Alois Schöpf
Moralismus statt Rechtsstaat
Essay
1. Teil
Auf meinen Artikel „Hoch lebe der Bürgerkrieg“ vom 7.10.2021 im vorliegenden Blog bekam ich neben Lobendem auch zahlreiche, äußerst kritische Mails. Einige davon empfand ich als eindeutig überschießend. So etwa, wenn mir ein Herr Jenewein den Staatsanwalt an den Hals wünschte, um die Frage untersuchen zu lassen, ob ich Volksverhetzung betreibe. Dabei ist der Titel meines Artikels nur bei völliger Ironiebefreitheit als Aufforderung und nicht vielmehr als paradigmatische Zusammenfassung der Kritik an den Gegnern von Sebastian Kurz und seinem Regierungsteam zu verstehen. In ihrem Hass, das war die These, ist nämlich der Opposition und den meisten Medien derzeit der innere Frieden des Gesamtstaates kein vordringliches Anliegen mehr. Lieber riskieren sie einen zumindest geistigen Bürgerkrieg, als von ihrem unerbittlichen Vernichtungswillen und ihrer Lust, eine Person zu demütigen und auszuschalten, abzulassen.
Dass dieser Hass verständlicherweise auch mich streifte, veranlasst mich am Beginn meiner Überlegungen zur Feststellung, dass ich Sebastian Kurz tatsächlich immer schon für ein außerordentliches politisches Talent gehalten habe, auf das die Österreicher hätten stolz sein können, wenn inzwischen nicht einige Dinge passiert wären, die zwar nicht sein Talent, jedoch nach Ansicht einer parlamentarischen Mehrheit und unseres präsidialen Kaiser-Franz-Joseph-Darstellers seine Regierungsfähigkeit in Frage stellen.
Ich gestehe gern ein, dass ich mich im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen, denen ich zubillige, dass sie offenbar mit höherer Intelligenz, Menschenkenntnis, Erfahrung und Reflexionskraft ausgestattet sind, in der Einschätzung des jungen, inzwischen schon wieder zum Altkanzler mutierten Politikers geirrt haben mag. Ganz glaube ich es jedoch bis heute nicht. Ich bin sogar der Überzeugung, dass er in Anbetracht seines jugendlichen Alters in aller Ruhe und inzwischen schmerzhaft belehrt von dem, was geschehen ist, sofern er überhaupt noch Lust dazu verspürt, sein Comeback vorbereiten wird und auch vorbereiten sollte. Und sei es, indem er, italienischen Verhältnissen vergleichbar, bei ausbleibender Solidarität der sich rasch wieder schwarz Rückfärbenden eine eigene Partei gründet und mit dieser die ÖVP verdienterweise auf ihre wahre konservativ-rural-christliche Dimension, also auf Limes gegen Null reduziert.
Vor dem Hintergrund dieser Feststellung möchte ich festhalten, dass ich im Übrigen jeden anderen Politiker und jede andere Politikerin auch, ob sie Rendi-Wagner, Meinl-Reisinger oder Kickl geheißen hätten, in gleicher Weise gegen all das massiv verteidigt hätte und verteidigen würde, was über Sebastian Kurz hereingebrochen ist.
Nicht nur, dass Kurz unverschuldet zum Symbol für einen seit den Bürgerkriegen der 1. Republik noch immer nicht aufgearbeiteten, im Untergrund weiter schwelenden Hass zwischen links-marxistisch und rechts-katholisch bei gleichzeitig fehlendem, vermittelndem authentischen Liberalismus wurde.
Er wurde auch Opfer von zahlreichen bislang noch nicht zustellbaren, offenen politischen Rechnungen für die narzisstischen Verletzungen all jener Frustrierter, die es nicht so weit geschafft haben, wie sie es schaffen hätten wollen, ob dies nun den Wirtschaftskammerbediensteten Mitterlehner, den katholischen Intellektuellen (in sich schon ein Unsinn) Busek, den Berufsprominenten Fischler, den Gottesbeamten Küberl oder den Bäumeumarmer Strolz betrifft, um nur einige Beispiele zu nennen.
Ganz abgesehen von den Medien, deren wohlfeile moralistische Hyperventilation den Niedergang der Auflagen und Zuseherquoten aufhalten soll, um statt mühsamer Beschäftigung mit den diffizilen Problemen des politischen Alltags über den Glanz des Moralisierens eine merkbare Arbeitsentlastung bei gleichzeitiger Selbstheiligsprechung zu lukrieren. Es sei dahingestellt, ob mit dieser Art von Skandalisierung jene Medien zu retten sind, die nicht von gesetzlich verordneten Zwangsgebühren leben, sondern abseits von Förderungen und willkürlich verteilten staatlichen Inseratenschaltungen auch noch am freien Markt erfolgreich zu bestehen haben.
Alle diese Attacken auf den politischen Gegner Kurz und ein denunziatorisch abqualifiziertes angebliches „System Kurz“ gründen auf der These, die der Vizekanzler und Obmann der Grünen Werner Kogler in einem Interview auf den Punkt gebracht hat, indem er zwischen dem Gesetz, der Moral und der Politik eine Unterscheidung traf und hinzufügte, dass der Anlass für den Koalitionsbruch nicht die Notwendigkeit sei, dass Kurz sich vor Staatsanwaltschaft und Gericht zu rechtfertigen habe, sondern dass aus den, im Übrigen illegal an die Öffentlichkeit gelangten Chats (eine Tatsache, über die sich offenbar niemand zu empören scheint, obgleich sie in absolut bedrohlicher Weise das Horrorszenario des gläsernen Menschen der Zukunft vorausnimmt) eine Gesinnung, eine Respektlosigkeit, ein Menschenbild, eine Arroganz, eine Unanständigkeit und ein Negieren staatlicher Institutionen in einem Ausmaß spreche, dass eine weitere Zusammenarbeit weniger aus juridischer, denn aus moralischer Sicht unmöglich sei.
