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Regina Hilber
Statik-Büro Wilde 80er
Folge 2
Raucher

Das Büro ist ein Raucherbüro. Wie in allen Betrieben und Betriebsstätten wird in den 1980ern geraucht, demonstrativ gegen den Willen der nichtrauchenden Belegschaft. 

Vier Büros finden hier auf einer Ebene zusammen: das Ziviltechnikerbüro, ein Vertriebsbüro für spezielle, in Italien produzierte Eisenmatten, die keinen Käufer finden, das Büro der Firma VOLLbeton und ein weiteres, das zu definieren mir noch Mühe macht. 

Die Sekretärin letzteren Büros ist Mitte fünfzig und eine blondierte Vollblutitalienerin, die stets im aufgeregten, aber aufgesetzten zischenden Flüsterton mit dem Chef aller Unterbüros spricht, sodann aber lauthals auf Italienisch ins Telefon brüllt, nach dem Gespräch den schweren Hörer demonstrativ auf die Gabel knallt, bis das rote Lämpchen am Zentralapparat zornig orange aufflammt (nur die Lämpchenfarben Rot und Grün sind laut Bedienungsanleitung des Zentralapparates vorgesehen), dann zuckend in hellerem Orange flackert, bis es sich schließlich in ein friedliches Grün austariert, in das Grün, das laut Hersteller für das Freisein einer Klappe vorgesehen ist.

Der Geschäftsführer der Firma VOLLbeton wiederum ist ein Macho, ein Tiroler Donald Trump, ein Hengst. Er setzt sich ausschließlich in die einzige Damentoilette, Zeitung lesend, ewiglich. Dann trabt er, eine Zigarette rauchend, polternd durch die Gänge, lässt einen Geldschein fallen vorne an der Rezeptionstheke, zwischen dem Statikerbüro und dem Vertriebsbüro für die Eisenmatten. 

Irgendwer wird sich seines Bedürfnisses schon annehmen: eine Stange Marlboro, eine Semmel mit Schinken ohne Fettrand, oder ein Lotterielos, während er sich schon zurückbewegt hat in sein VOLLbetonbürozimmer, dabei in jede offene Tür entlang des Ganges laut hineingröhlend, seine Männlichkeit demonstrierend, und den soeben in der Damentoilette in der Kronen Zeitung gelesenen Witz des Tages darbietend.

Als Misogynist würde man ihn heute betiteln, ihm das Stigma erkennbar auf die Stirn stempeln. Von Begrifflichkeiten wie diesen ist Mann in den 1980er-Jahren noch weit entfernt, ist Frau sich nur ihres Rocksaums sicher, wenn sie ihn zusammenhält. Diesen schützt sie mit Hingabe oder mit vorgehaltener Hand, je nachdem. An dieser Stelle macht sich das Mädchensein besonders bezahlt: es schützt ein unschuldiges Gesicht vor allzu aufdringlichen Avancen und schlüpfrigen Witzen der männlichen Belegschaft.

Der Rauch zieht von den Gängen hinein in die Bürozimmer, gleichzeitig von den einzelnen Büroräumen wieder in den Flur hinaus. Dort prallen die Rauchschwaden aufeinander, verdichten sich zu beharrlichem Flursmog.

Gotthard, genannt Gotti, der Schweizer, ist gesund, gediegen, entspannt. Aus seinem Büro qualmt kein Zigarettenrauch. Ich würde gerne in seinem Zimmer arbeiten, aber ich kringle Kreise mit Hilfe der Kreisschablone im Büro des Weinviertler Doppels, da wo der Nebel am dichtesten ist und eine junge, gesunde Lunge wie die meine am wenigsten Schaden nehmen kann, sagen Gustl und Andi aus Poysdorf unisono.

In zwei Wochen wollen wir den Wald hinter uns lassen und den Gipfel besteigen. Betriebsausflug des Statikerbüros. Den Roten Zeiger nehmen wir dabei mit, liegt ohnehin auf der Route, so praktisch, gleich zwei Fliegen, sagen Bertram und Gotti, und beider Blick ist so hart und unbeugsam wie der Stahl, wie die Eisen, die wir in die Statikpläne einzeichnen, damit er dann auf der Baustelle am rechten Ort verlegt und eingebunden werden kann.


Fortsetzung nächste Woche


Aus: WELTEN WIDER WILLEN (Fabrik Transit, 2024)
Buchpräsentation mit REGINA HILBER und ERIKA WIMMER MAZOHL
Montag, 01. Juli 2024, 19:00 – WELTEN WIDER WILLEN
Regina Hilber und Erika Wimmer Mazohl präsentieren die Essay-Anthologie WELTEN WIDER WILLEN (Edition Fabrik Transit) im Rahmen einer GAV-Tirol Lesung.

„Was wilder Wald“ lautete eine der Themenstellungen zu dieser Essay-Anthologie, die während der Wolfgangseer Literaturtage im Laufe der letzten vier Jahre entstand. Die beiden Autorinnen werden ihre jeweiligen Wald-Beiträge mit starken Referenzen zu Tirol lesen.

Buchhandlung Liber Wiederin
Buchpräsentation in Kooperation mit der GAV Tirol

WELTEN WIDER WILLEN

 
 
 

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Regina Hilber

Regina Hilber, geb. 1970, lebt als freie Autorin in Wien, schreibt Essays, Erzählungen sowie Lyrik. Sie ist auch als Publizistin und Herausgeberin tätig. Zuletzt erschienen ihre gesellschaftskritischen Essays in Lettre International, Literatur und Kritik und in der Zwischenwelt. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, ihre lyrischen Zyklen in mehrere Sprachen übersetzt. Zahlreiche Einladungen zu internationalen Poesiefestivals und geladenen Schreibaufenthalten in ganz Europa. 2017 war sie Burgschreiberin in Beeskow/Brandenburg. Buchpublikationen zuletzt: Palas (Edition Art Science, 2018) und Landaufnahmen (Limbus Verlag, 2016). 2018 gab sie die zweisprachige Anthologie Armenische Lyrik der Gegenwart — Von Jerewan nach Tsaghkadzor (Edition Art Science) heraus.

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