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Thomas Nußbaumer:
Schrilles Durcheinander mit Ideen,
die im Nichts verpuffen.
"Le nozze di Figaro" am Tiroler Landestheater
Premieren-Besprechung

Barbora Horáková gilt als Shooting Star der Opernregie und wird demnächst an der Wiener Staatsoper die Zauberflöte inszenieren. Laut eigenen Angaben ist es ihr wichtig, einen Stoff jenseits der Sehgewohnheit plötzlich anders zu erleben

Dieser Ansatz lenkte sie auch bei der Inszenierung von Wolfgang Amadé Mozarts Opera buffa Le nozze di Figaro am Tiroler Landestheater in Innsbruck.

Das Ergebnis war ein ziemlich schrilles, heterogenes Durch-, In-, Mit- und Gegeneinander, das in den Bühnenbildern und Videoeffekten von Falko Herold durch ein Gemisch aus dunkelgrau-düsterer Fantasy-Atmosphäre, Zaubermärchen und teils animierten, kräftigen Cartoons verstärkt wurde. Viele Ideen jedoch verpufften immer wieder im Nichts. 

Figaro (Benjamin Chamandy) und Susanna (Sophie Mitterhuber) wollen heiraten © Birgit Gufler Figaro (Benjamin Chamandy) und Susanna (Sophie Mitterhuber) wollen heiraten © Birgit Gufler

Im ersten Akt ist Conte Almaviva ein Immobilienagent offenbar für Kleinhäusler, was aber für die Interpretation des Stoffes bedeutungslos bleibt. Die Contessa ist eine frustrierte, meist alkoholisierte Hausfrau, die im 2. Akt Stücke einer riesigen Hochzeitstorte in sich hineinschlingt. Um die Zerrüttung ihrer Ehe aufzuzeigen, erfand die Regie eine eingeschobene, wie in alten Stummfilmzeiten am Klavier begleitete sentimentalische Cartoon-Story, die von unerfülltem Kinderwunsch und Flucht in die berufliche Karriere erzählt. 

Am Ende findet man sich zum Verwirr- und Täuschungsspiel in einem Garten unter überdimensionalen Pilzen.

Irritierende Bilder wechseln mit mitunter witzigen Ideen, und ebenso verhält es sich mit der Personenregie, die unschlüssig und hektisch zwischen drastischer Unterstreichung des gesungenen Inhalts und seiner totalen Untergrabung switcht.

Der eifersüchtige Conte Almaviva (Jacob Phillips) und die Contessa (Marie Smolka) © Birgit Gufler Der eifersüchtige Conte Almaviva (Jacob Phillips) und die Contessa (Marie Smolka) © Birgit Gufler

Besonders in den beiden ersten Akten wird auf der Bühne gedrängelt, geschubst, slapstickartig gestolpert und gestürzt. Dass dabei die Akteurinnen und Akteure, in farbenfrohe, elegant geschnittene, inhaltlich aber wenig sagende Alltags- und Partygewänder der Gegenwart gekleidet (Kostüme von Nicole von Graevenitz), dabei noch singen können, ist erstaunlich.

Wenn der Text Cherubinos Schwärmerei für die Contessa verrät, winden sich die beiden im nächsten Moment schon sekundenlang verliebt am Boden. Wenn der Conte Cherubino zum Militär schickt, muss dieser währenddessen schon im Schützengraben herumrobben. 

Cherubino (Camilla Lehmeier) © Birgit Gufler Cherubino (Camilla Lehmeier) © Birgit Gufler

Der Jubelchor Giovani liete, fiori spargete für den Grafen mutiert plötzlich zum Buhsturm, weil Almaviva, wie einem Spruch auf der Bühne zu entnehmen ist, nicht den Wohlstand für alle will, sondern den Wohlstand für alle Reichen

Der Schlussakt wird zur Gänze seiner im Libretto vorgesehenen Komik enthoben und zu einem wilden Drama mit versuchten Vergewaltigungen, Schlägereien, blutigen Nasen und dem hysterischen Schluchzen des Grafen. Inwiefern dieser Drang zur Dramatisierung eines historischen, nur noch wegen Mozarts fantastischer Musik bühnentauglichen Stoffes für die Gegenwart erhellend sein soll, bleibt fraglich, und so gab es am Ende auch wütende Buhrufe aus dem Publikum für die Regie.

