Elias Schneitter
Nationalismus und Fußball
Notizen

Die EU wurde uns seinerzeit auch als Friedensprojekt angepriesen, um den Nationalismus, der so viel Unheil angerichtet hatte, zurückzudrängen. Eine Zeitlang ging es auch in diese Richtung, aber inzwischen ist mit dem Rechtsruck eine neue nationalstaatliche Bewegung im Aufschwung. „We first“ heißt die Devise.

Fußball-Großereignisse wie die Europa- bzw. Weltmeisterschaften leben natürlich von einer bestimmten Form des Nationalismus. Da stehen sich Länderteams im sportlichen Wettkampf gegenüber. Im besten Fall heißt es aber im Fußball generell: neunzig Minuten sind wir Gegner und danach trinken wir gemeinsam freundschaftlich ein Bier.

Natürlich wird bei Fußball-Events medial gerne auch die übliche Kriegsrhetorik verwendet, wie zum Beispiel  die Begriffe „Schlacht“ oder „Schlachtfeld“. Aber nicht immer geht es am Spielfeld so brutal zu, wie es seinerzeit Helmuth Qualtinger, alias Travnicek, über seinen Urlaub in Spanien formulierte: Der Stierkampf – a motte Soche, Simmering gegen Kapfenberg, des is Brutalität.

Interessant im Zusammenhang mit den Nationalmannschaften ist auch oft das Verhalten der Fans der einzelnen Länder bzw. den Ruf, den sie genießen.

In Deutschland bei der jetzigen EM hat es bislang (das Finale steht noch aus) relativ wenig Gewaltausbrüche gegeben, für die besonders die englischen Hooligans bekannt sind. Aber sie hätten auch wenig Grund dazu, denn England schmuggelte sich mit nur einer guten Partie und viel Glück ins Finale.

Besondere Sympathie bei der laufenden EM haben sich die schottischen Fans erworben. In Kilts und mit Dudelsack haben sie zwar die Biervorräte ganzer gastronomischer Straßenzüge leer getrunken, aber mit ihrer Fröhlichkeit haben sie auch die Herzen aller anderen Fans gewonnen. Leider mussten sie nach der Vorrunde wieder nach Hause.

Wir Österreicher sind üblicherweise an Niederlagen gewöhnt. Aber diesmal haben wir – unter deutscher Führung – wahrlich großartige Leistungen hingelegt, sodass wir Fußballnarrische mit erhobenen Häuptern das Turnier verlassen konnten. Das Spiel gegen Holland wird übrigens von zahlreichen Experten als das beste Spiel der EM bezeichnet (ohne Finale). Balsam für unsere Kicker-Seele.

Seltsam verhielten sich die türkischen Fans mit ihrem übertriebenen Fanatismus. Während der Spiele fielen sie durch ihre lautstarken Pfeifkonzerte auf, sobald die gegnerischen Mannschaften am Ball waren. Und dann noch die provokanten, blöden Handzeichen für die grauen Wölfe.

Bei der EM haben einige favorisierte Mannschaften ziemlich versagt. Die Italiener, die Franzosen und auch die Engländer, deren Wert auf dem Transfermarkt mit 1,3 Mrd € gehandelt wird. Wahnsinn!!!

Am Beginn jedes Spiels werden stets die Bundeshymnen gespielt. Dabei gefallen mir die italienische Hymne und die Marsellaise der Franzosen am besten. Reine aufputschende Kampfmusik fürs Ohr. (Inhaltlich verstehe ich nichts) Unsere Hymne ist eher langweilig und einschläfernd.

Im französischen Team spielen viele Schwarze mit Migrationshintergrund. Im Land selbst geht es momentan politisch richtig rund und der Superstar Mbappé hat sich auch kritisch zum Rassismus in seinem Land geäußert. Ich hatte oft den Eindruck, dass die französische Mannschaft meist nicht bei der Sache war, ihr Potential überhaupt nicht ausschöpfte. Dabei ist mir der Verdacht gekommen, dass sich die Spieler unterbewusst vielleicht gedacht haben: Warum soll ich meine Knochen für ein Land hinhalten, das mich imgrunde gar nicht haben will? Eine Französin hat das so formuliert: Bei der Marsellaise singt von den Spielern keiner mit. Das sind ja keine Franzosen.

Zum Schluss noch ein Hinweis: Die EM 2024 in Deutschland wird auch als das Turnier mit den meisten Eigentoren in die Geschichte eingehen!


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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) bis 2023 in Hall, seit 2024 in Kufstein.

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