Rechtsstaat und Freiheit

Es war höchste Zeit, dass ein führender Politiker unseren beiden Starjournalisten und gebürtigen Tirolern Armin Wolf und Corinna Milborn einmal den Rechtsstaat erklärte. Karl Nehammer stellte am letzten Sonntag bei seinem ersten großen Interview als Neobundeskanzler jedenfalls unzweideutig fest, dass hierzulande jemand so lange als unschuldig zu gelten hat, solange ihn nicht ein unabhängiges Gericht für schuldig erkennt, und dass die Unschuldsvermutung nicht eine leere Floskel sein darf. Leider war sie es in den letzten Monaten zu oft.

Und zwar zum Schaden für uns alle! Die Liberalität einer Gesellschaft, also unsere Freiheit, im Rahmen der Gesetze denken, reden und leben zu dürfen, wie wir wollen, basiert darauf, dass das richtige und falsche Verhalten nicht mehr willkürlich von Päpsten, Kaisern und Diktatoren wie früher oder von anonymen sozialen Medien wie heute definiert wird.

In einem liberalen Staat wurde diese Aufgabe an unabhängige Gerichte delegiert, welche die Einhaltung von in Parlamenten beschlossenen Gesetzen zu überwachen haben. Wenn diese ihre Leistung jedoch durch Moralisieren unterlaufen und sogar ersetzt wird, vernichten wir uns mit erhobenem Zeigefinger die Freiräume des selbstbestimmten Lebens. Wo nämlich die Angst herrscht, bereits verurteilt zu werden, bevor man ein Gerichtsgebäude auch nur von außen gesehen hat, wird Scheinheiligkeit zum Überlebensprinzip.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Hans Pöham

    Gefühlsentscheidungen

    Beim Referendum entscheidet das Gefühl. Gefühle sind mächtig. Sie dirigieren uns dorthin, wo wir unsere Hoffnungen am ehesten erfüllt sehen. Gewissheit gibt es nicht. Gefühle können Macht verteilen. Der Protagonist erreicht über Wähler-Gefühle eine Führungsposition.

    Wie dumm, dass man diese an sich nicht schlechten Spielregeln nun so perfide auszuhebeln weiß. Jenen nämlich, die es überflüssig haben, gelingt ganz leicht ein mediales Klima zu erzeugen, das alle Arten von Gefühlen zu wecken imstande ist.

    So kann ein beliebig Unmessbarer, ein Willfähriger, an den nirgendwo eine Messlatte zu legen ist, zum nationalen Hoffnungsträger steigen. Bevorzugt dann, wenn er auch noch zum rhetorischen Scherenschleifer taugt. Da kann es sein, dass sich die Alten, im Versäumnis „Halt!“ zu rufen, wie Deppen vorkommen.

    So muss seit Jahren der Überfluss um den Globus herum die dafür maßgeschneiderten und gut frisierten Narzissten finden, damit das Werkl weiterrennt. Es sind meist Männer, die sich gerne in die Taschen stopfen lassen. Gegen alle verbindlichen Regeln und Agreements verstoßend, wagen sie sich dann auf die Bühne und ziehen sich selbst – im Rausch der sie umringenden, bis auf die Dessous eingefärbten Verehrer_innen aus dem Hut.

    In welch schlechtem Zustand – sagt der Verstand – kann denn ein Gebäude nur sein, das der den alten Hausherrn verjagende Narziss im Erfolg des frechen Kalküls eilends um sich bauen hat müssen. Der edle Abrieb, den die putzverrücktesten Restauratoren an allen Ecken reibend haftbar machen wollten, musste vor ihren Augen bröckeln. Der junge Narziss hat nichts Erbauliches gelernt, es fehlte ihm an Erfahrung und an der Qualität, es musste bröckeln.

    Das Sichtbar-Gewordene hat die allgemeine Gefühlslage gedreht. Unsere Demokratie, die gute, atmet, ist liberal genug. Sei es denen gedankt, die in ihrer Pflicht nicht müde wurden, dieses aus dem Hut gezogene Gebäude auf Hohlheit abzuklopfen.

    Gefühle sind befugt, Macht zu geben – und Macht zu nehmen. Das Volk entscheidet. Es darf sich wieder grundlos neue Hoffnung machen. Mehr kann die Beste aller demokratischen Welten niemals geben.

  2. Leo Brux

    Juristisch gilt sie, die Unschuldsvermutung.
    Aber bin ich der Richter?
    Stehe ich jetzt an irgend einer Stelle des Gerichts?
    Sogar da darf der Staatsanwalt von der Schuld des Angeklagten ausgehen und sie als offensichtlich bezeichnen.

    Also, darf ich als Bürger Ankläger sein?
    Oder vielleicht auch kein Mitglied des Gerichts, sondern ganz einfach Bürger?

