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Reloaded vom 28. 01. 2022:
Alois Schöpf
Warum Alexander Van der Bellen zu Österreich passt.
Eine kultursoziologische Analyse

Dienstreise von Innsbruck nach Wien: In rascher problemloser Fahrt über die Autobahn, nach 4 Stunden 25 Minuten Einfahrt in die Wiener Rathausgarage, Überqueren der Ringstraße, noch rasch eine Melange im Café Landtmann, bevor die Termine im Regierungsviertel beginnen. Und wieder dieser Schock! In einer Operette gelandet zu sein! Nachgemachte Gotik, nachgemachte Antike, nachgemachte Renaissance, Propagandaschlachten der Gegenreformation aus billigen Ziegeln und Mörtel, gigantische Protzereien zwischen Ferstel, Semper und gründerzeitlichen Palladio-Hinterlassenschaften.

In diese Groteske passt wahrlich nur jemand, der so flexibel ist, sich der roten Tapetentür der Präsidentschaftskanzlei anzupassen, peu à peu den Watschelgang des österreichischen Langzeitkaisers Franz Joseph anzunehmen und sich damit tourismusfreundlich zwischen Weihnachtsmärkten, Staatsoper, Silvesterpfad und Neujahrskonzert in die Parameter der Wiener Friedhofskultur einzufügen.

Alexander Van der Bellen passt zu Österreich, weil er inzwischen so überzeugend den demokratisch gewählten Kaiser spielt, wie Franz Joseph den habsburgischen gespielt hat.

Österreich wurde vor der Französischen Revolution bewahrt. Dies ist aus historischer Perspektive wohl auch ein großes Verdienst des Hauses Habsburg und hier vor allem von Joseph II, dem Bruder Marie-Antoinettes, die bekanntlich mit ihrem Gatten unter der Guillotine endete. Ein etwas zu eleganter Ausdruck für die Ermordung zweier Unschuldiger. Und ein blutiger Makel, der den Franzosen in Folge teuer zu stehen kam. Nicht nur dass, wie in der Vendée, im Rahmen des ersten neuzeitlichen Massenmords 300.000 umgebracht, viele davon in die Flüsse geworfen wurden, um sie darin zu ertränken, und auch ein Napoleon als Ordner des Chaos ganz Europa mit Krieg überzog!

Österreich kam, mehr oder weniger revolutionsfrei und über Jahrhunderte katholisch gemaßregelt, ohne solche Massenmorde davon. Hierzulande wurden, wenn der Druck im Dampfkessel zu groß wurde, Reformen von oben verordnet, der aufgeklärte Absolutismus verhinderte Bürgerkriege in gleicher Weise wie die bekannt effiziente habsburgische Verwaltung mehr als ein Jahrhundert später die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium durchsetzte, weil selbiges in Bosnien, wo Musliminnen sich nur von Frauen behandeln lassen durften, bestens funktionierte. Warum sollte es nicht auch in Wien funktionieren? – So die Hofräte, die den Kaiser zu beraten hatten, im Jahre 1900.

Alexander Van der Bellen passt zu Österreich, weil die Österreicher es gewohnt sind, sich von oben herab, von Kaisern und Bischöfen früher und von Beamten heute belehren zu lassen.

Das Ideal der Österreicher ist, wen wundert es, die Sicherheit. Nach der Taufe durch einen katholischen Priester sollte dem Säugling im Idealfall die Pragmatisierungs-Urkunde als Gemeinde-, Landes- oder Staatsbeamter überreicht werden – inklusive einer genauen Auskunft über den Pensionsbeginn und den sodann zu erwartenden Zustand des Pensionskontos. Sollte dem Täufling des Weiteren im Lauf seines Lebens doch nach mehr Freiheit gelüsten, hat ihm jederzeit die Möglichkeit offen zu stehen, sich ausgestattet mit dem Rückkehrrecht in die ursprüngliche Position karenzieren zu lassen, um die Freuden der Selbstverwirklichung zu genießen. Sollten selbige scheitern oder nicht den gewünschten Erfolg erzielen, verbinden sich im Österreicher die kluge Einsicht in die eigene Mittelmäßigkeit und Bescheidenheit im Hinblick auf die Ansprüche an die Welt zur geläuterten Erkenntnis, es im Leben eben nicht aufgrund von Verdiensten, sondern aufgrund von Dienstjahren zu einem respektablen Titel, Einkommen und einem Konzert-Abonnement gebracht zu haben.

Alexander Van der Bellen passt zu Österreich, weil er als karenzierter bzw. inzwischen pensionierter Universitätsprofessor die ideale Manifestation der irdischen Existenz des Österreichers repräsentiert.

Hierzulande ist man, wenn man etwas werden will, gut beraten, tunlichst frühzeitig einer Partei beizutreten. Überzeugungen können dabei im Hinblick auf die Verbesserung von Verhältnissen durchaus hinderlich sein, da sich durch selektive Wahrnehmung im Hinblick auf konkrete Missstände sehr oft jene interesselose Sensibilität verringert, die den jungen Menschen befähigen soll, rechtzeitig die Windrichtung des Zeitgeists zu erahnen und damit früher als andere zu erkennen, welche Kräfte die Zukunft und damit die Chancen auf Jobs bestimmen werden. Da jedoch besonders in der Politik Prognosen sehr schwer zu erstellen sind, empfiehlt sich im Hinblick auf ein erfolgreiches Fortkommen die diskrete Absicherung nach allen Seiten hin.

