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Alois Schöpf
Die Charity-Seuche
Notizen

Sei ein Gutmensch!

Dann kannst du noch so eine Pfeife sein, man wird dir andächtig lauschen, wenn du, vor einem Konzert, vor einem Theaterabend, vor einer Lesung, an die Ukraine erinnerst, wie schrecklich es dort zugeht, die Kinder, die Frauen, die Soldaten, na, das ist schon weniger interessant und politisch fast unkorrekt, weil nicht pazifistisch – und die Frage stellst, ob es überhaupt erlaubt sei, vor einem solchen Hintergrund die Musik, das Theaterstück, die Lesung zu genießen, womit du die Sehnsucht eines immer noch katholisch sozialisierten Publikums befriedigst, weil, um sich des Lebens zu erfreuen, Buße getan und sich schlecht gefühlt werden muss.

Das funktioniert übrigens am Land genauso wie in der Stadt. Noch die mieseste volkstümliche Prolotruppe, der frömmste Kirchenchor und die bravste Kirchtagsmusi können Triumphe feiern, wenn sie aus ihrem Getute, Gesinge und Gezupfe ein Benefizkonzert machen und am Schluss einen Scheck übergeben, dessen Betrag um das Zehnfache geringer ausfällt als das güldene Licht der Tugend, in das der Fototermin getaucht ist.

In den Städten versammeln sich zur gleichen Zeit die Staatsmusiker, Staatsdichter,  Staatsimpresarios, Staatsprominenten und Staatsmoralisten, um, selbstverständlich unter Verzicht auf ihr Honorar, wie sie unüberhörbar betonen, nach Monaten der Corona-bedingten Untätigkeit endlich die Chance zu nützen, auf der Not der anderen aufbauend den Fortschritt der eigenen kleinen oder schon etwas größeren Karriere zu befördern und aufgrund demonstrativer Großzügigkeit sich am Markt der Aufmerksamkeit ein Interview, einen Fernsehbericht gar zu erkaufen, in dem dann die Frage gestellt wird, ob denn, siehe oben, vor dem Hintergrund all dieses entsetzlichen Leids in der Ukraine überhaupt noch an Kunst zu denken sei?

Apropos Markt der Aufmerksamkeit: Auch für die Medien, vor allem die staatlichen und durch Zwangsgebühren ernährten, bietet sich wieder die unvergleichliche Chance, in die erhabene Rolle der Solidarität und des öffentlichen Anstands zu schlüpfen, womit jene andere Rolle, die des mit Privilegien sonderzahl gesegneten Festangestellten bei gleichzeitiger Ausbeutung der freien Mitarbeiter, bis zum nächsten Advent kein Thema mehr ist.

Spätestens dann nämlich, wenn Weihnachten naht, wird über Stunden und Tage wieder die Schleimspur des Helfens und Spendens ausgerollt, gesegnet von einem auf solchem Untergrund versiert tänzelnden Präsidenten und von demütig mit ihren Köpfen wackelnden Kirchenfürsten, die Sterbenden zwar unerbittlich in ihren Krankenhäusern und Hospizen den letzten Wunsch nach einem sanften selbstbestimmten Tod verweigern, in den heimeligen Kulissen von „Nachbar in Not“ jedoch von der Bergpredigt und Jesus schwafeln. Spätestens da erreicht die Charity-Seuche, der Kampf um das geilste Preisgeld zur gefälligen Selbsterhöhung seinen Höhepunkt.

Wer helfen will, helfe!
Helfen ist edel.
Helfen ist gut.

Doch nur dann, wenn der Helfende sich nicht prahlend vor seine edle Tat stellt, um mit dem Wucherzins seiner Tugend mehr an Distinktion, Ruhm, Prominenz, Präsenz zu kassieren als er auf Geld verzichtet oder vielleicht sogar gespendet hat.

Wie kann man einen Gesang, eine Lesung, ein Konzert als Akt der Solidarität bezeichnen, wenn diejenigen, mit denen man sich angeblich solidarisch erklärt, mit Waffen kämpfen und ihr Leben riskieren müssen, während die westlichen Helden des Gutmenschentums sich gefahrlos beklatschen lassen. Eine solche Solidarität, auf der Bühne und vor der Bühne, ist doch nichts anderes als ein schäbiger Freikauf vom schlechten Gewissen, feig zu sein, in Frieden leben zu dürfen und nur zu schwätzen.

Im Gegensatz etwa zu Marina Ovsyannikova, die durch ihren Auftritt im „Kanal 1“ des russischen Fernsehens ihre Karriere ruinierte. Oder im Gegensatz zu den Herrn Mateusz Morawiecki, Petr Fiala und Janez Jansa, die als Staatschefs unter Gefahr nach Kiew reisten, um sich dort in Präsenz mit dem ukrainischen Präsidenten zu unterhalten.

Hut ab! Endlich Europäer!

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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