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Norbert Hölzl
„Der ist für alle da!“
Erinnerungen an Luis Durnwalder
anlässlich seines 80. Geburtstags

Ende März und Anfang April 1989 war es ein sehr merkwürdiges Gefühl, die letzte Stunden-Sendung im ORF mit dem abtretenden Landeshauptmann von Südtirol aufzunehmen und kurz darauf mit dem neuen. Ich habe das in der Sendung auch gesagt, obwohl ich sonst nicht viel zu sagen hatte. Sendungen mit Magnago und Durnwalder waren ein Vergnügen. Trotz der ernsten Themen bestand nie die Gefahr, dass es langweilig wurde. Beide beherrschten die Kunst, immer wieder persönliche Bemerkungen einzustreuen, zu überraschen und mehr oder weniger absichtlich heiter zu wirken. Das ist herrlich für ein Massenmedium, das immer auch unterhalten sollte, denn nur das Fade vertreibt das Publikum. Magnago und Durnwalder faszinierten auch jene in Österreich und Deutschland, die nicht brennend an Autonomiefragen interessiert waren.

Da sagte einmal Magnago: „Ich bin ein Finsterling, aber für die Heiterkeit sorgt meine Frau. Sie ist eine Rheinländerin.“ Na klar, der Finsterling hatte sofort alle Sympathien. Und es war ziemlich am Beginn seiner letzten Sendung, die doch sein Lebenswerk darstellen sollte, als er bemerkte: „Ich hab immer kalt. Schauen Sie, Herr Doktor, Sie sitzen in Hemdsärmeln da, ich hab eine Weste und einen Rock an und hab immer noch kalt.“

Nach Magnagos 29-jähriger Regentschaft war die Nachfolgefrage nicht ganz eindeutig. Natürlich fragte ich Durnwalder danach. Seine Antwort war verblüffend ehrlich: „Ich war nie sein Liebling. Ihm wäre der Riz lieber gewesen.“

Und das, nachdem Durnwalder unter Magnago zu dessen vollster Zufriedenheit über ein Jahrzehnt das Landwirtschaftsressort geleitet hatte. Man warf und wirft vor allem auch in Deutschland starken Politikern vor, dass sie keinen Nachfolger aufbauen. Vielleicht ist das in Demokratien gar nicht so einfach, denn wer allzu lange den Kronprinz spielen muss mit den üblichen Winkelzügen und Eifersüchteleien, der wird es am Ende gerade deswegen nicht. Da haben es Monarchien leichter. Bei den Habsburgern kam der älteste zum Zug, selbst wenn er der unfähigste war. Tirols Liebling, der geniale Erzherzog Johann war da chancenlos. Riz wäre als Nachfolger zweifellos ein brillanter juristischer Denker gewesen, aber wohl kaum ein Landesvater für das nächste Vierteljahrhundert so wie Durnwalder.

Bei allen Landtagswahlen seit 1960 erhielt Magnago die meisten Vorzugsstimmen, so um die 72.000. In Interviews gab er offen zu, dass er stolz darauf sei, er sei ja doch nicht ganz ohne Ehrgeiz und Eitelkeit. Dass Durnwalder dann gleich über 100.000 schaffte, hat den Ex-Politiker sicher nicht nur begeistert.


Volkstümlich und zielstrebig

Wenn Magnago und Durnwalder einen Termin vereinbarten, vermittelten sie das Gefühl, sie hätten alle Zeit der Welt. Durnwalder spielte in den damals noch verrauchten Wirtshausstuben bei einem Glasl Wein Karten, obwohl jeder wusste, dass er weder zum Rauchen noch zum Trinken neigte. Ich erinnere mich nur an eine einzige Kritik Durnwalders an Magnago: „Der setzt sich nicht mit den Leuten zu einem Glasl Wein zusammen, ganz abgesehen davon, dass er keine Ahnung hat, was ein Glas Wein kostet.“

Das Gegenteil dieser beiden lokalen Stars war der große brasilianische Präsident, der Wirtschaftsprofessor Cardoso. Als er dem nur bei uns berühmten Hugo Portisch ein Interview gewährte, sauste er herein mit den Worten: „Sie haben 10 Minuten Zeit. Ob sie das Interview Englisch oder Portugiesisch führen, ist mir gleich.“ Und das war noch großzügig. Eine Delegation der Amazonas- Indianer zur 500 Jahr-Feier der Entdeckung Brasiliens im Jahre 2000 ließ er nicht einmal in seinen Palast. Und so war schließlich die Mehrheit der jungen Brasilianer der Meinung, es gäbe überhaupt nichts zu feiern, man habe das herrliche Land längst ruiniert. Geplant war ein weltumspannendes Fest, geworden ist es eine Rede des Präsidenten vor mehr Polizei als Publikum. Da wäre jedes kleine Festl in Südtirol amüsanter gewesen.

