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Thomas Nußbaumer bespricht:
Gedenkkonzert
für Haimo Wisser

Haimo Wisser, ein außergewöhnlich origineller und schöpferischer Künstler, wäre am 25. Februar 70 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass widmete ihm das ORF Landesstudio Tirol in Zusammenarbeit mit den Klangspuren Schwaz, dem Brenner-Archiv der Universität Innsbruck, wo Wissers Nachlass aufbewahrt wird, und dem Haus der Musik Innsbruck eine Hommage.

Der Titel des Abends am Sonntag lautete „Auf den Spuren von Haimo Wisser (1952–1998)“.

Pianist Aaron Pilsan. Am Bildschirm Haimo Wisser © Klangspuren Schwaz Pianist Aaron Pilsan. Am Bildschirm Haimo Wisser © Klangspuren Schwaz

Noch in den neunziger Jahren zählte der aus Wien stammende Wahltiroler neben Bert Breit und Werner Pirchner zur bedeutenden Trias der zeitgenössischen Musik in Tirol. Ein Blick ins Österreichische Musiklexikon zeigt, dass man sich bei der Zuordnung dieser Persönlichkeit irgendwie schwertut: er sei „Komponist, Autor, Musiker, Liedermacher“ gewesen.

Wisser war ein Autodidakt, und – wie sein langjähriger Musikpartner, der Gitarrist Gunter Schneider, schreibt – „auf eine sehr spezifische Weise literarisch und musikalisch produktiv“. Unterschiedlichste Einflüsse strömen in seinem Werk, das vielfach – und für einen Komponisten ungewöhnlich – oftmals nur Schaffensprozesse dokumentiert und vieles für spätere Neu-Interpretationen offenlässt – zusammen: experimenteller Sound, nordindische Kunstmusik, „The Beatles“, Elektronik, Rock-Musik, Andreas Okopenko und Ernst Jandl und das Medium Film.

Das „Artis Quartett“ (Peter Schuhmayer, Johannes Meissl: Violinen, Herbert Kefer: Viola, Othmar Müller: Cello) © Klangspuren Schwaz Das „Artis Quartett“ (Peter Schuhmayer, Johannes Meissl: Violinen, Herbert Kefer: Viola, Othmar Müller: Cello) © Klangspuren Schwaz

„Das Hermetische seiner musikalischen wie seiner literarischen Kunst setzt eine intensive, auch wohl innige Beschäftigung voraus“, schreibt Schneider, und Wissers Freund, der Komponist und Pianist Thomas Larcher, der den Gedenkabend gemeinsam mit Patrizia Jilg und Martin Sailer vom ORF Tirol konzipiert hatte, bringt die Rezeptionsproblematik von Wissers Werk ebenfalls auf den Punkt: „Er war zwischen den musikalischen Welten irgendwie auch verloren“.

Das Opus ist sehr verschiedenartig, meist artikuliert sich Wissers Musik in kammermusikalischen Besetzungen. Ein Konzert für Klavier und Kammerorchester („Mauer“, 1997) bildet eine Ausnahme. Neben Liedern, die – salopp gesagt – zwischen „E und U“ positioniert sind, hinterließ Wisser vor allem Bühnenmusik, Hörspielmusik, Filmmusik, den Gedichteband „Weil man lieber nicht am Ende sterbert“ (1997) und Werke, in denen er unterschiedliche Genres und Medien zu verbinden suchte.

Zu Letzteren zählen die köstlichen „Arien und Chöre der Elite“ von 1992, in denen Passagen aus Interviews mit damals bekannten österreichischen Politikern im O-Ton und verfremdet, rhythmisiert und mit Klang unterlegt collageartig wiedergegeben werden, mit der offensichtlich erkennbaren Absicht, die Plattitüden politischer Rede zu demaskieren.

Erreicht wird der Effekt durch Wiederholung, pulsierende Rhythmik, Montage von Worten und Satzteilen und Fragmentierung. Im Satz „hesi“ etwa hört man Josef Hesoun über die „Quadratur des Kreises“ faseln, während „waldi“ (Kurt Waldheim) sich „im Nebel … im Nebel“ (wohl seiner Nicht-Erinnerung) verliert und „haiderio“ (Jörg Haider) gefährlich vor der „Tätigkeit des Täters“ warnt. Ausschnitte aus diesem Werk, von dem übrigens eine VHS-Kassette mit einer (von Wisser allerdings nicht geliebten) Filmversion existiert, wurden als Tonaufnahmen zugespielt und eröffneten den Konzertabend.