    Dann stelle ich fest: Es sieht verdammt so aus, als ob sich die Türkisen auch rechtlich so tief in die rechtliche Grauzone hineinbewegt haben, dass sie einige Male am kriminellen anderen Ende dieser Grauzone herausgekommen sind.

    Das ist wohl so bei der glatten Lüge von Kurz vor dem UA. Das ist wohl so bei der Finanzierung von Beinschab. Vielleicht sogar noch bei einigen der Finanzamts-Manipulationen durch die „Huren der Reichen“.

    Ich halte die Türkisen für schuldig.

    Dabei bin ich mir bewusst, dass die Schuld noch nicht gerichtlich entschieden worden ist.
    Ich bin mir bewusst, dass meine Informationen bruchstückhaft sind und mich übertreiben lassen könnten.
    Ich bin mir auch bewusst, dass die Justiz in Österreich nicht unbedingt verlässlich ist – wenn ich etwa an die Prater-Sauna-Story denke, die ZackZack berichtet hat. Könnte es sein, dass man da gegen den Türkis-Spezi Martin Ho gar nicht ermitteln WILL?

    Also, Herr Schöpf, ich halte mich persönlich nur bedingt an das, was man „Unschuldsvermutung“ nennt.

  3. Michael Motz

    Hallo Alois,
    ich teile Deinen Kommentar. Dass selbsternannte Moralapostel vom Rechtsstaat wenig halten, ist leider provinzielle Realität. Die „Ausschöpfung des Rechtsstaates“ kann nur spöttisch sehen, wer nie in der weiten Welt unterwegs war und mit Menschen gesprochen hat, die von einem Rechtssystem mit Instanzenzug träumen. Diese Erkenntnis hat mit Bildung zu tun. Ideologie und Hass kommen zu anderen Ergebnissen. Das geht weit über Kurz hinaus.
    Alles Gute weiterhin wünscht Dir Michael

  4. Robert Karl

    Und jetzt zurück zum Thema – das Mantra von der angeblich zu vermutenden Unschuld von Kurz an dem nach ihm benannten System. Es kriegt allmählich kabarettistische Züge, wie hier wieder und wieder der Untergang des Rechtsstaates beschworen wird, wenn schon wieder neue Grauslichkeiten von den Praktiken der „Familie“ bekannt werden, und ehemalige Wähler zu erkennen drohen, wem sie da aufgesessen sind. Bitte beruhige dich, Alois, so funktioniert halt die Demokratie: informierte und wache Wähler bilden sich nach Bekanntwerden von Fakten ihre Meinung und nicht nach Ausschöpfung des Instanzenzugs. Damit müssen wohl auch die verbleibenden Kurz-Verehrer leben.