Abgehobenheit und Mangel an Empathie lassen sich nicht verbergen. In meiner Dienstzeit durfte ich drei Tiroler Persönlichkeiten von bewundernswerter Empathie erleben, die aber ihr Mitleiden nie propagandistisch vor sich hergetragen haben. Hier glichen sich die drei Publikumsmagneten Magnago, Durnwalder und Bischof Stecher weit mehr als sie selbst ahnten.


Arten der Empathie

Es gibt Politiker, die lieben Interviews mit spritzigen Zwischenfragen, die förmlich in ein Florettfechten ausarten können. Das Musterbeispiel war für mich Heinz Brantl, der legendäre Wahlkampfmanager von Bruno Kreisky. Genau das brauchten und wollten die drei Tiroler Stars überhaupt nicht, nämlich übereifrige Fragen von Journalisten, die naturgemäß vom Nimbus des Politikers auch ein bisschen zu profitieren hofften. Die drei bauten ihre Aussagen auf wie Richard Wagner seine Opern, der bekanntlich meist drei Akte benötigte: Sie schildern eindrucksvoll die Situation, also das Leitmotiv, dann entwickeln sie die Problematik, also Variationen des Leitmotivs (deshalb ist bei Wagner der 2. Akt immer der langweiligste) und schließlich präsentieren sie die Lösung, gewissermaßen den 3. Akt vor dem Applaus. Die Drei hatten die Probleme meist so gründlich durchdacht, dass jede Zwischenfrage ihren Gedankenfluss nur stören konnte.

Und nun zur erwähnten Empathie: Ich wollte Bischof Stecher ein Honorar überweisen, weil ich die gesamte Sendung als sein geistiges Eigentum empfand und mich selbst bestenfalls als Stichwortgeber. Er nehme kein Honorar, sagte Stecher. Ich fragte einen seiner Mitarbeiter. Sag einfach, er kann das Geld für arbeitslose Jugendliche verwenden. Das bewegt ihn ungeheuer. Dafür akzeptierte Stecher das wohlverdiente Honorar sogar begeistert.

Es gab im sonst prosperierenden Südtirol auch einige Jahre mit Jugendarbeitslosigkeit. Magnago sprach darüber so leidenschaftlich, dass ich das Gefühl hatte, diese Frage verfolge ihn bis in seine Träume. Es ging ihm dabei nicht nur um das fehlende Einkommen, sondern sehr emotional um die psychischen Probleme: Was wird aus jungen Menschen, die das Gefühl haben, von der Gesellschaft nicht gebraucht zu werden? Sie werden sich gegen die Gesellschaft stellen. Und er schilderte alle möglichen negativen Folgen dieser Zurückweisung.

Nun zum Mitgefühl und zugleich zum dynamischen Stil des Luis Durnwalder: Als ich 1993 zum ersten Mal mit einem ORF-Team im Dorf Tirol nördlich von Rio de Janeiro drehte, war ich erschüttert von der Armut. Es entstand ein 45 Minuten- Film, der gar nicht geplant war. Ich wollte eine Kassette des Films Durnwalder persönlich übergeben und ihn auf die triste Situation dieser fernen, aber immer noch deutschsprachigen Tiroler aufmerksam machen. Im 19. Jahrhundert waren sie durch ihren Berg- Kaffee so wohlhabend geworden, dass sie sich ihre Altarfiguren aus Gröden nach Brasilien liefern lassen konnten. Als sie nach dem Ersten Weltkrieg vom Hunger in Europa hörten, spendeten sie in Goldmark für die alte Heimat. Nach der Weltwirtschaftskrise war der Kaffee- Boom vorbei. Landeshauptmann Partl hatte Hilfe zugesagt. Vielleicht schließt sich Landeshauptmann Durnwalder an, dachte ich.