Das „Trio WirkWerk“ (Annette Fritz: Violine, Valerie Fritz: Violoncello und Josef Haller: Klavier) © Thomas Nußbaumer Das „Trio WirkWerk“ (Annette Fritz: Violine, Valerie Fritz: Violoncello und Josef Haller: Klavier) © Thomas Nußbaumer

Ein völlig anderes Bild bot die – übrigens sehr überzeugende und gekonnte – Wiedergabe der „Fünf Verwandten – Variationen für Klaviertrio“ (1994) durch das „Trio WirkWerk“ (Annette Fritz: Violine, Valerie Fritz: Violoncello und Josef Haller: Klavier), eines Werks mit klaren melodischen Linien und akzentuierter Rhythmik.

Auffallend darin ist die für Wisser typische Progressivität, nämlich in dem Sinn, dass musikalisches Material durch melodische und rhythmische Variierungskunst stets vorwärtsdrängend, mitunter pedantisch und nervös, weiterentwickelt, weitergetrieben wird. Die „Verwandten“ des variierten Themas erscheinen individuell, aber dennoch in Wesenszügen als zusammengehörig.

Zu den komplexen Stücken, in denen Literatur, Musik und Kabarett verbunden werden, zählt das Hörspiel „Gußstahlmandala – das geheime Wissen der Fußgänger“ (1996), in dem der Autor (Wisser) offenlegt, dass die Beschriftungen und Muster der Innsbrucker Kanaldeckel mysteriöses Wissen bergen. Die Stimme Otto Gründmandls (1924–2000) und ein Chor vertiefen dieses Wissen auf skurrile Weise, der Zweck derartiger Betrachtungen liegt wohl in der unterhaltsamen Wirkung des Wortspiels und dem Versuch, die Wirklichkeit in neuen, auch willkürlich geschaffenen Kontexten zu ergründen.

Die Aufführung von „Sample et ubique für Klavier und Elektronik“ (1991) durch den in Dornbirn gebürtigen Pianisten Aaron Pilsan – ein Höhepunkt des Konzertabends – war erst durch einen umfassenden Rekonstruktionsprozess möglich geworden. So hörte Thomas Larcher zahllose Disketten und DAT-Bänder aus Wissers Nachlass, auf denen die Klang-Samples festgehalten sind, durch und brachte sie mit technischer Unterstützung mit der notierten Klavierpartitur in Übereinstimmung.

Das Werk ist in vieler Hinsicht beachtlich. So wurden die zugespielten Klänge ausnahmslos aus Aufnahmen eines präparierten (d.h. an den Saiten durch diverse Materialien manipulierten) Konzertflügels gewonnen und man hört teils skelettierten, quasi auf den Punkt gebrachten Klavierklang. Abgesehen von der rhythmischen Vertracktheit dieses Stücks und seinen Klangeffekten überrascht die Selbstverständlichkeit, mit der unterschiedliche Musikgenres zitiert und zueinander in Verbindung gesetzt werden. Aaron Pilsan spielte das Stück mit großer Intensität und Ausdruckskraft.
Ehe das renommierte „Artis Quartett“ (Peter Schuhmayer, Johannes Meissl: Violinen, Herbert Kefer: Viola, Othmar Müller: Cello) den Abend mit Wissers faszinierendem „TablaSolo für Streichquartett“ (1994) – eine Komposition, in der die Rhythmik und Klangfarbenvielfalt der nordindischen Tabla, eines aus zwei Kesseltrommeln bestehenden Perkussionsinstruments, auf Streichinstrumente übertragen werden – beschloss, kam auch der Lyriker Haimo Wisser zu Wort, und zwar durch eine sehr prägnante Lesung seines Halbbruders, des Schriftstellers Daniel Wisser.

Daniel Wisser liest Lyrik seines Halbbruders Haimo Wisser © Thomas Nußbaumer Daniel Wisser liest Lyrik seines Halbbruders Haimo Wisser © Thomas Nußbaumer

Texte aus den Lied- und Kabarettprogrammen der siebziger und achtziger Jahre „haimo – frisch gestrichen“, „Lieder die wieder die Sprache zur Sprache bringen“ „Für und Lieder“ und „Die ganze Wahrheit“ sowie aus dem schon genannten Lyrikband brachten dem Publikum Haimo Wisser als ironischen Wortspieler und Sprachrhythmiker näher.

Zurück bleibt die Hoffnung, dass Wissers Werk auch weiterhin intensive und innige Beschäftigung erfährt und erhalten bleibt.

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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