Alois Schöpf
Ansturm und Erbschleicher-Alarm
Wenn schlechter Journalismus auf ein heikles Thema trifft.
Zu einem Artikel der Kronenzeitung
vom 9. März 2024
Analyse
Betrifft: https://www.krone.at/3285108
Im Laufe ihrer langen Geschichte hat die viel geschmähte Kronenzeitung schon oft bewiesen, dass man auch erfolgreich sein kann, ohne immer nur die primitivsten Vorurteile der Leserschaft zu befriedigen. Umso trauriger ist es, wenn sie ihrer Kärntner Redakteurin Kerstin Wassermann einen Artikel durchgehen lässt, der ausgerechnet bei einem Thema wie der Liberalisierung der Sterbehilfe in wenigen Zeilen sämtliche Vorurteile bündelt, die nur jemand in intelligenzbefreiter Weise vorbringen kann, wenn er von der Sache keine Ahnung hat oder im Dienste einer Ideologie agiert.
1. Selbstmord
Zitat:
„Und der Ansturm auf die sogenannten Sterbeverfügungen, mit denen der Selbstmord staatlich sanktioniert wird, ist erschreckend hoch, wie eine Krone-Anfrage beim Justizministerium zeigt.“
Die skandalös mangelhafte Recherche beginnt schon damit, dass Frau Wassermann behauptet, mit der sogenannten Sterbeverfügung werde der Selbstmord staatlich sanktioniert.
Offenbar ist die Erkenntnis noch nicht bis zu ihr nach Kärnten vorgedrungen, dass der von Martin Luther entwickelte Kampfbegriff Selbstmord im Hinblick auf den assistierten Suizid in sich ein Unsinn ist, da das Wesen des Mordes darin besteht, gegen seinen eigenen Willen des Lebens beraubt zu werden, der mit einer Sterbeverfügung verbundene assistierte Suizid sich jedoch dadurch auszeichnet, dass jemand aus freien Stücken aus einem Leben scheidet, das ihm nicht mehr lebenswert erscheint: übrigens ein grundsätzliches Menschenrecht, das vom österreichischen Verfassungsgerichtshof als solches bestätigt wurde und zum Beschluss des Sterbeverfügungsgesetzes durch das österreichische Parlament führte.
Des Weiteren verbreitet Frau Wassermann eine krasse Fehlinformation, wenn sie dem Leser und der Leserin gegenüber vorgibt, sogar das Justizministerium habe auf Krone-Anfrage von einem Ansturm gesprochen, obgleich in Wahrheit lediglich die Anzahl der Sterbeverfügungen abgefragt wurde. Diese tendenziöse Sinnverschiebung ist umso verwerflicher, als die gesetzlich verpflichtende Folgen-Abwägung des Ministeriums im Hinblick auf das Sterbeverfügungsgesetz eine Schätzung von ca. 400 Sterbeverfügungen pro Jahr ergab. In Wirklichkeit waren es bisher lediglich 396 in zwei Jahren, also ziemlich genau die Hälfte.
Von einem Ansturm zu sprechen ist aber auch, von den Zahlen des Ministeriums abgesehen, auch sonst ein statistisch leicht belegbarer Unsinn: Wenn man nämlich davon ausgeht, dass in den Niederlanden mit ihren 17,5 Millionen Einwohnern pro Jahr ca. 7000 Personen durch assistierten Suizid aus dem Leben scheiden, könnte umgerechnet auf die Bevölkerungszahl Österreichs (8,9 Mill.) pro Jahr mit ca. 3000 Sterbeverfügungen gerechnet werden. Selbst gegenüber der Schweiz (8,7 Mill.) mit ihren ca. 1000 assistierten Suiziden pro Jahr fallen somit die Zahlen aus Österreich sehr bescheiden aus, wahrscheinlich auch aufgrund einer durch Artikel wie dem vorliegenden bedingten totalen Un- bzw. Fehlinformiertheit der Bevölkerung in Sachen Sterbeverfügungsgesetz.
2. Natrium-Pentobarbital
Zitat:
„Bei den Medikamenten handelt es sich um eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital oder vergleichbare Mittel, die die „sterbewillige Person“ oder eine mit einer Vollmacht ausgestattete Vertretung in der Apotheke erhält. „Wie viele das Präparat tatsächlich eingenommen und ihr Leben beendet haben, liegt nicht vor“, so Bründler (Justizministerium, Anm. der Red.). Manche haben den Sterbezeitpunkt verschoben, heißt es, und die Sterbeverfügung verlängert. Das Todespräparat sei dann sicher aufzubewahren. Auffallend ist, dass 39 der Dosen zurückgegeben wurden – weil es sich manche anders überlegt haben.“
In alarmistischem Ton vermeldet Frau Wassermann also auch die Rückgabe von 39 Dosen des todbringenden Natrium-Pentobarbitals, weil es sich, wie sie kryptisch anmerkt, manche doch anders überlegt hätten. Kleinlicher Zusatz: Das in diesem Zusammenhang genannte Natrium-Pentobarbital ist nach dem österreichischen Arzneimittelgesetz kein Medikament, das defintionsgemäß auf Heilung und Linderung ausgerichtet ist, sondern ein Präparat!