Brasilien und Kuba

Als ich Durnwalder zweimal nicht im Büro antraf, gab ich die Kassette im Vorzimmer mit besten Grüßen ab, überzeugt, eher nichts mehr zu hören. Wann sollte der Vielbeschäftigte Zeit haben, sich eine Brasilien-Reportage anzusehen? Wenige Tage später landete bei mir ein Stoß Papier mit einer kurzen Notiz: Ich möge den Gesetzestext für Entwicklungshilfe durchlesen und dann dem Land Südtirol ein Hilfsprojekt vorschlagen. Er werde es durchsetzen.

So geht das nicht, antwortete ich. Ich bin Berichterstatter, aber kein erfahrener Entwicklungshelfer, abgesehen davon, dass ich Möchtegernhelfer, die in fernen Ländern mit ihrem Ehrgeiz mehr Unheil als Heil anrichteten, wiederholt im ORF kritisiert hatte. Durnwalder möge doch zwei Fachleute in das Dorf Tirol schicken, am besten den Denkmalpfleger, um die alte Bausubstanz für den Tourismus zu erhalten und vor allem einen Landwirtschaftsfachmann. Die beiden könnten ein nachhaltiges Projekt vorschlagen.

Es war ein Donnerstag, als mich der Helmut Stampfer aus Bozen anrief. Er war deutlich verwirrt: Norbert, ich weiß, heute ist der „Unsinnige“, aber ich muss dich trotzdem etwas Verrücktes fragen. Da eilt mir im Landhausgang der Durnwalder entgegen und ruft:“ Helmut, du fahrst nach Brasilien! Ich hab jetzt ka Derweil, dir das zu erklären. Du kennst ja den Norbert Hölzl im ORF. Riaf ihn an. Er sagt dir alles.“ Und weg war er. Jetzt war der Denkmalchef doch neugierig, ob das ernst war oder ein Spaß zum Unsinnigen Donnerstag.

Und so fuhren Denkmalpfleger und Landwirtschaftsfachmann nach Brasilien. Der eine sorgte sofort für ein neues Dach der bereits durchnässten Kirche, der andere legte einen Versuchsgarten an. Es lief dann nicht alles ganz reibungslos, denn Südamerika ist nicht Südtirol, aber ich musste mir nicht vorwerfen, ich hätte nicht versucht, auf professionelle Weise zu helfen.

Später erfuhr ich, dass lange vor mir Diplomaten des österreichischen Generalkonsulats in Rio Entwicklungshilfe in Wien für das Dorf Tirol beantragt hatten, aber in Wien gab es nur Palaver und schließlich den Papierkorb. Im Außenministerium gab es eben keinen Durnwalder, der zwar „ka Derweil“ hatte, aber Kleinigkeiten im Vorbeigehen erledigte. Später fragte ich den Durnwalder, wann er Zeit hatte, sich den Film aus Brasilien anzusehen. „So was mach ich am Sonntagnachmittag!“

Ähnlich wie mir in Bozen erging es dann Durnwalder in Havanna. Auch er wollte dort den wichtigsten Politiker persönlich treffen, aber Castro war nicht im Büro. Und da der Durnwalder wie üblich „kein Derweil“ hatte, verband er seine allzu knapp bemessene Dienstreise nicht mit einem üblichen Badeurlaub, so dass er noch einmal beim Maximo Lider vorbeischauen hätte können. Er schaute sich nur kurz das Südtiroler Entwicklungshilfeprojekt in Kuba an. Er machte es dann so wie ich in Bozen. Er richtete dem Fidel Castro schöne Grüße aus und hinterließ im Vorzimmer die Vergrößerung einer Titelseite der „Dolomiten“ vom Oktober 1960.

Denn bei der Südtirol- Debatte in der 15. UNO-Generalversammlung hatte Kuba als einziger Staat der Welt eine Volksabstimmung für Südtirol gefordert. Der Neo-Außenminister Kreisky war damals ebenso geschockt wie sein Gegenüber, der alte Fuchs Antonio Segni aus Rom. Mein Geschichtelehrer im Gymnasium war ebenfalls völlig durcheinander. Vielleicht wollte Castro die Amerikaner ärgern oder einfach nur die Debatte durcheinanderbringen, meinte er.

