Regina Hilber
Déjà-vu
Seit 30 Jahren Burgschreibzeit in Beeskow/Ostbrandenburg
Ein Klassentreffen an der Spree
Mein italienisches Herz verlangt nach einem Schluck Averna im Schukurama. Die Namensgebung könnte glatt aus Wien stammen. Um die ostbrandenburgische Vorabendhimmelsfront braust keine See, Feuchtigkeit beherrscht die Luft, macht mein krauses Haar fozzy, wie nur der hiesige Landstrich das zustande bringt, lässt mich aussehen wie einen Flokati-Teppich, oder einen begossenen Pudel. Mindestens.
Ich hasse Sonntage! sage ich zu Volker Altwasser, Burgschreiberjahrgang 2015, als wir am Ecktisch bei angenehm schummrigem Licht sitzen.
Da ist alles noch toter als sonst, den Katholiken sei Dank.
Volkers Bier ist bald alle, ich schiebe ihm den restlichen Averna hin, das exotische italienische Getränk, das die Kellnerin nicht identifizieren konnte, der Wirt war eingesprungen, suchte die Spirituosenregale nach der Kräuterflasche ab.
Vielleicht kann uns nur noch der sonntägliche Tatort als eine der wenigen Konstanten retten an diesem stillen Beeskower Abend, an dem Schluss tatsächlich Schluss bedeutet: Die Literaturkonferenz Oder-Spree mitsamt dem Burgschreiber-Ehemaligentreffen ist seit Nachmittag vorbei.
Wie akkurat das ging. Schlusspfiff um fünf und aus. Alle ausgeflogen, davongestoben, die Burg wieder menschenlos in Windeseile, so wie damals als ich sechs Monate Burgschreiberin gewesen war. Vielen Dank auch an dieser Stelle an die Burgverwaltung Beeskow, dass ich an diesen Tagen die Burgschreiberwohnung nutzen darf und ich aus der Dauer- Déjà-vu-Schleife gar nicht mehr rauskomme.
Das Wiederholungsmonster begleitet mich durch die drei Tage in und um die Burg, wobei sich die Déjà-vus weniger als schon mal gesehen (so die wortwörtliche Übersetzung aus dem Französischen) manifestieren, als eher schon mal erlebt. Situationswiederholungen, Stimmungswahrnehmungen, gefühlte Momente, Gesprächsfetzen, die in der Luft hingen, aber nie ausgesprochen wurden – alles wieder da.
Jetzt aber haben Volker Altwasser und ich das Klassentreffen bereits absolviert, sind als einzige Übriggebliebene automatisch die coolen und sitzen bei Averna.
Tatort, sagt Volker Tatort, genau. Im Schwan gibt es einen Gemeinschaftsraum mit Fernseher.
Bis zum Hauptabendprogramm bleibt noch eine Stunde, viel Zeit, um zu resümieren, Vergleiche zu ziehen, Geschichten zu erzählen, Zeit umzuschlagen, den gestrigen Terrorakt in Nahost für ein Weilchen auszublenden.
In Beeskow nichts los, sagte Katja Lange-Müller gestern Abend noch, als wir uns an der Burgwand unter dem Büro bei Wein vor dem Regen drückten und erzählte von einer Homeparty, die sie gecrasht hatte, damals während ihrer Burgschreiberzeit vor sehr vielen Jahren. Oder hatte Ralph Hammerthaler diese Episode erwähnt?
Mein Vergleich mit der italienischen Kleinstadt Ferrara hält immer noch, finde ich, als ich unverrichteter Dinge mit Volker vom Schwan zur Burgkemenate zurückschlendere. Jenen Vergleich hatte ich gleich bei meiner ersten Kolumne für die MOZ (Märkische Oderzeitung) gezogen. Der Tatort wollte nicht sein. Ich kann gar nicht genau sagen, weshalb: Tee wurde gebraut im Aufenthaltsraum des Schwan, Bier getrunken, Restkekse verteilt, Gürkchen, Nachrichten gesehen kurz vor Tatort-Beginn. Israel. Die Schreckensbilder zum Angriff auf Israel vom Vortag. Dieses einschneidende Massaker und der Umgang mit dem Nahost-Konflikt werden uns lange noch beschäftigen. Nicht noch ein Krieg.
Dann verschließe ich die beiden riesigen Burgtore, schiebe den Sicherheitsriegel vor, Volker geht seines Weges, durch Nacht und Regen, aber das ist glatt gelogen, weil der Abend ist in Wahrheit noch jung, sehr jung.
