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Peter Kurer
Das Loch im Donut
Zur angeblich hoffnungslosen Lage der Schweiz
2.Teil:
EU-Abkommen und Kollaps der Credit Suisse
Analyse

1. Teil: https://schoepfblog.at/peter-kurer-zur-lage-der-schweiz-1-teil-ranking-weltmeister/

Überlagert wird die derzeitige Neutralitätskrise vom Unvermögen der Schweiz, mit der EU ein geordnetes Verhältnis zu finden bzw. den status quo weiterzuentwickeln.

Die Schweiz ist Mitglied weder der EU noch des EWR. Sie hat vielmehr ein Verhältnis zur Union, das sui generis ist. Es besteht aus einem dichten Geflecht von bilateralen Verträgen, das eine sektorielle Teilhabe am europäischen Binnenmarkt sowie am Sicherheits- und Migrationsbündnis Schengen-Dublin erlaubt.

Seit vielen Jahren möchte die EU und die (relativ schmale) integrationsfreundliche Flanke der schweizerischen Politik dieses bilaterale Verhältnis um eine institutionelle Anbindung des Landes an die Union erweitern. Zu diesem Zweck wurde ein Konzept entwickelt, das die automatische Übernahme von neuem binnenmarktrelevanten Recht durch die Schweiz sowie die Lösung bilateraler Konflikte unter den letztendlichen Auspizien des EuGH vorsieht.

Die entsprechenden Verhandlungen dauern seit bald zehn Jahren. Ein erster Entwurf für ein einschlägiges Rahmenabkommen (auch institutionelles Abkommen genannt) rannte sich nach dem Brexit zu Tode, bis sich ein entnervter Bundesrat im Mai 2021 aus den Verhandlungen zurückzog. Zurzeit finden neue Sondierungen für eine Nachfolgeversion des Rahmenabkommens statt, die gelegentlich zu Neuverhandlungen führen sollten.

Diese verschleppten Verhandlungen werden hüben und drüben von immer schrilleren Tönen und Massnahmen begleitet. Unter anderem verwehrt die EU heute den schweizerischen Hochschulen den Zugang zum europäischen Forschungsprogramm Horizon, das dafür der Türkei, Israel und nun auch wieder den Engländern offensteht.

Neutralitätskritik und Streit mit der EU waren schon ausreichend Grund, sich innenpolitisch zu reiben, und je nach Standpunkt, entweder die gewölbte Brust des wehrhaften Eidgenossen zu präsentieren oder sich vor der Welt in Sack und Asche zu werfen.

Und dann kam am 19. März der plötzliche Kollaps der Credit Suisse, der zweitgrössten Bank des Landes und eines der wenigen globalen Finanzinstitute überhaupt. Die Bank hatte über Jahre schwerwiegende Fehler im Management und der Risikokontrolle begangen, womit das Vertrauen in sie kontinuierlich erodierte.

Als in den USA mehrere mittelgrosse Banken von der FDIC gerettet werden mussten und die Furcht einer neuen globalen Banken- und Finanzkrise umging, erwischte es mit der Credit Suisse das schwächste Mitglied der internationalen Hochfinanz.

In der zweiten Märzwoche fiel der Aktienkurs der Credit Suisse ins Bodenlose, und der CDS Spread (womit die Kreditkosten einer Bank gemessen werden) schnellte in die Todeszone von über 1200bp hoch. Das Vertrauen in die Bank war dahin, und ein veritabler Bank Run setzte ein.

In einer Nacht- und Nebelaktion, nach nur dreitägiger Vorbereitung, verordnete der Bundesrat eine Zwangsfusion mit der gesunden UBS, womit eine für schweizerische Verhältnisse gigantische Bank und der grösste (oder zweitgrösste, je nach Lesart) Vermögensverwalter der Welt entstand.

Der Bundesrat musste dabei auf Methoden zurückgreifen, die einer puristischen Vorstellung von Demokratie und Rechtsstaat hohnsprechen. Er bezog sich auf das sehr weitgehende Notrechtsregime der schweizerischen Bundesverfassung, das von der Regierung ohne vorherigen Rekurs an das Parlament ausgerufen werden kann, und griff zudem in die Eigentumsrechte der UBS-Aktionäre und gewisser Obligationäre ein.

Der Untergang der einst führenden Bank der Schweiz schmerzte, und für das zwinglianische Zürich war die Übernahme seines Traditionshauses durch die UBS gar ein Fiasko, nachdem man diese hier noch bis zur Jahrhundertwende abschätzig und ungestraft als katholische Provinzbank verhöhnen durfte.
Dies störte den sonntäglichen Frieden der Schweiz, und sogleich ging wieder einmal ein Halali auf die ungeliebten Banker, die angeblich inkompetenten Aufsichtsbehörden und den notrechtsfreudigen Bundesrat los.

Die Reaktionen des Auslands waren gemischt und differenzierter. Die einen Kommentatoren sahen mit Häme den schweizerischen Finanzplatz wieder einmal am Boden, während die besonneneren ausländischen Politiker, Medien und Aufsichtsbehörden erleichtert aufatmeten.

Bei Lichte betrachtet hatte die schweizerische Politik mit ihrem beherzten, wenn nicht gar aggressiven Auftreten rasch den entstehenden Flächenbrand in der internationalen Finanzszene ausgetreten und sichergestellt, dass eine globale Bankenkrise bereits im Keime erstickt wurde. In der Innenpolitik wird das Thema Credit Suisse das Feld bis zu den Wahlen im Herbst beherrschen. Danach wird es wohl ruhiger werden, und die UBS kann sich ungestörter daran machen, die billig erworbene Beute möglichst gewinnbringend zu integrieren.

