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Thomas Nußbaumer:
Das 6. Symphoniekonzert des
Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck
am 20. und 21.04.2023 im Saal Tirol des Congress Innsbruck
punktete erneut durch fabelhafte Programmgestaltung.
Das Motto: „Nacht und Schatten“

Maurice Ravels Klavierzyklus Gaspard de la nuit ist ein Schlüsselwerk des französischen Impressionismus. Zum Auftakt war aber die Orchesterfassung des vierten Teils mit dem Titel Alborada del gracioso zu hören, die 1918 auf Wunsch von Sergei Djagilew, Impresario der legendären Ballets Russes, als Ballettmusik entstand. Dieses (eigentlich) Morgenlied des Narren, in dem das Fagott die Stimme des Narren mimt, passte perfekt zum Motto des Abends Nacht und Schatten, ist ja der Mond (luna) das uralte Sternbild des Narren, der sich dadurch kennzeichnen lässt, dass sein Verstand verdunkelt ist, woraus sich die Adjektive lunatic (Verrückter), lunatique – im Deutschen launisch – ableiten lassen.

Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Robert Trevino
Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Robert Trevino

Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck führte die schillernde Komposition mit ihrer spanisch anmutenden Rhythmik und den lang gedehnten Klangflächen, aus denen sich das etwas bizarre, klagende Lied des Narren, der zu Tagesanbruch seine Geliebte verlässt, abhebt, mit Feuer und Herzenswärme aus. Dank einer hervorragenden Klangbalance wurde auch Ravels beispiellose Fertigkeit in der Zusammenmischung orchestraler Klangfarben hörbar.

Man blieb bei Ravel und ging über zu dessen Konzert für Klavier und Orchester in G-Dur. Dabei kam es zu einem Wiedersehen mit Denis Kozhukhin, einem der bedeutendsten Pianisten der Gegenwart. Kozhukhin ist in Tirol kein Unbekannter. Er faszinierte schon als junger Klaviervirtuose in der Villa der Kunstmäzenin Annemarie Schindler in Telfs sowie beim KlangSchnee-Festival des Grafen Christian Stolberg in Kühtai und trat zuletzt 2021 mit dem Tiroler Symphonieorchester mit Liszts erstem Klavierkonzert auf.

Robert Trevino am Pult Robert Trevino am Pult

Kozhukhins Zugang zu Ravel wirkt ungemein authentisch, man hat den Eindruck, dieses virtuose Werk von 1932 mit der pulsierenden Rhythmik in den Ecksätzen und den traumhaften Dehnungen des lyrischen Mittelsatzes wurde eigens für ihn geschrieben. Der Pianist findet selbst mitten in den verrücktesten Kaskaden und vertracktesten Läufen die Zeit, auf seine Mitspielenden zu hören und auf sie einzugehen. Das Orchester unter der souveränen Leitung des kurzfristig eingesprungenen Robert Trevino, derzeit unter anderem Chefdirigent des Basque National Orchestra, glänzte in allen Registern, die Solistinnen und Solisten, insbesondere unter den Bläsern, wetteiferten mit dem Pianisten in punkto Schönheit und Ausdruckskraft des Spiels. Kozhukhin steht technisch über allen Dingen, sein differenzierter Anschlag entlockt dem Flügel selten zu hörende Nuancen.

Denis Kozhukhin spielt Ravels Klavierkonzert in G-Dur Denis Kozhukhin spielt Ravels Klavierkonzert in G-Dur

Nach der Pause erklang zunächst die Piccola musica notturna – eine kleine Nachtmusik – von Luigi Dallapiccola (1904–1975), einem großen Meister der Neuen Musik. Anders als Mozarts heitere Serenade ist Dallapiccolas kleine Nachmusik ein elegisches, dunkles musikalisches Gedicht voller gespenstischer Klangschatten, vom Orchester dargeboten mit höchster Konzentration und Freude an den Klangfarbenmischungen und hellen Lichtpunkten auf dunkler Grundierung.

Der Klaviervirtuose Denis Kozhukhin Der Klaviervirtuose Denis Kozhukhin

Der an Höhepunkten so reiche, außergewöhnliche Konzertabend endete mit Richard Strauss’ symphonischer Fantasie Die Frau ohne Schatten, in der 1946 der 82-jährige Komponist noch einmal leitmotivartig Ideen seiner genialen gleichnamigen märchenhaften Oper von 1919 bündelte. Nach dem markanten Auftaktmotiv ließ Trevino diese herrliche Musik in einem langanhaltenden Crescendo im wahrsten Sinn des Wortes aufblühen, führte das Orchester mit klarer Zeichengebung auf bunte Bergwiesen und verschlungene Waldwege und schließlich in ein mächtiges Finale, in dem die damals ja schon verklungene Welt der Fin de siècle-Spätromantik noch einmal fröhliche Urstände feiert.

Das 6. Symphoniekonzert des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck wird heute, Freitag, um 20.00 Uhr im Congress Innsbruck wiederholt.

Fotos: © Chó/weefeel.art


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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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