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Ronald Weinberger
Vermaledeite Neugier!
Gebenedeite Neugierde!
Essay

Vor geraumer Zeit luden mich mein Oheim und eine meiner Muhmen zu einer Wanderung ein. Sie hätten nämlich mit mir, ihrem Neffen, etwas zu besprechen. Dies ward mir von Ersterem brieflich in ausnehmend wohlgesetzten Worten zur Kenntnis gebracht, sintemalen er über eine zunehmend gepflegte Eigenschaft von mir, die ihm von meinem Gevatter August zugetragen worden sei, beunruhigt wäre.

Wir – die wir uns ungehörig lange nicht mehr gesehen hatten, was zweifelsfrei meinem in derlei Angelegenheiten sich bereits mehrmals gezeigten mangelndem Einfühlungsvermögen geschuldet war – trafen uns vor der ersten Mühle, jener am Talausgang, tauschten die üblichen Begrüßungsfloskeln aus und schritten alsbald danach, selbdritt, wacker fürbass.

Der Oheim kam nach einer mir endlos dünkenden Zeit zur Sache und frug mich wie folgt: „Stimmt es, dass Er der Gottesfurcht, ja schlimmer noch, dem Gottesglauben abgeschworen habe? Ist es wahr, dass Er alles mögliche wissen wolle, der Bibel nicht mehr vertraue und an die Stelle des Glaubens das bekanntermaßen unselig machende Wissen setzen wolle?“ Ich versetzte „Gemach, gemach! Ich habe doch einzig …“

Da fiel mir meine Muhme ins Wort und hub mit schriller Stimme an, mir ebenso Vorhaltungen zu machen, indem sie rief: „Am verwerflichsten indes ist Seine ganz und gar verderbliche Neugier, die Ihn geradewegs dem Leibhaftigen zuführen wird. Obendrein …“ Zu meinem Glück gingen ihre folgenden Worte in dem Lärm des Mühlrades der zweiten Mühle unter, an der wir eben vorbeikamen. Dessen Ächzen und Klappern schwoll unvermittelt an, geriet urplötzlich zu einem tosenden Crescendo … und ich fand mich halb aufgerichtet in meinem Bett, um meinen lärmenden Wecker abzustellen, der mich gottlob aus meiner misslichen Traumlage gerettet hatte.

Sind Sie ein neugieriger Mensch?

„Kommt darauf an“, würden Sie womöglich sagen, und dabei fühlen, dass in diesem Begriff immerhin der Wortbestandteil „Gier“ steckt und folglich Negatives mitschwingt. Ich freilich gebe freimütig zu, neugierig zu sein und es immer mehr zu werden. Dabei habe ich mit dem Ausdruck „NeuGIER“ leichte Probleme, die indes dadurch gemildert werden, weil ich der Internet-Enzyklopädie Wikipedia deren Definition entnahm. Dort heißt es: „Neugier (auch Neugierde) ist das als ein Reiz auftretende Verlangen, Neues zu erfahren und insbesondere Verborgenes kennenzulernen“.

Nun ja, dem Wort „Verborgenes“ wohnt leider eine Prise Schlüpfrigkeit inne und folglich sollte mir etwas mehr zusagen, was ein paar Zeilen später in Wikipedia zu finden ist: „Ist die Neugier auf ein Interesse an Wissen ausgerichtet, stehen forschungs- oder verstandesmäßige Anteile im Vordergrund. Diese Form der Neugier wird auch Wissbegierde genannt“.

Wie auch immer: Ich bekenne, gleichermaßen wissbegierig und neugierig zu sein, ohne − soweit ich mich entsinnen kann – dabei auch das Schlüssellochgucker-Gen in mir aktiviert zu haben.

Ist meine Neugierde nun eine Begierde oder eine Zierde? Ich verdächtige mich, dass die zunehmende Neugierde mit einigen Faktoren zu tun hat, die aufzuzählen ich mich nicht scheue:

Da ist zum Ersten mein doch schon ziemlich fortgeschrittenes Alter: Da ich mich schnurstracks dem vollen Dreivierteljahrhundert nähere, bleibt mir nicht mehr viel Zeit und die möchte ich vor allem mit Wissen auffüllen, von dem ich weiß, dass es vorhanden ist, mir aber bislang mehr oder minder und häufig genug vollends verschlossen blieb. Und weshalb dies? Weil es mich zufrieden macht. Soll heißen: Ich züchte mir dadurch angenehme Gefühle.

