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Andreas Niedermann
"Aus mir wird keiner."
Essay

In den 90-er Jahren verdiente ich meine Miete mit einem beinahe klassischen Autorenjob: als Techniker in einem Wiener Theater. Es war nicht irgendein Theater, sondern das Schauspielhaus in der Porzellangasse. Intendanz: Hans Gratzer.

Das Haus genoss damals internationale Reputation. Gratzer bespielte es nur mit (österreichischen) Erstaufführungen. Und entdeckte, neben anderen, den Dramati-ker Werner Schwab, und hievte als erster dessen Stücke auf die Bühne.
Es war wildes, anarchisches und dezidiert antibürgerliches Theater, mit Stücken von Koltès, Wolfgang Bauer, Mark Ravenhill, Schwab, sowie auch die Erstaufführung des Aids-Stücks „Angels of America“ . Um nur einige zu nennen .

Die Techniker des Hauses waren ein ebenso anarchischer Haufen. Künstler, Suchende, Streunende, sich einer bürgerlichen Karriere Verweigernde. Fast alle äußerst trinkfest, dabei aber durchaus bereit, auch mal eine 36-Stunden-Schicht einzulegen, wenn es not tat.

Wir waren also am richtigen Theater. Dachten wir.

Irgendwann, Ende der 90-er (ich war nicht mehr aktives Mitglied der Schauspielhauscrew) erfuhr ich aus der Zeitung, dass es Gratzers eigentliche Intention schon immer gewesen sei, es zum Intendanten des Theaters in der Josefstadt zu bringen. Tatsächlich, bereits krebskrank, schaffte er es, und verkündete: „Ich habe schon gedacht, aus mir wird nie einer.“

„Aus mir wird nie einer?“ Was sollte das denn bedeuten?

Da bespielt einer ein mittleres Haus, durchaus erfolgreich, hat ein junges Publikum, das den Anarcho-touch durchaus schätzt, war als Entdecker und Förderer von unbekannten Dramatikern erfolgreich, und ist dabei doch der Meinung, dass er erst „einer ist“, wenn er die Bürgerlichkeit der Josefstadt geentert hat.

Ich gestehe, ich war, als ich es las, etwas enttäuscht. Irgendwie ging es mich auch an. Wir hatten alle unser Bestes gegeben. Für kleinsten Lohn, und zuweilen härteste Arbeit. Wir haben uns reingekniet, wie man so sagt. Ich hatte anderes erwartet. Aber was?

Anarchy for ever?

Ackert der Künstler, frage ich mich noch heute, im Untergrund oder Underground, in heiliger Verachtung für den bürgerlichen Kulturbegriff, bekämpft ihn, wo er auf ihn trifft, sucht im „Abseitigen“ nach einer anderen Wahrheit, trampelt sich einen eigenen Pfad in diesen Kulturdschungel, bis er dann endlich, endlich, den Overground erreichend, als Preis für seine Mühen die Anerkennung und die Meriten des Verachteten erringt?

Das war es?

Als vor vielen hundert Jahren mein erster Roman in einem, wie es gerne heißt, „kleinen, aber feinen Verlag“ erschien, wurde er auch in der als geradezu superbürgerlich geltenden „Neuen Zürcher Zeitung“ gut besprochen. Ein ebenfalls mit einem Roman debütierender Kollege, Mitarbeiter der linken „Wochenzeitung“, verriet mir, dass er etwas neidisch auf die NZZ-Rezension sei. Nicht, dass sein Roman ebenfalls oft und gut besprochen worden wäre, oder gar unbeachtet geblieben sei. Aber es war halt nicht in der „NZZ“.

Ist es das, was uns umtreibt? Insgeheim. Uneingestanden – erstmal. Aber dann doch –vielleicht erleichtert – zugegeben. Sind es die Ermüdungserscheinungen eines harten Behauptungsfights, die den Künstler an den Silikonbusen der Bourgeoisie sinken lässt? Ist es die Penunze?

„Wenn die Literatur nicht bei den Unterprivilegierten ist, kann sie gleich als Partyservice anheuern.“ Das schrieb Jörg Fauser.

Aber das ist lange, lange her. 1900-Siebzigerjahre-Romantik? Wo man doch weiß, dass die „Unterprivilegierten“ keine Bücher lesen. Und schon gar nicht Gedichte, Essays und kluge Romane. Kann sein, ja.

Romantik? Aber war nicht oft sie es, die einen den ganzen Scheiß durchstehen ließ und noch durchstehen lässt?

Aus mir wird nie einer.


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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. c. h. huber

    lieber andreas niedermann,
    ein interessanter blog, fürwahr. sollte es aber bei der aufzählung der von gratzer gespielten autoren nicht wolfgang bauer statt christoph bauer heißen? so sehr ich auch christoph w. bauer schätze, glaube ich in diesem fall an einen irrtum. oder?
    nichts für ungut und mit g l g
    c. h. huber

    1. schoepfblog

      Wurde korrigiert.
      Danke für die Aufmerksamkeit.
      A.S.

    2. Andreas Niedermann

      Merci, c.h.Huber, für den richtigen Hinweis. Es gibt so viele Bauers. Sogar Wolfgang Bauers.

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