Die Wahrheit ist viel banaler. Ich verrate sie jetzt zum runden Geburtstag Durnwalders: Da gab es ein Kaffeekränzchen für die wenigen Damen der UNO-Delegation. Die stets energische Leiterin des Südtirolreferats der Tiroler Landesregierung, Viktoria Stadlmayer, die mit ihren politischen Zwischenrufen Magnago immer wieder auf die Palme brachte (O- Ton: „Sie ist doch nur eine Beamtin und keine Politikerin! So was gäb‘s bei mir nicht!“) saß zufällig neben einer Beamtin aus Kuba, die nicht wusste, wo und was Südtirol ist. Mit Hilfe von Streichhölzern erklärte es ihr die Hofrätin, denn sprachlich gab es Schwierigkeiten: Da liegt Österreich! Da liegt Italien! Und dazwischen das kleine deutschsprachige Südtirol. Die gerechteste und einfachste Lösung wäre eine Volksabstimmung!

Genau das erklärte die kubanische Beamtin dem kubanischen Delegationsleiter. Dieser glänzte am nächsten Tag mit seinen Südtirolkenntnissen und forderte die Volksabstimmung, ohne den Neo-Präsidenten Castro überhaupt gefragt zu haben.
Nichts weiter als die Folge eines Damenkränzchens, von dem mir erst die pensionierte Hofrätin erzählte. Wikipedia zitiert Magnago so: „Sie hat mehr Politik gemacht als mancher Politiker“. Noch heute finde ich es jammerschade, dass der kapitalistische Luis und der oberkommunistische Fidel sich nicht getroffen haben. Zu seinem 80. Geburtstag hätte der Luis sicher gar Köstliches über sein Kommunistentreffen mit Freund Fidel erzählen können. In einem Interview dazu erwähnte Durnwalder lediglich, er habe als Souvenir weder kubanische Zigarren noch Rum mitgebracht, denn er liebt weder das eine noch das andere

Nach meinen Erinnerungen hat Durnwalder nie eine österreichische Beamtin oder einen Politiker in einem Interview kritisiert. Ich glaube nicht, weil er diplomatischer oder vorsichtiger als Magnago war. Er tat sowieso immer nur, was er wollte. Wen sollte er da kritisieren?

Da fällt mir aber doch eine lautstarke Kritik Durnwalders ein. Die meisten Nordtiroler setzen ganz Tirol reichlich selbstbewusst mit ihrem Bundesland gleich, auch wenn es südlich der Alpen eine klimatisch begünstigte Zone gibt, wo die Nord- und Osttiroler früher ihren Wein geholt haben und für deren Probleme mit den nicht immer freundlichen Walschen sich einst die tüchtigen Außenpolitiker aus Innsbruck und Wien einsetzten.

Wenn sich Nordtiroler allzu selbstherrlich als die alleinigen Tiroler gebärdeten, pflegte der Durnwalder zu sagen: Wir sind genauso Tiroler wie ihr! Ob er nur einzelne Politiker meinte oder gleich die gesamte Bevölkerung, hat er nicht dazugesagt.

Der intelligenteste Essayist der einstigen Südtirol-Sendung im ORF, der Jurist und Historiker Dr. Gert Rydl, war mit Durnwalders Formulierung nicht ganz einverstanden. Sie war ihm zu milde. Obwohl weder Südtiroler noch besonders patriotisch, konterte er: Tirol ist nicht in Innsbruck entstanden wie die meisten hier glauben, sondern in Südtirol. Und dass das Burggrafenamt immer das Kernstück des Landes war, spürt man bis heute. Wer das nicht glaubt, möge die Anthologie bei Athesia lesen: „Südtirol im deutschen Gedicht“. Etwas vergleichbar Gewichtiges könnte man über Nordtirol nicht herausgeben!

Magnago ärgerte sich nicht nur über die Beamtin Stadlmayer, er konnte sogar über den hochgeschätzten Landeshauptmann Wallnöfer fuchsteufelswild werden, obwohl dieser ihn stets meinen Freind Maggnago (sic) nannte. Wiederholt passten ihm gut gemeinte Zwischenrufe aus Innsbruck gar nicht und er sagte das in Südtirol- Sendungen des ORF sogar mit gereizter Offenheit. Einmal ging es um die Übertragung weiterer deutscher Fernsehprogramme für Südtirol. Wallnöfer meinte, als Gegenleistung könnte doch Österreich italienische Programme ausstrahlen.

