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Thomas Nußbaumer:
Das 4. Symphoniekonzert
des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck
mit einem in sich stimmigen Programm

Das 4. Symphoniekonzert der Saison 2023/24 konnte mit einem wunderschönen, in sich stimmigen Programm punkten: Claude Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune folgten die Metamorphosen von Richard Strauss und Piotr Iljitsch Tschaikowskis Symphonie Nr. 1 in g-Moll (op. 13) mit dem Beinamen Winterträume

Die Qualität der Umsetzung durch das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung des lettischen Gastdirigenten Ainārs Rubiķis jedoch schwankte.

Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Ainārs Rubiķis © Chó/wefeel.art Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Ainārs Rubiķis © Chó/wefeel.art

Jahre, Zeiten, Jahreszeiten lautete das passende Motto des Konzertabends, der zunächst in die impressionistische Welt eines träumenden Fauns an einem Sommernachmittag entführte, sodann der Klage eines deutschen Komponisten über den unwiderruflichen Untergang der deutschen Musikkultur des 19. Jahrhunderts nachfühlte und schließlich die Weite einer russischen Landschaft im Winter beschwor. 

Den Anfang setzte Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune mit dem bekannten einleitenden lyrisch-chromatischen Querflötenthema, den golden aufrauschenden Harfenakkorden und den filigranen, schwerelosen Dialogfiguren und klangkompositorischen Verdichtungen: Ein Faun träumt von Nymphen.

Trotz schön gestalteter Soli, etwa durch Flöte, Klarinette, Oboe, Geige, kam das Stück unter dem Dirigat von Ainārs Rubiķis, der ein sehr getragenes Tempo vorgab und das Orchester zu sehr verhaltenem Spiel anleitete, nicht richtig in Fahrt: Dieser Faun blieb ruhend im Schatten liegen und hatte wohl keinen überaus aufregenden Traum. Die programmatische Idee dieses Prélude und seine musikalische Dramaturgie wurden nur in Ansätzen erkennbar, es entstand eher der Eindruck aneinandergereihter Episoden.

Konzertmeister Martin Yavryan © Chó/wefeel.art Konzertmeister Martin Yavryan © Chó/wefeel.art

Einen ähnlichen Eindruck hinterließ die Interpretation von Richard Strauss’ Metamorphosen (1945), in der, gleich einem endlosen Bandwurm, über knapp 30 Minuten ein ungemein elegisches Thema, verhandelt von explizit 23 Solostreichern, andauernd verändert, auseinandergenommen und dann wieder zusammengebaut wird. Musikanalytiker erkannten als grundlegende Strukturidee dieser emotional berührenden Komposition eine komplex verschränkte, mehrfache Sonatenhauptsatzform klassischen Vorbilds (siehe Programmheft).

Allerdings erfordert das Werk, wenn es das Publikum wirklich im Herz treffen soll, eine intensive, hochkonzentrierte dynamische Gestaltung und Präzision in jeder Hinsicht. 

23 Streichersolistinnen und -solisten spielen Strauss’ Metamorphosen © Chó/wefeel.art 23 Streichersolistinnen und -solisten spielen Strauss’ Metamorphosen © Chó/wefeel.art

Auch hier der schon vorhin konstatierte Befund: Zwar waren sehr gelungene schöne Passagen und Soli zu verzeichnen, jedoch mangelte es andererseits an Gestaltungsideen und Dramaturgie, auch gelang in den vertrackten Konstellationen der Partitur nicht alles wie gewünscht.

Die Interpretation von Tschaikowskis erster Symphonie, ein frühes, bei seiner Uraufführung wegen seiner kühnen Neuerungen durchaus umstrittenes Werk aus dem Jahr 1866, ergab sodann ein deutlich verbessertes Bild. 

Der klangschöne erste Satz, der mit Tagträume einer Winterreise überschrieben ist, geriet derart mitreißend, dass ein Teil des Publikums unmittelbar danach schon applaudieren wollte. Durchwegs beeindruckend gelang das motivische Ping-Pong-Spiel der einzelnen Klangregister, und auch sonst erstand das Werk mit den für Tschaikowski typischen Kontrasten zwischen verträumter Lyrik und motorisch-exzessiven Klangballungen wie aus einem Guss. 

Im Adagio-Satz, ebenso wie im Walzer-Teil des Scherzos, konnte das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck seine Musikalität vollkommen ausspielen, und nach dem martialischen Finale stellte sich Zufriedenheit über ein insgesamt gelungenes, zum Denken und Nachfühlen anregendes Konzert ein.

Ainārs Rubiķis und das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck © Chó/wefeel.art Ainārs Rubiķis und das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck © Chó/wefeel.art

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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