Mit seinem bereits etwas früher platzierten Satz „So sind wir nicht!“, schlug unser Herr Bundespräsident in die gleiche Kerbe, obgleich er als Ex-SPÖ-Mitglied und Antikapitalist mit plötzlich vor Wahlen aufflammender kaunertaler Heimattümelei und Ehrenbürgerschaft, mit seinem Sektempfang in Paris aus Freude über die Sanktionen gegen Österreich und seiner als lebenslänglicher Atheist und Agnostiker unendlich peinlichen Rückkehr in den Schoß der Evangelischen Kirche sehr wohl genau ein solcher ist.
Statt im Hass fortzufahren und die Gräben immer noch tiefer aufzureißen, wäre es zur Aufrechterhaltung des inneren Friedens daher empfehlenswert, eingehend und öffentlich darüber zu diskutieren, was in einer Gesellschaft geschieht, wenn zeitgeistige und gerade modische moralische Vorstellungen die Gesetze, die nichts anderes sind als demokratisch legitimierte, verschriftlichte Moral, zu überrollen beginnen. Dies geschieht keineswegs nur in der Politik, sondern bereits auch in vielen anderen Bereichen, es sei lediglich an die auch nach Österreich importierte Me too-Debatte erinnert, die etwa das Lebenswerk des Dirigenten Gustav Kuhn ruinierte, ohne dass die Staatsanwaltschaft gegen Kuhn auch nur eine Anklage erhoben hätte.
Rechtspositivismus
Lehre, die – im Unterschied zum Naturrecht – die These vertritt, dass Recht und Moral streng getrennt werden sollten. Recht sei das, was der Gesetzgeber im vorgeschriebenen Verfahren als solches verabschiedet hat. Eine Beurteilung des Rechts an moralischen Maßstäben verbiete sich in modernen Gesellschaften, weil es keine einheitlichen oder gar homogenen Moralvorstellungen gebe. (Definition aus Bundeszentrale für politische Bildung https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/323925/rechtspositivismus)
Inwieweit sich der Staat in der Vergangenheit zu unser aller Vorteil aus einer, in diesem Fall überkommenen Moral verabschiedet hat, ergibt sich übrigens durch einen Rückblick in Zeiten, in denen das Einquartieren unverheirateter Paare in einem Hotel noch als Kuppelei geahndet werden konnte und Frauen, die bei Abtreibungen ertappt wurden, mit schweren Gefängnisstrafen bedroht waren. Ganz abgesehen von Homosexuellen, denen das Leben ruiniert wurde, wie jüngst aus einer Stellungnahme und gleichzeitigen öffentlichen Entschuldigung durch Justizministerin Alma Zadić hervorging.
Soll die Moral also, der neue Puritaner, der neue Sexualhass, die neue Verfolgung des Delinquenten bis in seine intimsten Äußerungen, eine neue, all jene, die es zu einem Opferstatus geschafft haben, militant schützende Sittlichkeit, soll all dies zuungunsten der bestehenden Gesetze unseres relativ liberalen Staates, in dem wir ein goldenes Zeitalter erleben durften, ersetzen? Wenn ja, kann ich nur glücklich darüber sein, dass ich alt genug bin, um wahrscheinlich die Folgen dieses auf uns zu kommenden inquisitorischen Exzesses nicht mehr erleben zu müssen.
Fortsetzung folgt
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Lieber Alois, danke für Deine couragierten Zeilen, die den grün-linken Zeitgeist relativieren.
Lieber Andreas, meine Güte, bist Du jetzt auch schon unter die Moralisten gegangen, die „hinterfotzigen Machterhalt“ für etwas ganz Neues halten und nur bei Sebastian Kurz orten? Glaubst du allen Ernstes, dass die Chats und Gesprächsprotokolle bei anderen Politikern anderer Parteien so ganz anders aussehen würden? Und noch etwas lieber Freund Andi: Ich erinnere mich an Gespräche, die wir zwei vor „tausend“ Jahren über Tiroler Politiker und Funktionäre geführt haben. Zu unser beider Glück waren wir allerdings nicht so blöd, das niederzuschreiben.
Euch beiden, Andi und Alois, in alter Freundschaft alles Gute
Michael Motz
Lieber Alois!
Lese gerade mit Interesse Dein „Moralismus statt Rechtsstaat“ Essay 1. Der Titel führt in die Irre! Das Thema rund um den Herrn Kurz sollte vielmehr “ Hinterfotziger Machterhalt statt redlicher Sorge um das bonum commune “ lauten!
Sogar der Herr Zangerl von der AK hat in ganzseitigen Annoncen den Herrn Kurz weder moralisch oder juristisch, sondern lediglich politisch radikal entzaubert und als zynischen Karrieristen bloßgestellt:
Wie kann ein führender türkiser ÖVP Politiker in einer gefährlichen Melange aus Unverstand und Machtgeilheit sowohl die von seiner Partei akkordierte Beseitigung der „kalten Progression“ als auch die obligatorische Bezahlung einer „KinderNachmittagsBetreuung“ sabotieren und hierdurch die österreichische Bevölkerung substantiell und nachhaltig schädigen!?
Ein solch singulärer Akt von sachpolitischer Destruktion disqualifiziert und stigmatisiert jeden politischen Akteur!
Ich hoffe, lieber Alois, dass Du in Deinen folgenden Essays diesem zentralen Aspekt der ganzen innenpolitischen Erregung Dein gebührliches Augenmerk schenken magst!
Mit freundschaftlich abendlichen Grüßen!
Andreas Braun