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Thomas Nußbaumer bespricht:
EIN ABEND MIT TIMNA BRAUER

Mit der charismatischen Sängerin Timna Brauer im Boot ist es sogar möglich, hunderte Menschen zu einem Konzert, in dessen Mittelpunkt die Aufführung von Arnold Schönbergs „Pierrot lunaire“ (op. 21) steht, anzulocken.

Timna Brauer und das Ensemble: Oswald Sallaberger (Violine), Barbara Riccabona (Cello), Walter Seebacher (Klarinette), Gionata Sgambaro (Flöte) und Michael Schöch (Klavier) Timna Brauer und das Ensemble: Oswald Sallaberger (Violine), Barbara Riccabona (Cello), Walter Seebacher (Klarinette), Gionata Sgambaro (Flöte) und Michael Schöch (Klavier)

 

Ihr, aber auch dem programmatischen Leiter des Abends und zentral Mitwirkenden, dem Geiger und Dirigenten Oswald Sallaberger, ist es zu verdanken, dass im „Haus der Musik Innsbruck“ ein zahlreiches Publikum veranlasst war, neben Werken von Erik Satie, Maurice Ravel und Claude Debussy auch Schönbergs atonales, in Tirol fast nie gespieltes Schlüsselwerk von 1912 zu hören, dessen Uraufführung – wie nicht anders zu erwarten – zu einem Skandal ausgeartet war, obwohl die Botschaft dieser leichtfüßigen Musik und dunkelschwarzen Texte von Albert Giraud in der Übersetzung von Erich Hartleben die Tore in eine Traumwelt der Fantasie und Kreativität weit aufstößt.

Timna Brauer Timna Brauer

Sallaberger betrieb die Vorbereitung dieser Aufführung mit beträchtlich viel Energie und Aufwand. Er studierte am „Arnold Schönberg Center“ in Wien die Originalpartitur und übernahm Schönbergs präzise, oft nachträglich eingetragene und immer wieder auch verworfene Vortragsbezeichnungen und Anweisungen, um eine möglichst originalgetreue und werkadäquate Umsetzung anzustreben.

Oswald Sallaberger Oswald Sallaberger

Dass mit Timna Brauer eine Sängerin gewählt wurde, deren Schwerpunkt im Jazz liegt, die viel vom Kabarett versteht und die imstande ist, die menschliche Stimme in Kontexten weltweiter vokaler Diversität zu begreifen, ist auch der Idee der Werktreue geschuldet: Schönbergs erste „Pierrot lunaire“-Sängerin, die Diseuse und Schauspielerin Albertine Zehme, entstammte ebenfalls nicht dem Opernfach, sondern sang bevorzugt Chansons und rezitierte Texte. An sie dachte Schönberg, als er den „Pierrot lunaire“ schrieb.

Und genau damit in Verbindung zu bringende Qualitäten wie Textverständlichkeit, Leichtigkeit des rhythmischen Parlando und Differenziertheit der Deklamation erfüllt auch Timna Brauer, die mit Gelassenheit, schelmischem Augenzwinkern und selbstverständlicher Schlichtheit diese hochemotionalen „dreimal sieben Gedichte“ wie „Der Dandy“, „Colombine“, „Valse de Chopin“, „Nacht“, „Der kranke Mond“, „Gebet an Pierrot“ usw. vermittelt, in einer Art Sprechgesang, die wechselweise näher an der Rezitation und dann wieder näher am Gesang steht.

In Einklang mit der mondlichtdurchdrungenen Lyrik steht auch Timna Brauers dunkles Timbre und ihr grundsätzliches Verständnis für die mitunter affektierte, stets die Aufmerksamkeit auf sich ziehende große Geste, mit der ein imaginärer Pierrot – eigentlich ein Clown – Ungeheuerliches, Unheimliches von sich gibt.

Schönbergs „Pierrot lunaire“-Partitur stellt aber nicht nur eine Solistin in den Mittelpunkt, sondern ist vielmehr als musikalischer Dialog von sechs Musikerinnen und Musikern konzipiert. Meistens wird dieses Werk – obwohl kammermusikalisch besetzt, wobei die Instrumente Violine, Bratsche, Flöte, Piccolo, Klarinette, Bassklarinette, Cello und Klavier unterschiedlich zum Einsatz kommen – wegen der Schwierigkeit des Notentextes von einem Dirigenten geleitet.

Timna Brauer und das Ensemble vor dem stimmungsvollen Bühnenhintergrund im „Haus der Musik Innsbruck“ mit Blick auf die Hofburg. Timna Brauer und das Ensemble vor dem stimmungsvollen Bühnenhintergrund im „Haus der Musik Innsbruck“ mit Blick auf die Hofburg.

Sallaberger vertritt aber die Ansicht, dass man den „Pierrot lunaire“ an der Violine mitspielend leiten muss, und fand dafür ideale Partner: den Flötisten Gionata Sgambaro, den Klarinettisten Walter Seebacher, die Cellistin Barbara Riccabona und den Pianisten Michael Schöch – allesamt profilierte Künstler, die, ebenso wie Sallaberger selbst, imstande und dazu bereit sind, einander zuzuhören, aufeinander einzugehen und sich auf eine Vielfalt an kleineren und größeren musikalischen Dialogen einzulassen.

Die bemerkenswerte klangliche Balance und Feinheit dieses Ensembles prägte auch die Wiedergabe von Erik Saties „Manière de commencement“ (aus „Trois morceaux en forme de poire“ – Drei Stücke in Form einer Birne, 1903) nach einem Arrangement von Oswald Sallaberger und Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ (1893–1902), arrangiert von Henri Mouton, und ebenso die Interpretation von Maurice Ravels „Deux Mélodies hébraïques“ (Zwei hebräische Melodien, 1914), in denen sich Timna Brauer als profunde Kennerin jüdischer Musik mit authentischem Zugang entfalten konnte. „Musik der Zeitenwende“ lautete übrigens das Motto des Abends, womit unweigerlich ein Bezug zur Gegenwart erkennbar ist.

Thomas Nußbaumer

Der Text erscheint auch im Online-MERKER (www.onlinemerker.com).

Copyright der hier abgebildeten Fotos: © Chó, wefeel.art

 

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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