Allein in der kleinen Burgschreiberwohnung steigen noch einmal all die Erinnerungssplitter hoch, die Klappstühle in der schmalen Küche, auf denen man hart sitzt, das undefinierbare Lichtgrün der Teetasse, nur eine davon hat die sechs Jahre meiner Abwesenheit überdauert, sogar die Gerüche sind dieselben geblieben.
Ich setze mich an den kleinen Gartentisch in der Küche, lege eine zusammengefaltete Decke auf den Klappstuhl aus Holz, noch eine Tasse Tee, die geschriebenen und ungeschriebenen Werke machen sich breit auf meiner Festplatte im Kopf, verschränken sich. Alles wie damals.
Wie sehr wir alle unseren Gewohnheiten aufsitzen! Mir graut vor mir selbst, ich kann das fozzy hair förmlich spüren, mich fröstelt. Die Heizung ist noch nicht an, aber das ist OK, schließlich ist erst Anfang Oktober. Im Dauermodus flimmern die schrecklichen Berichte zum Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten über mein Handydisplay, ich mache kein Licht an.
Die dicken Burgmauern wachsen noch enger an mich heran, während die altbekannten Gerüche, irgendwo zwischen feuchten Spree-Fischernetzen und altem Mörtel, noch intensiver in meine Nase steigen. Déjà-vu folgt auf Déjà-vu, die Kreuzspinnen verziehen sich ob der ersten Herbstkälte auch nach drinnen, aber nicht körperlich zu mir nach drinnen, weil dieses Innerste ist bereits besetzt. Alles wie damals.
Samstagnachmittag hatte mich das Beeskower Rahmenprogramm zur Mini-Lesetour der Autorinnen Ruth-Maria Thomas und Sarah von Lüttichau nach Kleinschauen bzw. Kagel gebracht. Zwei helle Flecke mehr auf meiner ostbrandenburgischen Landkarte. Tropfnasser Oktober auch da.
Die beiden Jungautorinnen waren ausgewählt worden, an jenen beiden Standorten binnen zwei Wochen Literatur zu schaffen. Schreibarbeit im Akkord, denn dem Vor-Ort-Schreiben muss erst einmal Stoff bzw. Stofflichkeit zugrunde liegen, die Tentakel ausgefahren werden. Was wir als AutorInnen brauchen ist Input, stets neuen Input, ganz egal aus welcher Ecke er kommt. Wir erfinden viel und lügen, dass sich die Balken biegen innerhalb unserer literarischen Ergüsse, sofern es sich um die viel gepriesene Fiktion handelt, aber wir können nicht alles herbeizaubern.
Beeskow mit seinem Umland hatte mir im Winter 2017 als außenstehende Großstädterin viel Material mit in den Burgschreiberalltag gegeben, so viel, dass neben den eigentlichen Buchprojekten ein neues, der Palas, entstand.
Mir ist wieder nach Italien und Triest, sage ich zu einem Freund in Wien am Telefon, als ich mich schließlich aus dem Küchenkokon schäle und die Kemenate aufsuche, der eigentliche Arbeitsplatz wird stets mit dem Blick auf das Bett nebenan mutwillig durchkreuzt. Kein Autor kann mit Blick auf das Bett arbeiten. Es ist, als würde der Haubenkoch nicht vor dem Herd, sondern vor dem Bettgestell die Brühe rühren. Als würde der Chirurg den Patienten nicht im Operationssaal aufschneiden, sondern in der fahrenden Straßenbahn.
In Triest bleibt mein Haar lockig, da wird es niemals fozzy, trotz, oder gerade wegen der Meeresbrise. Lachen am anderen Ende der Leitung. Obwohl, uns ist gar nicht zum Lachen zumute.
Wie Volkers noch junger Abend zu Ende ging, weiß ich nicht, aber er muss hier unbedingt zu Wort kommen, denke ich und schreibe ihn an. Es kommt nichts, hat Altwasser zu tun? Das verstehe ich. Aber Halt, da poppt schon sein Kommentar auf im Posteingang: Egal, ab ins Regal!, antwortet er.
Mein Appell an die Burgverantwortlichen: Gebt den AutorInnen endlich einen Arbeitsraum, der nicht das Schlafzimmer ist! Der Burg stehen schließlich genug Räumlichkeiten zur Verfügung. Letzte Worte auf Wienerisch bzw. wie Kaiser Franz Joseph I zu sagen pflegte: Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.
Regina Hilber liest mit Kolleginnen und Kollegen morgen, am 25.10.2023 um 19.00 in der Buchhandlung Wiederin (Innsbruck, Erlerstraße 6) aus ihren Werken.
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sehr guter text! kann mir die szenerie bestens vorstellen – nicht nur herbstmelancholie in reinkultur.