Alois Schöpf
Welches Orchester?

Bei der Analyse der entscheidenden Bedingungen für ein gelungenes Konzert – die richtige Location, der richtige Dirigent und das richtige Programm – bleibt zuletzt die Frage, welches Orchester da vor das Publikum tritt?

Ist es ein Sozialverein, der die Musik lediglich dazu benützt oder gar missbraucht, um seinen Mitgliedern eine kuschelige Heimat zu bieten? Oder ist es ein Kunstverein, dessen Zusammenhalt aus der erfolgreichen Beschäftigung mit Kunst, in diesem Fall mit Musik, resultiert?

Welche Vereinsführung hat, Hand aufs Herz, diese Frage schon einmal in rücksichtsloser Ehrlichkeit durchdiskutiert? Ist es den Mitgliedern eines Orchesters zum Beispiel bewusst, dass ein einzelner Spieler, der falsch spielt, die Leistung von 50 anderen, die richtig spielen, zerstören kann?

Wiegt die Fähigkeit eines 3. Trompeters, an der Fritteuse ein Virtuose zu sein, höher als die Tatsache, dass er einen fauchenden Ton produziert, der an einen Haartrockner erinnert?

Ich kann mich noch aus eigener Erfahrung erinnern, dass ich keine Chance hatte, einen solchen Musiker am Mitspielen zu hindern. Ich musste in gleicher Weise mit ihm leben lernen wie mit all jenen, die mich und meinen niemals um Humor verlegenen Stellvertreter irgendwann dazu bewogen, folgenden Zettel ans schwarze Brett zu hängen:

1. Der beste Musiker ist jener, der immer da ist und alles kann.
2. Der zweitbeste Musiker ist jener, der nicht immer da ist, aber immer alles kann.
3. Der drittbeste Musiker ist jener, der immer da ist, aber nicht immer alles kann.
4. Von Musikern, die selten da sind und nichts können, müssen wir uns leider verabschieden.

Resultiert nicht die mangelnde Anerkennung der Blasmusikbewegung in der Öffentlichkeit genau daraus, dass viele Orchester in Wahrheit Sozialvereine sind, jedoch als Kunstvereine eingestuft werden wollen? Und entsetzt reagieren, wenn sie von professionellen Musikkritikern nicht ernst genommen werden? Und engagierte Kapellmeister in die unerträgliche Doppelrolle drängen, immer zu allen nett sein zu müssen, obgleich man zuweilen das ganze Orchester aufgrund von Unzuverlässigkeit zum Teufel wünschen würde. Ab einem gewissen Alter hält man solche Double Binds nicht mehr aus!

Die Formel ist zuletzt ganz einfach: Wenn Sie ein Sozialverein sein wollen, träumen Sie nicht von Kunst, was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass, wenn ein Verein sich als Kunstverein definiert, deshalb das Soziale verloren gehen muss.

Es kommt auf die richtigen Prioritäten, auf die richtige Balance zwischen den beiden Polen Kunst und Soziales und auf eine ehrliche Selbsteinschätzung und Kommunikation nach außen an.

Dann sind zumindest Enttäuschungen nicht vorausprogrammiert.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Karlheinz Töchterle

    Lieber Alois,
    Dein neuester Blogbeitrag regt mich an, Dir von unserem Konzert am letzten Samstag zu berichten. Ich dachte kurz daran, Dich schon im Voraus darauf hinzuweisen, habe das dann aber aus mehreren Gründen unterlassen. Wir haben da etwas für Tirol eher Ungewohntes versucht, nämlich eine Art Frühjahrskonzert mit einem Auftritt als Unterhaltungs- und Tanzkapelle im Rahmen eines Zeltfestes zu verbinden. Ein Motiv für uns war auch der Mangel eines geeigneten Konzertsaales im Dorf, der uns schon vor vielen Jahren auf die Idee von Kirchenkonzerten brachte, wie wir sie alternativ auch weiterhin durchführen wollen.
    Du sprichst ein Grundproblem von Amateurmusikern an und verpackst es, nicht ganz untypisch für Dein radikales Denken im besten Sinn – also das Problem von der Wurzel her anzupacken – in zwei krasse Alternativen.
    Mir scheint klar, daß sich aus Amateuren bestehende Blaskapellen immer irgendwo zwischen diesen Extremen bewegen müssen: Sie werden kaum je den Ansprüchen echter Musikkunst wirklich entsprechen können, sie sind aber auch niemals reine Geselligkeitsvereine, da täte man den individuellen und kollektiven Bemühungen, gute und hörenswerte Musik zu schaffen, eindeutig Unrecht.
    Bei den inzwischen fast schon ‚klassischen‘ Frühjahrskonzerten (so lange gibt es diese Einrichtung flächendeckend übers Land ja noch gar nicht) tritt das von Dir aufgezeigte Dilemma aber durchaus zutage, weil man eben eine anspruchsvolle Konzertatmosphäre schafft, der man dann nicht immer ganz gewachsen ist, obwohl ihr viele gute Kapellen im Land, oft auch verstärkt durch einige Profis, durchaus nahekommen.
    Zurück zu unserem Versuch: Vielen Rückmeldungen und auch unseren Eindrücken nach scheint er gelungen. Nach Vorauftritten einer kleinen Unterhaltungsmusik aus unseren Reihen und eines nicht ganz einstündigen Konzertes unserer sehr tüchtigen Jugendkapelle, die tatsächlich nur aus einheimischen Jugendlichen besteht, spielten wir über nicht ganz vier Stunden ein bunt gemischtes Programm, zuerst eher Konzertstücke und dann Tanzmusik vom Boarischen und der Polka bis zu aktueller Rockmusik vor einem ziemlich begeisterten Publikum.
    Der Erfolg hat uns jedenfalls ermuntert, über Fortsetzungen nachzudenken.

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