  5. Werner Beck

    Liebe Freunde und Freundinnen des schoepfblog!
    Darf ich Euch um ein wenig ZEIT bitten für meine Gedanken zum Jahreswechsel 2021/2022 und für Weihnachten 2021:
    Letztes Jahr um diese Zeit kam der Impfstoff der Firma BionTech Pfizer gegen das Coronavirus auf den Markt – übrigens auch primär entwickelt von dem Innsbrucker Univ. Prof. Dr. Christof Huber, der in Innsbruck/ Arzl lebt – und ich freute mich mit dem „Halleluja“ von Händel auf ein Jahr, in dem das Virus besiegt werden wird!
    Nichts davon im Jahr 2021,„Turbulenzen“, wir Österreicher „ meisterlich“ nicht nur in der Politik, nun auch im gesamten gesellschaftlichen und privaten Leben, Spaltungstendenzen bis in Familien und Freundschaften…..wohin soll das führen, noch ist kein Ende in Sicht!!
    Auch durch diese Geschehnisse ließ sich die ZEIT nicht aufhalten und wieder ist ein Jahr an ZEIT vergangen:
    Ein weiteres Jahr unseres „Metallischen ZEITalters“:
    „Silber in den Haaren, Gold in den Zähnen und Blei in den Beinen!!“haben wir hinter uns gebracht!!
    Mit dem Phänomen der ZEIT haben sich Dichter, Denker, Komponisten uvm.beschäftigt und hiezu einige Beispiele( auszugsweise) aus meinen Erlebnissen seit meinem humanistischen Gymnasium:
    In der Oper der „Rosenkavalier“, Text von Hugo von Hoffmannsthal, Musik von Richard Strauss, singt die „Marschallin“ in ihrem Monolog:
    „Die ZEIT, die ist ein sonderbar Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar Nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie, sie ist um uns herum und auch in uns drinnen…..Sie fließt, lautlos wie eine Sanduhr…..man braucht sich aber auch vor ihr nicht zu fürchten, auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns alle erschaffen hat….“
    Und dazu geniale Musik!!
    Rainer Maria Rilke schreibt in einem Herbstgedicht:
    „Herr, es ist ZEIT, der Sommer war sehr groß, leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren und auf den Fluren lass die Winde los, befiehl den letzten Früchten voll zu sein, schenk ihnen noch zwei südlichere Tage und jage die letzte Süße in den schweren Wein….und letztlich wandert man unruhig in den Alleen, wenn die Blätter treiben!!!!
    Kürzlich hörte ich im Fernsehen in dem Heimkonzert beim André Heller mit dem Bassbariton Günther Groisböck ein Wienerlied, getextet und komponiert von André Heller:
    „An-nageln kannst es nit, die ZEIT, annagln kannst es nit!!“…ein absurder aber köstlicher Gedanke, das ist typisch wienerisch, denn wie er noch meinte, ein Wienerlied muss auch „traurig und melancholisch sein, sonst ist’s nit ernst“
    Noch einmal: Das siebenbändige Werk des französischen Schriftstellers Marcel Proust:
    „Auf der Suche nach der verlorenen ZEIT“, als ZEIT, die vergeudet scheint und als ZEIT, die unwiederbringlich vergangen ist, wenn sie nicht in der ERINNERUNG konserviert wird!!
    Und was die Erinnerung betrifft, hat mir unser großartiger Kollege Dr. Klaus Reisch – verstorben am 26.1.2021 – folgenden Gedanken mitgegeben: „Die Erinnerungen sind die Paradiese, aus denen wir nicht vertrieben werden können!“
    Damit haben wir ein höchstpersönliches Rezept, wie wir die vielen Probleme am Wege der Endlichkeit unseres Daseins leichter ertragen können!!
    Und zum Schluss noch eine Lebensweisheit unseres österreichischen Dichters Franz Grillparzer aus einem seiner Dramen:
    „Was ist der Erde Ruhm, ein Schatten, was der Erde Glück, ein Traum!“…. Also abgeklärt werden!!
    In unserem vor allem beruflichen Alltag spielte Erfolgsdruck gepaart mit viel Arbeit eine große Rolle, nun lehrt uns unser Seniorendasein ,Ruhe, Gelassenheit, Genügsamkeit und dem Herrgott still und leise zu danken, dass wir in einem so wunderbaren Heimatland wie unserem TIROL leben konnten und noch lange leben können!!
    In diesem Sinn Alles Gute im Neuen Jahr und frohe Weihnachten 2021!

    Von meinem iPhone gesendet

  6. Josef R. Steinbacher

    Erravimus………
    Auch die Sozial-Reformer in Österreich und Europa der letzten 50 Jahre müssen ernüchternd feststellen: „WIR HABEN UNS GEIRRT!“ Denn noch nie hat sich der Kapitalismus mit einer derartigen Geschwindigkeit, dank elektronischer Medien, in den vergangenen Jahrzehnten ungehindert entwickelt und dazu die größte selbstzerfleischende Wirtschaftskrise seit 1929 ausgelöst. Und was sich derzeit im rigoros gesteuerten asiatischen Raum zusammenbraut, lässt wenig Gutes erwarten.
    Der Kapitalismus ist trotz aller Versuche, dieses freie Spiel von Geld und Vermögen in Grenzen zu halten, niemals auch nur im Ansatz steuerbar geworden. Vielmehr sind neue, durch Internet möglich gewordene Spielregeln für das Spiel der freien Kräfte mit verheerenden, wirtschaftlichen Folgen entstanden. Und gerade die von vielen Staaten entwickelten Sozial-Reformen, leisteten dem ’neuen‘ Kapitalismus des 20. und 21. Jahrhunderts kräftig Vorschub.
    Die Einrichtung von Fonds-Konstrukten, also die Kapitalsicherung für Pensionen und andere, zukunftsgerichtete Sozial-Wertsicherungen, forderten die Großanleger aller Herren Länder geradezu heraus, bei diesen staatsgesicherten Geldern mit zu spekulieren. Damit war der Spieltisch um einen sehr interessanten Mitspieler erweitert.
    Und so rasen im 21. Jahrhundert täglich und stündlich ungehindert Milliardenwerte in Geld, Waren und sonstigen Vermögenswerten aller Art, im Blitztempo um den Globus. Es gibt dafür bisher keinerlei Taxen für diesen unvorstellbaren Werte-Verkehr, denn nur 1% dieses Wertetransfers würde das Armuts- und Entwicklungsproblem der 3. und 4. Welt unseres Globus incl. Umweltrettung lösen.
    Die dafür zuständigen Staatenbünde sind vorhanden, es fehlt an couragierten, verantwortungsbewußten Politikern, die den Mut haben, weltweit entscheidende Beschlüsse zu fassen und deren Umsetzung zu veranlassen.

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