„So kann man mit Italienern nicht umgehen! Die sagen dann bei der nächsten Gelegenheit: Und was kriegen wir dafür? Es ist ja das Wesen der Autonomie, dass das Mehrheitsvolk die Minderheit ohne jede Gegenleistung schützt und unterstützt: Und wenn wir für die Autonomie einen Hubschrauber brauchen, werde ich von Rom einen Hubschrauber fordern!“

Würde ich dieses Bonmot Durnwalder in den Mund legen, ich glaube, selbst seine besten Freunde und Kenner würden es ihm zutrauen. Je größer die zeitliche Distanz wird, desto ähnlicher erscheinen mir Magnago und Durnwalder. So unterschiedlich sie vom Äußeren her sind, so unterschiedlich ihre Namen und ihre Herkunft, deckungsgleich wirken ihre Ziele und ihre Zielstrebigkeit. Magnago war zwar noch der schwer gezeichnete Weltkriegsteilnehmer, aber Durnwalder war von den Nöten der Nachkriegszeit sicher ähnlich geprägt wie Magnago. Ein wirklicher Generationenwechsel dürfte erst mit Durnwalders Amtsübergabe 2014 erfolgt sein.

Am Beginn seiner Ära war Durnwalder deutlich sattelfester als einst Magnago. Als Regierungsmitglied 11 Jahre unter Magnago war er in alle Probleme eingearbeitet und weitgehend frei von Vorurteilen und frei von den vielen Verletzungen der Vergangenheit. Die Enge des Tiroler Denkens der Nachkriegszeit überstieg damals unsere heutige Vorstellungskraft deutlich. So versuchte ab 1954 Universitätsprofessor Eugen Thurnher mit den Meraner Hochschulwochen so etwas wie eine geistige Öffnung des abgekapselten Südtirol. Es war noch bevor Magnago Landeshauptmann wurde, als es Thurnher wagte, Figls ungeliebten und noch kaum bekannten Staatssekretär im Außenministerium Kreisky zu einem Vortrag nach Meran einzuladen. Es gab eine deftige Rüge des Kirchenblattls der Erzdiözese Trient und sanfte Rügen von ÖVP und SVP: Muss das denn sein, ausgerechnet einen Roten aus Wien in Meran sprechen zu lassen? Als Thurnher darauf sagte, dieser Kreisky könnte womöglich einmal unser Außenminister oder gar Bundeskanzler werden, verzieh man ihm großzügig. Man hielt ihn eben für einen weltfremden, vielleicht sogar etwas verrückten Professor.

Im Jahre 1959 wurde die Verrücktheit Wirklichkeit. Der „Rote“ war der neue Außenminister und interessierte sich für Südtirol unvergleichlich mehr als der bis heute vergötterte Figl. 1960 bat Bruno Kreisky den Neo-Landeshauptmann Magnago und den Noch-Nicht-Landeshauptmann, aber mächtigen Tiroler ÖVP-Obmann Wallnöfer nach Klagenfurt ein, um die Südtirol-Politik zwischen Wien und Tirol abzustimmen. Nach den politischen Gesprächen lud Kreisky zum Abendessen. Magnago hatte „keine Zeit“ dafür und Wallnöfer auch nicht. Magnago speiste mit seiner Entourage im Pustertal, Wallnöfer in Osttirol, Kreisky allein in Klagenfurt.

Die Freundschaften und die hohe Wertschätzung zwischen den zwei Schwarzen und dem Roten entstanden erst im Laufe der Jahre. Ein Durnwalder in Klagenfurt hätte mühelos zwei neue Freundschaften geschlossen und das nicht nur, weil er vier Jahre im „roten“ Wien studiert hatte.


Konsequent bis zur Sturheit

Magnagos Vater stammte zwar aus Welschtirol, aber der Silvius konnte den Trentinern nie verzeihen, dass sie sich alle Vorteile der Südtirol-Autonomie zugeschanzt hatten und trotzdem den Südtirolern immer wieder kleinkarierteste Schwierigkeiten bereiteten. So wurde den isolierten Kleingemeinden Laurein und Proveis, die bei der Ausreise in die Welt ein paar Straßenkilometer über Trentiner Hoheitsgebiet fahren mussten, der Schnee nicht geräumt, nur um die Nachbarn zu ärgern.

Durnwalder muss Julius Cäsar gelesen haben, denn er kam, sah und baute. Er baute mit Brücken und Tunnels eine eigene Landesstraße durch das Ultental nach Laurein, also nur auf Südtiroler Hoheitsgebiet. Mehrere kleine, aber reizvolle Straßen darf man heute ruhig als Dokumente der Sturheit Durnwalders und der Macherqualitäten eines typischen Pustertalers betrachten.

