Print Friendly, PDF & Email

Ronald Weinberger
Hommage an eine Entschwebte
Essay

Wenige Wochen, nachdem in Weimar am 22. März 1832 die (allerdings nicht verbürgten bzw. missverständlich interpretierten) letzten Worte „Mehr Licht“ eines, ja des deutschen Olympiers schlechthin artikuliert worden waren, erblickte im niedersächsischen Wiedensahl einer das Licht der Welt, der zu dem wohl bis heute bekanntesten und beliebtesten humoristischen Dichter und Zeichner deutscher Zunge avancieren sollte: Wilhelm Busch.

190 Jahre ist dies her, indes kein Jahresjubiläum, dem hier besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden soll.

„Max und Moritz“ ist die populärste, aber bei weitem nicht die einzige der vielen Bildergeschichten Buschs, die für Furore in mehrerer Hinsicht sorgten – waren doch etliche davon ausgesprochen antiklerikaler Natur und stießen auch deswegen häufig auf Unverständnis und Ablehnung, da sie die oft spießige Doppelmoral bürgerlicher Kreise aufs Korn nahmen.

Erst relativ spät sollte Busch breite Anerkennung genießen: Zu seinem 70. Geburtstag erhielt er, der zeitlebens eher ernst und von depressiven Stimmungen geplagt war, in seiner Eigenschaft als humoristischer Dichter zahllose Würdigungen, darunter ein Glückwunschtelegramm von Kaiser Wilhelm II.

Gehen wir von da 30 Jahre im Leben Buschs zurück. In jenem Jahr, 1872, erblickte nämlich eines der eindrücklichsten Werke (dazu eines, das keineswegs für Kinder gedacht war), das humoristisch/makaber angelegt ist und die Frömmelei markig verspottet, das Licht der Öffentlichkeit: „Die fromme Helene“. Ein 150-Jahr-Jubiläum!

Der frommen Helene wurde sogar die Ehre erwiesen, 1982 auf einer Sonderbriefmarke verewigt zu werden – 150 Jahre nach der Geburt ihres Schöpfers. Dort wird die obere Hälfte ihres Leibes abgebildet, gewissermaßen. Ihre Seele freilich – und sie muss ja eine gehabt haben, denn das hat Busch schließlich zeichnerisch belegt – wurde nicht auf der Briefmarke gezeigt. Kaum erstaunlich, da sie längst im ewigen Höllenfeuer schmort. Die Seele!

Kein Wunder! Wer derart rücksichtslos mit einem ach so schwachen und daher sündigen Leib umgeht, wird, zu Recht, gerichtet. Sie hat ja, hat wahrhaft Schindluder getrieben mit ihrem Körper, die Helene. Ja, ja, der Alkohol! (Der übrigens, so kann man sich kundig machen, auch ihrem Schöpfer, realiter, zugesetzt hat). Aber ich sollte nicht den Hauptstrang dieser Erzählung verlassen.

Kurz, die Helene konnte sich nicht beherrschen. Trotz aller Frömmigkeit. Und so geschah, was geschehen musste. Wenn man nach der Flasche greift und sich ein von Petroleum gespeistes Licht in der Nähe befindet. Eine Petroleumlampe, die noch dazu umfällt und … Sie wissen doch, wie es weiterging, oder? Also: Was schrieb Busch? Und was zeichnete er dazu, als er „Hier sieht man ihre Trümmer rauchen – der Rest ist nicht mehr zu gebrauchen“ zu Papier brachte? Man sieht einen verkohlenden Leib – und eine Seele. Die eben zur Türe hinaus schwebt. Eine Entschwebung, fürwahr.

Jedoch kein erfolgreiches Entschweben, denn da wartete bereits jemand auf dem Dach. Wer? Der Leibhaftige! Als sich die Seele nämlich aus dem Schornstein erhob und gen den lichten Himmel zu gleiten gedachte, packte er sie mit der zwiegezackten Gabel und … Aber lassen wir lieber erneut Wilhelm Busch zu Wort kommen: „Er fasst die arme Seele schnelle – und fährt mit ihr zum Schlund der Hölle“.

Bedauernswerte fromme Helene! Gingst Deines Leibes und Deiner Seele verlustig! Glücklicherweise nicht eines, sehr lange Zeit, bis heute währenden literarischen Nachruhms.

Bleibt noch, mit einem der nicht eben wenigen sozusagen unsterblich gewordenen Zitate Buschs zu schließen; eines, das sich noch dazu gegen Ende von „Die fromme Helene“ findet:

Das Gute – dieser Satz steht fest –
ist stets das Böse, was man lässt!

Eigentlich sollten Sie nunmehr, auch angesichts des 150-Jahr-Jubiläums, Lust verspüren, endlich (wieder einmal?) die so einzigartige, verstörende, zum Nachdenken, zum Schmunzeln, zum Grausen verleitende Bildergeschichte „Die fromme Helene“ Ihren Augen zu verabreichen.

Wenigstens sich aber den Wikipedia-Eintrag de.wikipedia.org/wiki/Die_fromme_Helene dazu anzusehen. Ein derartiges Jahresjubiläum ist schließlich kein Pappenstiel, oder?

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

Schreibe einen Kommentar