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Peter Paul Wiplinger
Suizidgeschehen


Vorbemerkung:


Ursprünglich wollte ich diese Woche mein Essay einer Buchneuerscheinung des Österreichischen Philosophen Rudolf Burger widmen, der in einem Interview bereits im Jahre 1998 eine Liberalisierung der Sterbehilfe für Österreich einforderte. Die Tatsache, dass es nunmehr nach fast einem Vierteljahrhundert vielleicht so weit zu sein scheint, sollte dabei als absoluter menschenrechtlicher Skandal thematisiert werden. In der Zwischenzeit erreichte mich jedoch ein Gedicht und ein Begleitbrief des renommierten österreichischen Autors Peter Paul Wiplinger, der als unmittelbar Betroffener und Schwerkranker einen wesentlich relevanteren Beitrag zu diesem gerade aktuellen Thema beisteuern kann.

Ihm sei daher mit tiefer Hochachtung der Platz eingeräumt.

Alois Schöpf


SUIZIDGESCHEHEN

zuerst das erstgespräch
dann das zweitgespräch

im gegebenen bedarfsfall
noch bedarfsgespräche

die willenskundgebung
der leistungsvertrag

der weg zum intercityzug
der endgültige abschied

wir haben alles besprochen
es geschieht wie es geschieht

die ankunft das elegante hotel
der weg ins büro in die klinik

das langsame sichauskleiden
das bedächtige sichankleiden

das warten die sanfte musik
dann kommt der sterbehelfer

in seinen händen der vereinbarte tod
der glaskelch wird vorsichtig abgestellt

sich zugeworfene verstehensblicke
eine hand greift nach dem glaskelch

der mensch setzt ihn an die lippen
trinkt ihn ruhig und langsam aus

dann schließt er für immer die augen
und stirbt einen humanen würdigen tod



PS:

Lieber Herr Schöpf, ich bedanke mich für Ihr Interesse an diesem Gedicht, das ja eine Hintergrundgeschichte hat. Meine Nichte „arbeitet“ bei der Sterbehilfe in der Schweiz, hat ihre beste Freundin so begleitet. Der Schauspieler Fux ist gleichfalls zum Sterben in die Schweiz gefahren. Wie mag wohl sein Abschiednehmen von seiner Lebensgefährtin – für ihn und sie – gewesen sein.

Der Ludwig Hirsch ist im Wilhelminenspital in Wien aus dem Fenster eines oberen Stockwerkes gesprungen – ein unschöner Tod; aber adäquat seinem Lied: „Komm großer schwarzer Vogel, …!“ oder so ähnlich. Und als ich im Sommer meine Längen im Stadionbad geschwommen bin, habe ich – so wie stets die Raunzer Suada des Kronenzeitungs-lesenden-und-kommentierenden österreichischen Normal-Allltagsfaschisten gehört, der seinen Senf dazu abgegeben hat, zum Hirsch seinem Freitod.

Und: Selbstverständlich bin ich dafür! Mich hat ja auch niemand gefragt, ob ich leben will, in dieses Leben auf diesem Planeten, in die Nazikriegszeit hineingezeugt werden will. Und niemand findet etwas dabei, fand damals nichts dabei, es war ganz normal, daß die Väter und Söhne, die Brüder und Geliebten zum Sterben in den Krieg („für’s Vaterland“!) gezogen sind und „auf dem Feld der Ehre“ als Helden gefallen sind. Und diese Losung gilt bei den Kameradschaftsbünden noch bis heute.

Diese elende Verlogenheit! Aber wenn ein todkranker und von Schmerzen gepeinigter, hoffnungsloser, des „Lebens“ überdrüssiger Mensch, weil das kein Leben ist, in seiner eigenen Scheiße zu liegen, sterben will, dann fängt die große moraltheologische Diskussion – das Palaver – der Ethik-Kommission an. Von denen habe ich zu den vollstreckten Todesurteilen an den Nazi-Widerstandskämpfer-innen nie etwas gehört. Bla-bla-bla!

Und was geht mein Leben oder Ableben denn „die Anderen“ an. Die kümmern sich doch auch einen Scheiß um mich. Also: Ohne meine eigene Krankheitserfahrung (Pankreas-Krebs) hätte ich mich wohl nie mit dem Gedicht dem „Thema“ Wirkliches-Sterben !, seiner Wirklichkeit, seiner existentiellen Wirklichkeit so genähert wie das dann der Fall war. Eben „der Fall“! (Wittgenstein).

Und übrig bleibt man mit dem Gedanken: Wie wird mein Sterben sein? Und kann ich dann selber noch was tun dazu? Und überhaupt: Hört mir doch endlich auf mit eurem theoretischen, kokettierenden Dichtergeschwafel à la Rilke: „O Herr, gib jedem seinen eignen Tod!“.

Aber die Realität ist das Verrecken auf den Intensivstationen in den Spitälern; „in weißen Räumen, allein und in Angst“ – heißt es in einem meiner Gedichte (aus 1980). Komisch, meine Erinnerung sagt mir: Als ich nach einer 7-Stunden-Krebs-OP auf der Intensivstation lag, war alles schwarz: mein Körper, meine Hände, meine Füße, alles rundum. Erschreckend!

Aber das einzig Schöne war die Schmerzlosigkeit und das Hineingleiten in den Schlaf. So sollte ES sein. Aber Wunsch und Realität sind nicht deckungsgleich im Leben; und so auch nicht im Tod.

Peter Paul Wiplinger 5.10.2021

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Peter Paul Wiplinger

Wiplinger wurde 1939 in Haslach in Oberösterreich geboren. In seiner Jugendzeit besuchte er unter anderem das Bischöfliche Gymnasium Petrinum. Danach studierte er Theaterwissenschaften, Germanistik und Philosophie. Seit 1960 lebt er als freier Schriftsteller und Fotograf in Wien. Als Mitglied des internationalen und des österreichischen P.E.N.-Clubs, der Österreichischen Liga für Menschenrechte, des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und der IG Autorinnen Autoren erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen. 2006 wurde ihm der Titel Professor honoris causa verliehen. Bisher veröffentlichte er etwa 45 Bücher, die teils in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden. Zu seinen Werken zählen hauptsächlich politische Essays, Liebesgedichte und künstlerische Fotos.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Rainer Haselberger

    Möge uns allen das Sterben so gelingen, wie wir uns das wünschen! –
    Ich bin neugierig, ob es am 1.1.22 eine Regelung zum assistierten Suizid in Österreich geben wird, wenn der dbzgl. StGB-§78-Tatbestand aufgehoben ist.

  2. Ralph Holtfeuer

    In den Niederlanden ist die Sterbehilfe schon seit Jahrzehnten möglich. Ich habe bei meinem Aufenthalt dort eine berührende Geschichte im Fernsehen mitanschauen dürfen. Die aktive Sterbehilfe wird nach genauester Prüfung des Krankheitszustandes gewährt.
    Ralph Holtfeuer

  3. eibel

    peter paul wiplinger ein künstler durch und durch, auch wenn er krank ist!! danke für das gedicht und danke für die entdeckung von peter paul, dem dichter!!!!!!!

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