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Alois Schöpf
Die Kultur als Fest
Essay

Das Wehklagen, ja der mediale Aufschrei sogenannter Künstler, die, meist prominent und wohlhabend, auch im Namen ihrer weniger erfolgreichen Kolleginnen und Kollegen zu sprechen vorgaben, war unüberhörbar. Wie konnte die hohe Politik ausgerechnet sie, die aus unseren Ländern erst Kulturnationen machen, während all der Regelungen der Pandemie, die ihnen eine Berufsausübung erschwerte, in solchem Ausmaß vergessen? Jeder dahergelaufene Wirt, zumindest in Österreich, wurde durch Kurzarbeit und Umsatzersatz vom Staat vor dem Übelsten bewahrt! Sie jedoch, die Bewahrer und Präsentatoren des Guten, Wahren und Schönen, des Kritischen, des Aufgeklärten und Toleranten, all dessen also, was den Menschen recht eigentlich zum Menschen macht, ließ man fast verhungern? Ganz abgesehen von der wirtschaftlichen Bedeutung der Kreativindustrie, die etwa in Deutschland von der Werbung über den Film bis zur Musikbranche mit 174 Milliarden € im Jahr fast sechsmal so viel Umsatz macht wie die Stahlindustrie mit ihren vergleichsweise mageren 31 Milliarden!

Dass ich, obgleich als Schreibender in gewisser Weise selbst Künstler, auf diese pathetischen Abmahnungen hin eher mit Spott reagieren musste, hängt zum einen damit zusammen, dass ich nach 50 Jahren im Kulturbetrieb weiß, dass immer, wenn der Staat dort Geld ausschüttet, selbiges nur bei „den Gewissen“ landet, wohingegen die anderen, die Bescheidenen und wirklich Guten, meist leer ausgehen. Zum anderen konnte ich in meiner ignoranten Seele auch in der größten Langeweile selbst noch des dritten Lockdowns nie eine signifikante Sehnsucht nach einer sich, wie oben beschrieben, feilbietenden Kunst und Kultur feststellen. Die Künstler, vor allem die, die in den Medien so laut schrien, gingen mir nicht ab, sondern auf die Nerven. Wenn ich nämlich Lust auf ein Konzert, eine Oper, ein Theater oder einen Film hatte, schaltete ich meinen mit dem Internet vernetzten Fernsehapparat ein und genoss ein qualitatives Weltformat, dessen provinzieller Schwund im Liveerlebnis der zweifelsfrei guten heimischen Kulturangebote durch die Möglichkeit ausgeglichen wird, bei einem Glas Wein und in festlicher Atmosphäre andere Menschen zu treffen, mit ihnen zu sprechen und gemeinsam mit ihnen etwa ein Konzert zu genießen.

Apropos Wein und festliche Atmosphäre: wenn ich daran denke, was mir in den letzten Monaten wirklich gefehlt hat, so sind es nicht Kunst und Kultur, die ich mir, wie schon gesagt, aus dem Internet herunterladen kann. Es waren vor allem die Wirtshäuser, Restaurants, belebte Foyers, Foren, Diskussionen, Lesungen, Vernissagen, Konzertbesuche und Premierenfeiern, also all jene Gelegenheiten der Begegnung, durch die es möglich ist, in einer Art Halböffentlichkeit mit Freundinnen und Freunden, die nicht unbedingt dem engsten Familienkreis angehören, mit Gleichgesinnten und Gleichinteressierten also zusammen zu kommen. Und mit ihnen genau das zu tun, was normalerweise auch bei all den Kulturevents geschieht, die nun den wichtigsten Teil ihrer Attraktivität verloren haben, da aus Schutz vor Infektionen die Ausschank von Getränken immer noch verboten ist, die Pausen abgeschafft wurden und die Gaststätten nach dem Konzert überhaupt geschlossen sind oder nur bis 22:00 Uhr geöffnet bleiben dürfen.

Ich bin so ignorant und bekenne offen, dass Kultur für mich in erster Linie nicht Fortbildung und Belehrung bedeutet, sondern dass sie als säkularisierter Ableger ehemals religiöser Riten ein Fest zu sein hat! In Verkennung der anthropologischen Bedeutung des Festes und der mit ihm einhergehenden Verwandlung des Alltags in seine numinose, heilige Kehrseite halten besonders kritische Zeitgenossen diesen Festcharakter der Kultur, etwa bei, wie es sinnvollerweise heißt, Festspielen, für bürgerliches Banausentum. Nach mehr als einem Jahr Pandemie kann man nur noch feststellen: welch ein schrecklicher Irrtum! In einer Zeit, in der nämlich sämtliche kulturellen Angebote, wenn es um Belehrung und Bildung geht, längst in den elektronischen Weltarchiven gelagert liegen und nur abgerufen werden müssen, bleibt das Soziale, der besondere Moment, die kollektive Zuwendung, das Herausgehoben-Sein aus dem Alltag, kurz und gut das Fest das letzte bedeutende Alleinstellungsmerkmal des realen und nicht in die Clouds verbannten Kulturlebens.