So etwa ist es durchaus klug, sich als ein an marx´schen Analysen geschulter Kapitalismuskritiker nicht nur bei der sozialdemokratischen Partei, sondern auch als Mitarbeiter eines konservativen Wirtschaftsprofessors anheuern zu lassen. Oder es ist klug, sich als Weltbürger nach Paris zu einem Sektempfang zu begeben, um auf die EU-Sanktionen gegen Österreich anzustoßen, und sich zugleich im Trachtenanzug bei Blasmusik und mit Schnapsstamperl im alpinen Talschluss als Salontiroler hochleben zu lassen. Und es ist auch nicht unklug, Mitglied einer Kirche zu sein und selbige, solange es opportun ist, als Agnostiker bzw. Atheist zu verlassen, um sich, wenn es erst wieder opportun wird, ihr aufgrund gemeinschaftsbildender Kulturleistungen wieder anzuschließen.

Alexander Van der Bellen passt zu Österreich, weil er begriffen hat, dass die Österreicher Weltanschauungen nicht als Mittel der Welterkenntnis, sondern als Mittel des beruflichen Fortkommens betrachten.

Ein besonderes Merkmal der österreichischen Lebenskultur besteht in der Erkenntnis, dass die größte Störung des Bürgerfriedens die Außerordentlichkeit ist. Um sich vor solchen Zumutungen zu schützen, huldigt man den Größen der Vergangenheit, um sich die Gegenwart zu ersparen. So fließt denn auch der überwiegende Teil der für Kultur, Lehre und Forschung bestimmten Gelder in die stetige Wiederaufschäumung von Leistungen, welche bereits erbracht wurden, um zu verhindern, dass sie dorthin fließen, wo sie aktuell erbracht werden.

Ein wesentliches Element dieses Bekenntnisses zum Mittelmaß sind neben der Politik Österreichs Universitäten, die sich, abgesehen von den naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächern und abgesehen von wenigen  Ausnahmen in den Geistes- und Sozialwissenschaften, vor allem damit beschäftigen, aus Schülern, welche soeben die Schule verlassen haben, Studenten zu machen, welche im akademischen Betrieb verbleiben oder Aufnahme in eine das Leben der wertschöpfungsaktiven Bürger kontrollierende Bürokratie finden oder, sofern auch dies nicht gelingt, erneut als Lehrer in die Schulen zurückkehren, wo der Kreislauf der Selbstperpetuierung von Neuem beginnt.

Alexander Van der Bellen passt zu Österreich, weil er genau jenes auch akademische Mittelmaß repräsentiert, in dessen provokationsloser Unaufgeregtheit sich der Österreicher am wohlsten fühlt.

Die Aufgabe eines österreichischen Bundespräsidenten besteht darin, die Bevölkerung in regelmäßigen Abständen nicht durch den Inhalt seiner Reden, sondern durch die Langeweile derselben davon zu überzeugen, dass alles gut ist.

Gerade in den Krisenzeiten der letzten Monate hat Alexander Van der Bellen sich dabei durch die kontinuierliche Absonderung von einschläfernden Trivialitäten um das psychische Wohl der österreichischen Bevölkerung große Verdienste erworben. Mit seiner bewundernswerten Fähigkeit, einem kaiserlichen Bürokraten zu ähneln und zugleich der gütig-väterlichen Ironie des Bergoglio-Papstes nachzueifern, hat er uns nicht nur mit der Wärme einer großartigen Vergangenheit umfangen, sondern mit dem Verweis auf die biegsame österreichische Bundesverfassung zur beruhigenden Erkenntnis verholfen, dass sich noch so große Turbulenzen in der Politik, sofern sie sich im Bereich der Wiener Innenstadt abspielen, als eine amüsante Operette erweisen, die der Abonnent mit umso größerem Genuss über sich ergehen lassen kann, also er weiß, dass zuletzt er, Van der Bellen, als Deus ex machina auftreten wird, um alles zum Guten zu wenden.


Literatur:

Susanne Preglau-Hämmerle: Die politische und soziale Funktion der österreichischen Universität. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Inn-Verlag, Innsbruck 1986. S. 113.

Monika Czernin: Der Kaiser reist inkognito. Joseph II. und das Europa der Aufklärung. Penguin 2021.

Wikipedia zu Alexander Van der Bellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Van_der_Bellen

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Karlheinz Töchterle

    Lieber Alois,
    es drängt mich ja öfter, Dich für Deine Texte zu loben, nur selten aber reift das zu einer Post wie dieser. Also: Gratuliere zu dem Essay über unseren HBPVdB! Fast hätte ich ihn ja Satire genannt, das ist er aber nicht, weil er in seinen Kernaussagen, nämlich denen über den Amtsträger, des wichtigsten Gattungskennzeichens entbehrt, nämlich der Überspitzung und Verschärfung und des bösen Spotts. Auch Schillers zentrales Kriterium des Widerspruchs der Wirklichkeit mit dem Ideal findet sich nur fallweise, und eher da, wo Du von den Untertanen handelst; dort könnte man doch etwas differenzieren, vor allem scheint mir die Untertanenmentalität gegen Osten hin zuzunehmen (ostösterreichische Freunde, mit denen ich das erörterte, erklärten es historisch mit der dort weiter und länger verbreiteten Leibeigenschaft und der spürbareren Präsenz des Monarchen). Daher also doch ein Essay, der mich erquickt hat. Ceterum censeo isto munere opus non esse!

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