Zum Zweiten beobachte ich seit einer Reihe von Jahren, wie sehr sich allzu viele Zeitgenossen mit Informationsbrei aus gewissen Zeitungen und zunehmend aus dem Internet vollstopfen und zumüllen und dies alles dann, als Draufgabe, im Brustton der Überzeugung, anderen aufdrängen. Ergo informiere ich mich aus zumindest einigermaßen seriösen Quellen und bin daher so manchem Gesprächspartner gegenüber im Vorteil und – jetzt kommt das nächste Geständnis – fühle mich dabei gut.

Zum Dritten genieße ich einen Vorteil, der vor allem auf die Kreisky-Ära zurückgeht, wo es auch aus einfachen, von Matura oder gar Uni-Studien gänzlich unbeleckten gesellschaftlichen Kreisen leichter möglich war, zum Akademiker zu mutieren. Ich durfte diese Möglichkeit wahrnehmen, was im Endeffekt zu einer jahrzehntelangen befriedigenden beruflichen Tätigkeit führte. Und just diese, bei mir (natur)wissenschaftlich grundierte, Denkweise samt dazugehörenden Kenntnissen sind es, die ein Substrat bilden, auf dem die Neugierde für andere Gebiete und Sichtweisen gewissermaßen trefflich gedeiht. Warum? Weil es leichter fällt, einen Abgleich mit den Realitäten zu bewerkstelligen. Das tat und tut mir nicht selten richtig gut.

Bloß: Es gibt bekanntlich viele „Wege nach Rom“! Akademische Bildung ist nämlich bisweilen sogar hinderlich, da sie in gedankliche und/oder charakterliche Sackgassen zu führen vermag. Ich muss zugestehen, dass meine BeGIERde, mehr oder minder ständig Neues erfahren zu wollen, eventuell ein Quäntchen Pathologisches beinhaltet und mir daher kaum zur Zierde gereicht. Diese mich ab und zu moderat peinigende Einsicht fühlt sich klarerweise weniger gut an…

Und Sie?

So, nun habe ich mehr als genug von mir preisgegeben. Ich schreibe diesen ganzen Sermon natürlich nicht bloß deswegen, um Ihnen meine „feel-good-Bemühungen“ unterzujubeln. Die dürften Sie womöglich einen feuchten Kehricht interessieren.

Mir geht es mehr darum, zu erfahren, ob SIE – egal, ob jung oder alt – sich ebenso zu den neugierigen Menschen zählen? Falls ja, inwieweit? Beziehungsweise: was halten Sie von Neugierde, von neugierigen Menschen? Im Sinne von Wissbegierde, weniger der Gier nach belanglosem Neuen.

Dabei ist mir bewusst: Etliche der altersmäßig namhaft Fortgeschrittenen wollen einzig in Ruhe gelassen werden, wünschen auch geistig im Althergebrachten zu verweilen und pflegen folglich eine Art Alt-, aber keine Neugier.

Kurzum: Wollen Sie sich aufraffen, in einem Kommentar auf mein Ersuchen zu reagieren? Dies würde mich freuen. Bin schon neugierig, ob meine Bitte auf Resonanz stößt …!

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Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Ralph Holtfeuer

    Hallo Ronald,
    Neugierde, ja was ist Neugierde? Wo fängt sie an und wo hört sie auf? Neugierde gibt es seit Anfang des Menschwerdens. Hätten die Urmenschen diese nicht gehabt, wären wir schon ausgestorben. Vielleicht ist dies auch der Grund des Verschwindens der Neandertaler.
    Auf unsere Zeit umgelegt bedeutet dies wohl auch die Entdeckung maßgeblicher Fortschritte im technischen, medizinischen, mathematischen Bereich. Die Liste lässt sich natürlich fortsetzen. Nur im menschlichen Umgang untereinander habe ich meine Zweifel. Das beste Beispiel sieht und liest man jetzt jeden Tag.
    Also was beinhaltet nun Neugierde? Für mich persönlich ist Neugierde das Akzeptieren und Respektieren eines jeden Lebewesens, also auch des Menschen. Man kann von allem und jedem etwas lernen, wenn man bereit ist, die Augen aufzumachen und hinzuschauen.
    Das ist Neugierde für mich.

