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Alois Schöpf
Nachtrag zu "Die Charity-Seuche"
Notizen

Meine These von Freitag, dem 18. März, wonach die meisten Benefizveranstaltungen lediglich Moral und Solidarität missbrauchen, um auf ihrem Rücken die eigene Karriere zu befördern, ist nunmehr statistisch bewiesen.

So wurde das Konzert am Wiener Heldenplatz vom 27. März nach übereinstimmenden Meldungen der Medien von ca. 100.000 Personen besucht. Der Event dauerte von 13:25 Uhr bis 23:00 Uhr und wurde von 20 Künstlern und Institutionen inklusive unseres offenbar in solchen Angelegenheiten unvermeidlichen Herrn Bundespräsidenten nebst Gattin bestritten. Letzterer kann immerhin für sich verbuchen, breiteren Bevölkerungskreisen auch in ländlichen Gebieten ein Begriff zu sein, was von der Sekundärliga der ansonsten an diesem Tag auftretenden Künstler nicht gerade behauptet werden kann.

Ebenso übereinstimmend, wenngleich etwas verschämter, meldeten die Medien dieser Tage, wie es kryptisch heißt, den „vorläufigen“ Betrag von 150.000 € an Spendeneinnahmen. Man muss sich dieses Mahnmal des populärmusikalischen Geizes einmal so richtig auf der Zunge zergehen lassen!

Wenn ein durchschnittliches Konzert aus bürgerlicher Sicht ca. 2 Stunden dauert, so wurden am Heldenplatz im Sinne dieser Berechnung nicht ein, sondern insgesamt 5 Konzerte abgeliefert, was dem erlauchten Publikum angesichts der Nöte in der Ukraine und eines aggressiven Überfalls Putin-Russlands in wahrer Betroffenheit somit 30 Cent pro Konzerteinheit wert war. Dafür durften die knausrigen Musikliebhaber nicht nur ihrer Musik lauschen, sondern sich auch noch auf der richtigen Seite der Weltgeschichte fühlen.

Vor so viel Geschäftstüchtigkeit kann man sich nur noch verneigen oder, sofern man nicht gerade genug gegessen hat, um ausreichend kotzen zu können, das erlauchte Publikum bestensfalls noch damit verteidigen, dass die Veranstalter wahrscheinlich, wie im Zeitalter des Marketings üblich, massiv im Hinblick auf die Zuschauerzahl gelogen haben, wodurch sich das Spendenaufkommen pro Konzert möglicherweise von 30 auf 60 Cent pro Person erhöht.

Zugleich besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass die Spenden auch deswegen so gering ausgefallen sind, weil alle Beteiligten, vom Bühnenverleih bis zum Bühnenarbeiter, vom Kabelträger bis zum gefeierten Künstler zwar alle honorar-, aber mitnichten spesenfrei gearbeitet haben, und sich, wie in der Kunst schon allein aus steuerschonenden Gründen üblich, ihren Rebbach über die sogenannten Aufwandsentschädigungen erwirtschafteten.

Auch damit könnte theoretisch eine gewisse Erhöhung der Prokopf-Spende einhergehen, vor allem wenn man voraussetzt, dass ergänzend zu möglichen Aufwandsentschädigungen auch noch die Lüge in Bezug auf die Zuschauerzahl hinzukommt.

Wie man es aber auch dreht und wendet, auch bei der radikalsten Schonung des Publikums sprechen die Zahlen für sich und erweisen das ach so gut Gemeinte als abgrundtiefe Heuchelei, die im besten Falle von den agierenden Künstlern in ihren durch Corona sauerstoffarmen Ego-Blasen in völliger Naivität nicht erkannt oder, abgehärtet von einem beschissenen Geschäft und dem entsprechenden Verdrängungswettbewerb, beinhart hingenommen wurde. Immerhin ist davon auszugehen, dass sich der angeblich honorarfreie Auftritt, wenn schon nicht finanziell, dann zumindest insofern lohnte, unter dem Mäntelchen der Empathie und der Solidarität durch eine auch in den Medien übertragene Performance bekannter geworden zu sein und damit am Markt der Aufmerksamkeit bei folgenden Auftritten in Zukunft höhere Preise erzielen zu können.

Eine abgrundtiefe Heuchelei ist übrigens auch auf Seiten des Publikums zu verzeichnen, dessen Geiz den Künstlern gegenüber nur als Missachtung der künstlerischen Leistung, wie zweitklassig sie auch immer gewesen sein mag, und dem Aggressionsopfer Ukraine gegenüber als brutale Instrumentalisierung von Kriegsgräueln zum Zwecke des eigenen feeling good bezeichnet werden muss.

Dass es auch ein wenig anders geht, bewies das Konzert im Ernst Happel Stadion, das bei 40.000 Zusehern immerhin 800.000 € an Einnahmen erwirtschaftete, und zwar schlicht und einfach deshalb, weil jeder und jede eine Eintrittskarte von 19,91 € zu bezahlen hatte.

Dreimal darf geraten werden, wer die Karte gratis bekam und dafür sein gütiges Gesicht in die Kamera halten durfte? Genau! Unser Herr Bundespräsident!


PS: Der Beitrag zum Essay „Rationale Dummköpfe“ von Amartya Sen wurde aus Aktualitätsgründen um eine Woche verschoben.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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