenphysik, was, wie bereits erwähnt, gerade zu einer Revolutionierung der Computertechnologie führt.

Dramatischer als das Schicksal dieses von allem Anfang an angesehenen und erfolgreichen Österreichers ist das Schicksal der Ungarin Katalin Karikó, die, zuerst zur Auswanderung in die USA genötigt, dort gleichsam in wissenschaftlicher Einsamkeit Jahrzehnte benötigte, um die Welt davon zu überzeugen, dass das Übertragungsmedium für die Reproduktion von Genen durch von außen zugeführte Informationen im Sinne der Gesundheit des Menschen zielgerichtet manipuliert werden kann.

Ebenso ist der Lebensweg von Ferenc Krausz davon gekennzeichnet, dass es ihm bereits vor 30 Jahren an der TU Wien mit seinem Forscherteam gelang, Lichtimpulse herzustellen, deren Energie, laienhaft ausgedrückt, aus einer einzigen Schwingung des elektromagnetischen Feldes besteht.


Unbeirrbar an eine Idee glauben

Allen Forschern sind ein unglaubliches Durchhaltevermögen und ein unbeirrbarer Glauben an ihre Idee gemeinsam, die Fähigkeit, von einem ursprünglichen dringenden Erkenntnisverdacht ausgehend, den sie aufgrund eines ersten erfolgreichen Blicks in die rätselhafte Welt der Natur entwickelt hatten, über Jahrzehnte hinweg weiter zu forschen, ohne jemals zu wissen, ob das riskante Spiel mit dem eigenen Leben und mit der eigenen wissenschaftlichen Laufbahn jemals gut ausgehen würde.

Zumindest im Fall der Nobelpreisträger ist zuletzt der Erfolg durch die weltweite Wissenschaftsgemeinschaft bestätigt. Im Schatten ihres Glanzes stehen aber immer auch wahrscheinlich ebenso bedeutende Persönlichkeiten, die trotz möglicherweise großer Entdeckungen mit Erfolglosigkeit oder zumindest wesentlich weniger Anerkennung zurechtkommen müssen. Aber auch damit, mit ihrer Fragestellung an die Natur überhaupt gescheitert zu sein oder nur einen überschaubaren Erkenntnisgewinn erzielt zu haben. Für dieses Risiko, das sie eingegangen sind, gibt es weder Bewunderung noch Preise!

Das Existenzrisiko, das jeder Forschende eingeht, sein Durchhaltevermögen, über Jahrzehnte der Natur eine neue Erkenntnis abzuringen, scheinen die ideale Basis dafür zu sein, als Arbeiter im Weinberg Gottes stets am Boden der Realität, des Experimentierens und des Förder-Ansuchen-Schreibens zu bleiben. Und sich darüber hinaus im Hinblick auf mögliche Erfolgsaussichten in Bescheidenheit zu üben. Eine Bescheidenheit, die auch dadurch gefördert wird, dass die internationale Wissenschaftsgemeinschaft zumindest in den Naturwissenschaften keinerlei in sich selbst verliebten Provinzialismus zulässt, sondern als globalisierte Erkenntnismaschine bei gleichzeitig gegenseitiger, meist doch funktionierender Kontrolle auf Marketing im Dienste des Contents verzichten kann. 

Zugleich erfordert diese Globalisierung nicht nur gehobene Fremdsprachenkenntnisse, sondern auch jene Weltläufigkeit, die es möglich macht, eine weltweit verstreute Kollegenschaft, aber auch staatliche Stellen, Sponsoren und Partner davon zu überzeugen, dass es sich möglicherweise lohnt, an einer Idee und Forschungstätigkeit mitzuwirken oder sie zu finanzieren.


Bescheidenheit und Weltläufigkeit!

In diesem Sinne kann die Frage von zu Beginn bejaht und zugleich durch eine weitere Frage ergänzt werden: Weshalb bei der Nennung auf die Nobelpreisträger Elfriede Jelinek und Peter Handke verzichtet wurde?

Die Antwort darauf ist sehr einfach: Die Literatur ist in gleicher Weise wie die Theologie keine Wissenschaft. Unsere beiden verschrobenen Dichter haben sich niemals mit der messbaren, wägbaren und zählbaren Welt im Rahmen von jederzeit überprüfbaren Experimenten beschäftigt, sondern immer nur mit ihrer subjektiven Sicht der Dinge, die zuletzt auf nichts anderes als eine Marotte des Zeitgeists, auf eine subjektivistische Selbsterhöhung, auf einen überholten Genie-Kult und zuletzt auf eine lächerlich gealterte Ich-AG hinausläuft.

Wer es nicht glaubt, möge sich dem gleichsam naturwissenschaftlichen Selbstexperiment unterziehen, sich die prächtig gebundene Buchreihe aller Literaturnobelpreisträger ins Haus bestellen und sich zu erinnern versuchen, wer von all den lorbeergekrönten Meistern überhaupt noch namentlich bekannt ist. Oder sich gar der Mühe unterziehen, von den inzwischen 119 Preisträgern jeweils ein Werk zu lesen und somit selbst zu überprüfen, inwieweit darin noch etwas für die Gegenwart Relevantes zu erfahren ist.

Die Erkenntnisse der Forscher Kandel, Zeilinger, Karikó und Krausz werden im Gegensatz dazu in gleicher Weise, wie am Pythagoreischen Lehrsatz seit über 2000 Jahren niemand zweifelt, ihre Relevanz beibehalten, solange die Menschheit besteht.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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