Auch in der Bläser- und Blasmusikszene wird die Pandemie ihre Spuren hinterlassen, einerseits dadurch, wie letzthin angedeutet, dass viele Musikerinnen und Musiker die lange Zwangspause nützen werden, um den Verein zu verlassen. Aber auch die Erwartungen des Publikums, das sich an die Bequemlichkeit der oftmals geradezu liebevoll renovierten eigenen vier Wände gewöhnt hat, dürfte sich den üblichen Jahreskonzerten gegenüber, deren Besucherzustrom ohnehin in letzter Zeit zu wünschen übrig ließ, geändert haben. Wo das oftmals stolz vor sich hergetragene kulturelle Engagement, das Belehrende und Lehrerhafte dominierte, sollten die Orchester sich, zumindest aus meiner Sicht, nunmehr bei Wiederaufnahme ihres Betriebs besser darüber Gedanken machen, wie sie ihre Auftritte und Konzerte abseits religiöser Ausrückungen auch im Weltlichen zu etwas Besonderem, zu etwas Festlichem, zu etwas Erhebendem machen können, das von einem des nicht enden wollenden Alltags müden Publikum mit großer Dankbarkeit entgegen genommen würde.

Nicht nur Konzertveranstalter, sondern auch alle anderen kulturellen Anbieter sollten, wenn sie weiterhin erfolgreich bleiben wollen, intensiv darüber nachdenken, was dem Publikum in den letzten Monaten wirklich gefehlt hat: nicht die Kunst und die Künstler, sondern die Gemeinschaft im festlichen, außeralltäglichen Rahmen.


Wikipedia:
„Ein Fest ist ein gesellschaftliches …Ereignis, zu dem sich Menschen an einem Ort zu einem besonderen Zeitpunkt treffen und gesellig sind. Der Tag, an dem das Ereignis stattfindet, wird als Festtag bezeichnet. Feste und Feiern vermitteln Geborgenheit, Halt und stärken das Wir-Gefühl. Sie bringen Freude und Spaß, sie ermöglichen Begegnungen mit anderen in einer entspannten Umgebung.“

Duden:
„Größere gesellschaftliche Veranstaltung in glanzvollem Rahmen.“

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Helmut Leisz

    Lieber Herr Schöpf!
    Danke für ihr erfrischendes Essay!
    Schon lange … nun schon 17 Jahre im Unruhestand – hat sich doch absolut „NIX“ geändert –
    ob im HL LAND TIROL oder sonstwo … ! Es ist wohl so – dass das ALLES ein zutiefst menschliches Verhalten ist und sich wohl nie ändern wird! Viele – nicht nur Politiker – betrachten die Steuergelder als unerschöpflichen Selbstbedienungs-Zapfhahn, der nie versiegt! Dieser Satz tut mir gut – ich zitiere aus ihrem Essay: „Dass ich, obgleich als Schreibender in gewisser Weise selbst Künstler, auf diese pathetischen Abmahnungen hin eher mit Spott reagieren musste, hängt zum einen damit zusammen, dass ich nach 50 Jahren im Kulturbetrieb weiß, dass immer, wenn der Staat dort Geld ausschüttet, selbiges nur bei „den Gewissen“ landet, wohingegen die anderen, die Bescheidenen und wirklich Guten, meist leer ausgehen.“
    Danke – dass sie sich immer wieder soweit aus dem Fenster lehnen!

  2. Marcel Looser

    Lieber Alois!
    Ich habe eben deinen Beitrag „Die Kultur als Fest“ gelesen, wo du anmerkst, Kultur habe als säkularisierter Ableger ehemals religiöser Riten ein Fest zu sein.
    Das Wort Fest geht nun auf lateinisch „dies festus“ zurück – ein den Göttern geweihter Tag, an dem Geschäfte untersagt waren. Mehrere Festtage hiessen „feriae“ (entstanden aus „fesiae“), der Werktag hiess „dies pro-festus“.
    Das Adjektiv „pro-festus“ korrespondiert mit „pro-fanus“ (ungeweiht, unheilig, gottlos).
    Ein „fanum“ (entstanden aus *fas-nom) ist ein „heiliger Bezirk“, in dem z.B. die Opfer stattfanden.
    Das Verb „profanare“ bedeutet „entheiligen, desakralisieren, profanieren“, urpsr. „vor den heiligen Bezirk hinausschaffen“ – das Opfertier musste desakralisiert werden, damit es von der Gemeinde gegessen werden konnte.
    Dieses *fes-/fas- entspricht einem griechischen *thes- , das in „thes-phatos“ (gottgesagt) und schliesslich in „theos“ (Gott; < „thes-os) aufscheint. Ein Fest ist also von seinen Ursprüngen her immer ein religöses, den Göttern zugeordnetes.
    Das zweite indogermanische Wort für Gott ist übrigens sprachlich noch komplizierter, aber ebenso spannend: lat. deus: griech. Zeus, germ. Ziu (cf. engl. Tues-day, schweizerdeutsch „Ziisch-tig) usw. hängen da mit drin – eine fast unendliche Geschichte.

  3. Susanne Preglau

    Soeben, am Abend des 18. Juni, habe ich im Fernsehen, auf ORF2, das Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker im Schönbrunner Schlosspark gesehen. Der Pianist Igor Levit hat Beethoven’s „Für Elise“ gespielt – vor 3000 Menschen, brav verteilt auf Sitzplätze mit gebührendem Abstand, und im Freien an einem herrlichen Sommerabend ohne Masken für die Zuschauer!
    Es war wunderbar – und doch – im Vergleich zu vielen anderen Jahren – war der Kameraschwenk des ORF über den riesigen Park zwischen Schloss und Gloriette eine menschenleere Wüste.
    Genau dieser Eindruck ist es, den Alois Schöpf in „die Kultur als Fest“ beschrieben hat.
    Es ist so zu wünschen, dass es ab dem 1.Juli wieder aufwärts gehen möge mit den Möglichkeiten zu einem „normalen“ Leben nach der Pandemie.
    Und es ist zu wünschen, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen, damit im Herbst nicht wieder alles in diesen schrecklichen Ausnahmezustand der Angst jedes vor jedem zurückfallen muss.

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