Basilio (Sascha Zarrabi) © Birgit Gufler Basilio (Sascha Zarrabi) © Birgit Gufler

Umso erfreulicher war das Erlebnis der musikalischen Umsetzung. Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck musizierte unter der Leitung des Dirigenten und Pianisten Michael Wendeberg, der sämtliche Rezitative schwungvoll am Hammerflügel begleitete. Dass er gelegentlich auch jüngere Musik einstreute – unter anderem einen Boogie-Woogie für Basilios ersten Auftritt –, überraschte angenehm und wirkte durchaus schlüssig, zumal der Pianist konsequent in jenen musikalischen Räumen verblieb, die der Improvisation vorbehalten sind. Spätestens seit Chick Coreas Interpretationen von Mozart-Klavierkonzerten ist bekannt, dass derartige Stilwechsel gut funktionieren können. 

Ansonsten aber wurde Mozarts Musik frisch, direkt, virtuos und zu Herzen gehend, anregend und mit geschmackvoll gewählten Tempi dargeboten, wobei das Orchester sowohl im Kollektiv durch Transparenz des Gesamtklangs als auch in den solistischen Passagen mit Stilsicherheit und Gefühlswärme überzeugte.

Und auch die sängerischen Leistungen verdienten sich den Applaus des Premierenpublikums. Marie Smolka singt die Rolle der Contessa mit berührender Eleganz und intensiver Innigkeit, atemberaubend ist ihr Gesang in den Arien Porgi, amor und Dove sono i bei momenti

Die Contessa (Marie Smolka) im 2. Akt © Birgit Gufler Die Contessa (Marie Smolka) im 2. Akt © Birgit Gufler

Sophie Mitterhuber ist als Susanna eine in jeder Hinsicht kongeniale Partnerin mit lyrischen Qualitäten. Sie harmoniert bestens mit Smolka in den himmlischen Duetten und Ensembles, die Mozart für ihre Rollen vorsah. Camilla Lehmeier als Cherubino fügt sich mit ihrem leichtgliedrigen Vibrato lückenlos in die Riege des hohen Gesanges ein, ein Genuss ihre Wiedergabe der Arietta Voi che sapete.

Die Männer standen ihnen in nichts nach. Jacob Phillips als Conte faszinierte durch seine edle, virile Baritonstimme und Bühnenpräsenz und Benjamin Chamandy beeindruckte als Figaro durch sein klangvolles, jugendfrisches Organ und seine Fähigkeit zu differenzierter Gestaltung. 

Auch die Protagonist*innen der Nebenrollen sorgten für starke Momente, etwa Yejin Kang als Barbarina in ihrer Arie L’ho perduto oder Johannes Maria Wimmer als herrlich komödiantischer Bartolo in seiner Rachearie. Sascha Zarrabi als musikalisch und schauspielerisch starker Basilio hat das Zeug zum Publikumsliebling dieser Inszenierung. 

Abongile Fumba (Marcellina), Julien Horbatuk (Antonio), Michael Gann (Don Curzio) sowie Ani Akhmeteli und Qiong Wu (zwei Damen) ergänzten das insgesamt sehr gute Ensemble. Stimmlich hervorragend übrigens auch der Chor des Tiroler Landestheaters und bestens organisiert die Statisterie.

PS: Der Freitags-Artikel der Woche von Alois Schöpf, Buh-Rufer beim Auftritt des Inszenierungsteams, wird sich mit der dummen Regie zu „Le nozze di Figaro“ unter dem gewerkschaftlichen Aspekt von illegitimer Behinderung bzw. Zerstörung der Leistung anderer beschäftigen.

Julien Horbatuk (Antonio), Abongile Fumba (Marcellina), Sophie Mitterhuber (Susanna), Benjamin Chamandy (Figaro), Johannes Maria Wimmer (Bartolo), Jacob Phillips (Conte), Marie Smolka (Contessa), Yejin Kang (Barbarina), Sascha Zarrabi (Basilio), Michael Gann (Don Curzio) Julien Horbatuk (Antonio), Abongile Fumba (Marcellina), Sophie Mitterhuber (Susanna), Benjamin Chamandy (Figaro), Johannes Maria Wimmer (Bartolo), Jacob Phillips (Conte), Marie Smolka (Contessa), Yejin Kang (Barbarina), Sascha Zarrabi (Basilio), Michael Gann (Don Curzio)

Fotos: © Birgit Gufler

 

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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