  2. c. h. huber

    leicht irritiert las ich drei absätze der kolumne, dachte daran, ein mahnendes wort an den lieben professor zu richten, er möge seine sprache doch wieder ein wenig der momentan gebräuchlichen anpassen, weil mir die hier von ihm gebrauchte doch zu sehr nach grimms märchen klänge und dem thema nicht gerecht werde. aber wie hätte es anders sein können bei einem beitrag dieses autors – der nächste absatz zauberte mir das beinah schon übliche lächeln beim lesen vieler seiner texte ins gesicht – so ein schlingel!, dachte ich in ebenfalls altmodischer manier und sprache. neugierig machte ich mich auf, den gesamten artikel zu lesen. womit die frage nach meiner gier nach neuem zumindest für den augenblick und im literarischen mit ja beantwortet ist.

  3. Margit Jordan

    Lieber Herr Professor, danke für den interessanten Beitrag, dazu meine Gedanken:
    Die Neugier bzw. Wissensbegierde schwindet oft mit zunehmendem Alter – aus meiner Beobachtung und Erfahrung sind Kinder sehr neugierig und lernen wahnsinnig schnell. Sobald sie aber in den Bildungseinrichtungen mit unnötigem Bildungsstoff traktiert werden, lässt das Interesse und die natürliche Neugierde leider oft nach.
    Vielleicht ist der Rückschluss nicht falsch, dass das Überfüttern mit Lernstoff oder besser die Methoden des Nürnberger Trichters des Bildungssystems eine Bremswirkung auf die angeborene Wissensbegierde haben. Auch die zunehmende Reizüberflutung durch Medien aller Art tragen zu einer Abstumpfung der Neugierde bei. Die Neugierde könnte sicher Menschen jeden Alters helfen, über die Wunder unserer Welt zu staunen sowie Fragen zu stellen und komplexe Zusammenhänge zu entdecken.

  4. schoepfblog

    Geschätzter Professor!
    Ganz wie Sie betrachte ich die Neugier als eine der segensreichsten Eigenschaften, über die ein Mensch verfügen kann. Denn sie macht das Leben durch immer neue Erkenntnisse und Entdeckungen bis zuletzt spannend und aufregend.
    Leider sind sie auf eine Frage nicht eingegangen, die mich ein Leben lang beschäftigt: Wie ist es möglich, dass es neugierige Menschen gibt? Und wie ist es möglich, dass es Menschen gibt, die nichts interessiert oder die lediglich das interessiert, was ihnen in den Kram ihres metaphysischen Schrebergartens passt? Wie ist es möglich, dass es Menschen gibt, für die das Leben ein Erkenntnisprozess ist, eine Einstellung, der wiederum Menschen gegenüberstehen, deren einziges Sinnen und Trachten darauf abzielt, dass sie sich wohl fühlen: diesem Wohlgefühl opfern sie alles!
    Sind diese Unterschiede genetisch codiert? Sind sie eine Folge der Erziehung? Welcher Erziehung? Sind sie Folge eines Initiationserlebnisses?
    Ich würde mich freuen, wenn Sie in einem ihrer nächsten Artikel darauf eine Antwort geben könnten.
    Alois Schöpf

  5. Susanne Preglau

    Ich gehöre auch schon zu den altersmäßig namhaft Fortgeschrittenen – Jahrgang 1955.
    Und die Lektüre Ihres anfangs geschilderten Traums habe ich „wahrhaft genossen“ – diese Sprache ist mir noch aus Büchern, die ich als Kind und Jugendliche gelesen habe, in Erinnerung.
    Meine Kinder könnten damit keinerlei emotionalen Bezug mehr herstellen.
    Ich bin überzeugt, dass es sehr wichtig ist, wenn man älter wird, geistig rege und „neugierig“ zu bleiben – es gibt noch so unendlich viel Interessantes zu wissen. Es lebe die Neugierde, sie lebe hoch!

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