Der kecken Bemerkung von der Rückgabe der Dosen ist hinzuzufügen: Die Möglichkeit, eine Sterbeverfügung zu errichten, hat nicht nur zur Folge, dass Menschen ihr Recht wahrnehmen können, bei schwerer Krankheit oder nachhaltiger Einschränkung ihrer Lebensqualität die Art und den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu bestimmen, sie hat auch zur Folge, dass Betroffene im Besitze des Todespräparats, und ich kenne persönlich solche Fälle, die Angst vor einem qualvollen Siechtum verlieren, da ja ein letzter Ausweg bei unerträglichem Leiden stets möglich ist.
Wenn dieser letzte Ausweg nun, aus welchen Gründen auch immer, nicht gewählt wird, ist dies nicht ein Scheitern oder Versagen der Sterbeverfügung und der entsprechenden Gesetzgebung, sondern eine durchaus intendierte erfolgreiche Bekämpfung der Angst.
3. Erbschleicher
Zitat:
„In Kärnten errichtet auch die Patientenanwaltschaft Sterbeverfügungen. Allerdings war die scheidende Patientenanwältin Angelika Schiwek kritisch: „Bei meinem letzten Fall habe ich es abgelehnt. Die betagte Frau schien nicht in der Lage zu sein, abzuschätzen, was mit ihr wirklich passieren würde.“ Denn wer sterben möchte, muss das Mittel alleine schlucken oder die Injektion setzen. Und er muss auch wissen, dass etwas schief gehen könnte. „Meiner Ansicht nach war der Sohn sehr interessiert am Tod der Mutter. Sie lebt allein, eine Hauspflege war auch kein Thema, um ihr zu helfen.“
Seinen Höhepunkt erreicht der schlechte Journalismus der Lokalredakteurin Kerstin Wassermann zuletzt bei der Feststellung, dass eine Kärntner Patientenanwältin einer Patientin die Sterbeverfügung verwehrt habe, da sie den Eindruck haben musste, die Betroffene sei nicht fähig, ihre Lage richtig einzuschätzen. Frau Wassermann verbindet den Fall mit dem Sohn der Sterbewilligen, der angeblich auf den Tod seiner Mutter gewartet habe und nicht bereit gewesen sei, für ihre Pflege etwas zu unternehmen oder aufzuwenden. In diesem Zusammenhang wird in der Überschrift des Artikels auch der Begriff Erbschleicher-Alarm verwendet.
Nicht gesprochen wird hingegen genau von jenem, von vielen Betroffenen als extrem bürokratisch empfundenen Procedere, das durch zwei verpflichtende Aufklärungsgespräche durch Ärzte und ein Gespräch mit einem Notar bzw. der Patienten-Vertretung genau solche Sachverhalte zu verhindern hat, wie er ja tatsächlich auch in dem von Frau Wassermann zitierten Fall verhindert wurde. Somit sollte wohl besser von einem klug austarierten Gesetz als von Erbschleicherei gesprochen werden. Wird aber nicht.
Zudem wird kommentarlos in den Raum gestellt, dass bei der Einnahme von Natrium-Pentobarbital etwas schief gehen könne, ein Schauermärchen, das auch von Seiten kirchlicher Kreise immer wieder in die Diskussion geworfen wird.
Eine genauere Recherche, die sich Frau Wassermann natürlich erspart hat, hätte ergeben, dass es nicht das Mittel selbst ist, das eine 20-fach tödliche Dosierung enthält, vielmehr sind allfällige Probleme – übrigens in sehr seltenen Fällen – immer auf eine falsche, durch ein anderes Medikament konterkarierte oder unvollständige Einnahme des Präparats zurückzuführen. Ein Tatbestand, der die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) von allem Anfang an die Forderung erheben ließ, wie in der Schweiz den Zugang zu einer professionellen Sterbebegleitung über entsprechende Vereine wie „Exit“ oder „Dignitas“ zu ermöglichen.
Bilanz:
Man kann nur hoffen, dass eine unsaubere und tendenziöse Berichterstattung wie die vorliegende im Hinblick auf ein so heikles Thema wie die Liberalisierung der Sterbehilfe die Chefredaktion der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs dazu veranlasst, mit der verantwortlichen Redakteurin ein belehrendes Gespräch zu führen, sie dienstrechtlich zu verwarnen und bei einem weiteren Verstoß gegen die primitivsten Grundsätze der journalistischen Sorgfaltspflicht aus den Diensten zu entlassen.
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