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Friedrich Hahn bespricht:
Anna Mitgutsch
Unzustellbare Briefe: Erzählungen

Ich sag es besser gleich: Es ist mein erstes Buch der Anna Mitgutsch, Linzerin des Jahrgangs 1948. Klar, man kennt ihren Namen als Fixgröße der österreichischen Literatur. Aber ganz in die erste Reihe(?), nein, ganz nach vorne hat sie es nicht geschafft.

Sind ihre Unzustellbaren Briefe nun ihr Alterswerk? Eine Rückschau? Oder gar eine Autobiografie? 

In 18 Kapiteln erinnert sich Mitgutsch ihrer Lebensmenschen. Menschen, die sie für wichtig hielt. Oder die sie für wichtig hielten. Das Ergebnis sind Psychogramme, einfühlsame Portraits. Manche geraten eher zu einem Nachruf, in manchen stecken geheime Anklagen, und nur in den wenigsten schimmert etwas von der Biografie der Autorin durch. Andeutungen sind es. Nicht mehr. Schon allein daher, weil Anna Mitgutsch, mit einer Ausnahme, keine Klarnamen nennt. 

Ich war oft versucht, mich mit den spärlichen Andeutungen im Netz schlau zu machen. Der Mentor, der Freund – so die Kapitelüberschrift – ist ein Mann, der sie von den ersten literarischen Schritten an begleitet und motiviert hat. Ich bin neugierig, werde zum Detektiv, google Claasen, Lektor, gestorben 2010. Nichts. Kein Eintrag. Kein Hinweis.

Dennoch. Mitgutschs Mentor und Freund wird beim Lesen in meinem Kopf ziemlich lebendig. Kursiv immer wieder Einschübe mit seinen Briefzitaten. Einen will ich hier, der ich selber schreibe, zitieren: Um in der Literaturszene Erfolg zu haben, brauchst du jemanden, der Einfluss hat und an dich glaubt, und du hast niemanden.

Im Oktober 2023 hat Anna Mitgutsch ihren Vorlass an das oberösterreichische Literaturarchiv im Stifterhaus übergeben. Und aus diesem Anlass auch aus den noch unveröffentlichten Unzustellbaren Briefen das Kapitel American Gigolo gelesen. Dieses Video (übrigens unter DorfTV.at nachzuschauen und zu -hören) ist aus zweierlei Gründen interessant. 

Ich habe bei Mitgutschs Vortrag mitgelesen und bin auf die eine oder andere Abweichung gestoßen. Das gibt Einblicke in Lektoratsarbeit. Und zum anderen erfährt man in dem Gespräch mit dem Moderator Christian Schacherreiter, wie es Mitgutsch mit dem Autofiktionalen hält. Schon allein die Auswahl, was man schreibt und was nicht, sagt sie da sinngemäß, würde die Realität verfälschen. Und weiter: Dann packt man noch so manch anderes dazwischen, und schon entspräche das Geschriebene nicht mehr der Wahrheit. Und schon wäre es Literatur.

So einfach? Ja, so einfach. Und doch so kompliziert.

Mich haben Mitgutschs Portraits stark beeindruckt. Schon lange habe ich mir in einem Buch nicht so viele Stellen markiert. Die Sätze kommen leise und unaufgeregt daher. Aber jeder Satz, jedes Wort bringt zur Sprache, wo man glaubt, es gibt keine (Peter Pisa). 

Als Meisterin der Zwischentöne macht Anna MItgutsch sichtbar, was wohl am schwierigsten darstellbar ist: das Zwischenmenschliche mit all seinen Zwischentönen.

So bin ich sicher: Es wird nicht das letzte Buch gewesen sein, das ich von Anna Mitgutsch gelesen habe. Eine starke Persönlichkeit, diese Frau. Und eine bewundernswerte Autorin, die längst vor die Vorhänge der größten Bühnen gehörte.

Übrigens: Wenn man sie so bei der Lesung sieht, man glaubte ihr die 75 Jahre nicht. Schreiben hält offenbar jung.

Anna Mitgutsch. Unzustellbare Briefe: Erzählungen, Luchterhand, 320 Seiten, € 24,70

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Hahn Friedrich

Geboren 1952 im Waldviertel / NÖ, schreibt und veröffentlicht seit 1969. 54 Bücher mit Lyrik, Prosa sowie 20 Arbeiten für den Rundfunk und für die Bühne (zuletzt „im rücken des schattens“, die rampe, Stuttgart 2004). Performances (u. a. im Centre George Pompidou/Paris im Rahmen der Polyphonix), Ausstellungen und Kataloge (u. a. „remakes“: Museum Moderner Kunst/Wien, „unterm strich“: Galerie Eichgraben, „allerhand hahn“: CA-Galerie im TZ). Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und des Literaturkreises "Podium". Lebt in Wien/Alsergrund. www.literaturhahn.at

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