Neutralitätskrise, Streit mit der EU und Kollaps der Credit Suisse treffen die Schweiz wieder einmal in ihrem Selbstverständnis eines Musterknaben und führt allenthalben zu bisweilen an Masochismus grenzenden Selbstzweifeln.

Letzten Endes wird auch diese Nemesis aber nur zum Guten sein. Die Schweiz ist ein durch und durch konservatives Land, das sich nur träge ändert. Indessen kann sich die Eidgenossenschaft, wenn sie wirklich unter Druck gerät, rasch und konsequent zusammenraufen und neu positionieren, was sich seit dem radikalen aussenpolitischen Schwenker nach der Schlacht von Marignano im September 1515  immer wieder zeigte.

Den Zusammenbruch der Credit Suisse wird man in einigen Jahren als das segensreiche Wirken der Schöpferischen Zerstörung nach Schumpeter sehen; der Finanzplatz wird sich neu und erfolgreich ordnen, auch wenn sein Gewicht gegenüber anderen Wirtschaftsbranchen relativ weiterhin abnehmen wird, was sein Gutes hat.

In der Neutralitäts- und Sanktionspolitik wird sich das Land subtil an die neuen geopolitischen Bedingungen anpassen, die sich als Folge der sich erneuernden Weltordnung und des Wiedererstarkens der USA als westlicher Hegemon ergeben; in diesem Bereich sind wohl eine flexiblere Waffenausfuhr wie auch eine stärkere Anlehnung an die europäische Sicherheitsarchitektur denkbar oder gar wahrscheinlich.

Indessen wird sich die Schweiz ähnlich wie ihre europäischen Nachbarn kaum zur generellen Konfiskation von russischen Vermögenswerten hinreissen lassen, weil es als kleines Land anders als die Grossmacht USA die internationale rule of law strikt befolgen muss.

Nur mit der EU wird nicht viel passieren, es sei denn diese verzichte de facto auf eine institutionelle Anbindung. Die Schweizer wollen im europäischen Konzert freundschaftlich und vernetzt auftreten, aber sie wollen durch und durch unabhängig bleiben.

Die Bevölkerung ist europaskeptisch, und der Anteil der Schweizer, die der EU beitreten möchten, nimmt dramatisch ab; gemäss einer Umfrage aus dem Jahre 2019 wollen 20,5 Prozent der über 65 Jährigen, aber nur 6,5 Prozent der 18-34 Jährigen der Union beitreten.

Eine immer engere Anbindung an die Union würde die direkte Demokratie aushöhlen, womit jene Institution wegfiele, mit der die Schweizer die auch hier selbstsüchtigen und eigenreferenziellen Politiker und Bürokraten unter Kontrolle halten – zum Wohle und Prosperität des Landes.

Zudem schürt eine engere Anbindung an die EU die Urangst des Volkes, das sich noch zu gerne an das böse Diktum von Friedrich Dürrenmatt erinnert, dass die Schweiz in Europa dereinst wie ein Zucker im heissen Tee aufgehen wird.
Somit kann man zur eingangs gestellten Frage zurückkehren:

Ist die Schweiz das Loch im Donut?

Ich glaube, der kecke und etwas unbedarfte amerikanische Botschafter hat nicht ganz Unrecht. Die Schweiz ist gelegentlich ein Niemandsland im Ganzen, sie tickt oftmals anders als ihre Nachbarn. Indessen wird sie darin immer wieder gefordert und unter Druck gesetzt, wie eben heute.

Das Land ist vielfältig mit der Umwelt verflochten: mit seinen internationalen Unternehmen, der starken Immigration, den global ausgerichteten Forschungsinstitutionen, seiner Vielsprachigkeit, mit den international orientierten und ausgebildeten Eliten, seiner aktiven Diplomatie und den humanitären Diensten.

Deshalb kann es sich nicht einfach international abmelden, muss sich immer wieder anpassen und Kompromisse eingehen, die gelegentlich schmerzhaft sind.
Die Schweiz wird das überleben, wegen ihrer reichen Substanz und nicht zuletzt deswegen, weil sie in der Mitte eines Lochs ruht und konservativ ist; und umgekehrt darum, weil das Land so offen ist, sich immer wieder neu erfindet und dem Rest der Welt zuneigt.


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Peter Kurer

Peter Kurer wuchs in Zürich auf und besuchte das Gymnasium Stella Matutina in Feldkirch. Die Matura machte er am Kollegium Appenzell im Jahre 1969. Er studierte Rechts-, Staats- und Politikwissenschaften an den Universitäten Zürich (Dr. iur.) und Chicago (LL.M). Danach war er Anwalt und Partner bei der internationalen Anwaltssozietät Baker & McKenzie. Im Jahre 1991 gründete er mit sieben Kollegen die Kanzlei Homburger in Zürich. Er praktizierte hauptsächlich im Bereich M&A und war gleichzeitig Mitglied mehrerer Verwaltungsräte wie Holcim, Kraft Jacobs Suchard, Danzas, und Rothschild Continuation Holdings. 2001 wechselte Peter Kurer als General Counsel (Chefjurist) und Mitglied der Konzernleitung zur UBS. Im Jahre 2008 übernahm er während der Finanzkrise für ein Jahr das Präsidium der Bank. Von 2016 bis 2020 war er Präsident des Telekommunikationsunternehmens Sunrise. Heute ist Peter Kurer Verwaltungsratspräsident des Verlages „Kein & Aber“ sowie Mitglied des Verwaltungsrates von SoftwareOne. Daneben ist er publizistisch tätig. Sein Buch “Legal and Compliance Risk: A Strategic Response to a Rising Threat for Global Business” erschien im Februar 2015 in der Oxford University Press.

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