Als Aldo Gorfer in Trient 1973 das vielfach ausgezeichnete Buch „Die Erben der Einsamkeit“ veröffentlichte und den Untergang der hochgelegenen Berghöfe Südtirols mit dem Aussterben der heutigen Generation in poetisch-ergreifenden Worten prophezeite, machte ich darüber mehrere Radiosendungen und endete mit einem Versprechen: Sollte ich in 25 Jahren noch leben, werde ich die totgesagten Einödhöfe aufsuchen, denn ich glaubte nicht, dass die Zukunft ähnlich düster wie im Trentino sein werde, über dessen Berghöfe Gorfer das Buch „Nur der Wind klopft an die Türe“ geschrieben hatte.

Nach 25 Jahren produzierte ich darüber sogar mehrere Fernsehsendungen und traf nur auf Optimismus. Die Prophezeiung, die extrem gelegenen Berghöfe würden verfallen oder von Italienern aufgekauft, die die Fensterläden bestenfalls einige Wochen im Jahr öffnen, war nicht eingetreten. An der positiven Entwicklung war ganz wesentlich Durnwalders Hartnäckigkeit schuld. Ich kannte ja seine Devise: Auch wenn eine Zufahrtsstraße mehr kostet als der erschlossene Berghof überhaupt wert ist, sie wird gebaut.


„Ban Luis“

Beim Thema Bergbauern wollte ich kein Interview „ ban Luis“ in seinem Büro machen. Wenn er bereit wäre, einen halben Tag zu opfern, sagte ich, dann dürfe er die Bauernhöfe aussuchen, auf denen wir drehen. Er war bereit und führte uns natürlich in seine Pustertaler Heimat auf Höfe, die mir ebenso wie einst Aldo Gorfer unbekannt waren. Alles war schön, auch das Wetter. Nur beim Fernsehen verstanden sich der Landeshauptmann und der Journalist nicht besonders gut. Durnwalders Aussagen waren fesselnd, aber für das österreichische und deutsche Publikum nach meinem Gefühl etwas zu lang.

Der Zwang, für ein Statement nicht mehr als eineinhalb Minuten zur Verfügung zu haben, entsprach nicht seinen Gewohnheiten, denn die Rai in Bozen pflegte ihm eine größere Spielwiese zu bieten. Nachgetragen hat er mir das 90 Sekunden-Diktat aber nicht. Als er mir gemeinsam mit seinem Nordtiroler Kollegen eine Landesauszeichnung umhängte, sagte er: „Der ist für alle da“. Das ist zwar schmeichelhaft, aber kein Kompliment, das dem Journalisten gebührt. Es trifft genau auf ihn selbst zu.

Trotz der Proteste sogar der eigenen Anhänger weigerte sich Durnwalder, die Machtposition des Parteiobmannes anzunehmen. Er wollte der Landeshauptmann aller drei Volksgruppen sein. Und Landesvater war er nicht erst bei Dienstbeginn um 8:00 Uhr . Ab 6:00 Uhr früh war er auch für alle jene da, die keinen Termin hatten. Und im Fernsehen „Ban Luis“ war er wieder für alle da. Wohl ist die Welt so groß und weit, behauptet das Südtiroler Heimatlied, aber wo gab es je auf der weiten Welt einen Politiker, bei dem alle regelmäßig herzlich lachen durften? Denn auch beim Lachen war er für alle da.

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Norbert Hölzl

Norbert Hölzl, Prof. Dr., ehemaliger Referatsleiter im ORF, Radio- und TV-Autor, TV-Regisseur und Buchautor.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ralph Holtfeuer

    Für mich sind Magnago, Durnwalder, Wallnöfer, Kreisky und mit Abstrichen Strauss noch Politiker mit Hirn und Hausverstand. Bei den heutigen Politikern vermisse ich diese Eigenschaften fast bei jedem. Ist sicher zu einfach gedacht. Beobachtet man aber die Interviews und Reden der heutigen Politiker und ihre einstudierten Gesten (jede, jeder hat diese ja in Kommunikationskursen gelernt) kommt mir oft nur Blabla in dem Sinn. Unmsonst ist die Meinung über unsere politische Elite nicht im Keller.

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