Alois Schöpf
Geschäfte von gestern mit Steuergeld von heute
Die Österreichische Nationalbibliothek
setzt nach Handke unbekümmert ihre fragwürdigen Einkäufe
mit Bernhard fort.
Notizen

Peter Handke, Ganghofer der Alt-68-er, hat gemäß kaiserlicher Aufforderung Essen Sie, essen Sie! wieder ein gutes Geschäft mit der Österreichischen Nationalbibliothek gemacht.

Nachdem selbige bereits 2004 eine halbe Million € für einen kleinen Teil seines Vorlasses springen ließ, legte sie nun noch einmal 135.000 € unter anderem für das handschriftliche Gekritzel zum Roman Die Obstdiebin drauf, ein Werk, das nach der Analyse der ersten 20 Seiten durch Egyd Gstättner (schoepfblog 28.10.2020) mit gutem Recht als abgehobener, narzisstischer und vor allem unlesbarer Schmarrn eingestuft werden darf.

Ich protestierte, nachdem ich zu den korrupten Vorlass-Deals bereits unter dem Titel Wenn Dichter nehmen ein ganzes Buch ohne jegliche Wirkung geschrieben habe, in einer meiner wöchentlichen Kolumnen in der Tiroler Tageszeitung (03.12.2022) erneut gegen die skandalöse Verschleuderung öffentlicher Gelder.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Artikeln, zu denen Leser ihre Meinung durch Mails an mich oder an die Zeitung beisteuern, ließ sich in diesem Fall keiner meiner Kollegen oder Kolleginnen dazu herab, mir auch nur mit einem einzigen Wörtchen zuzustimmen, obgleich ich genau weiß, dass die allermeisten über unser ohnehin mit einem millionenschweren Nobelpreis behangenes Marketinggenie ähnlich denken wie ich.

Offen will das natürlich niemand sagen. Denn wer in der kleinlichen Szene egomanischer LiteratInnen auch nur in einem Nebensatz das Falsche äußert, ist schneller out als er denkt. Daher ist man lieber vorsichtig, um nicht den einen oder anderen Hunderter für eine Lesung zu verspielen. Oder gar ein paar Tausender, sollte sich der unwahrscheinliche Fall ereignen, dass einer der Chefs oder eine der Chefinnen eines staatlichen Archivs nach dem je persönlichen dichterischen Vorlass frägt und einen Kollegen oder eine Kollegin von einem anderen Archiv darum ersucht, qua Expertenmeinung die Schatzkiste öffentlicher Gelder einen Spalt weit, und zwar um diese oder jene genau bemessene Summe, zu öffnen. Bekanntlich brachten es dabei unsere großen Tiroler Zoderer und Mitterer auf je 250.000 €.

An dieser Stelle geht es jedoch weniger darum, die Miserabilität einer Szene zu beklagen, deren noch viel miesere Standesvertreter auch zu diesem jüngsten Kriminalfall ihr sonst so resolutionsfreudiges Mundwerk nicht aufbekommen haben. Hier geht es vielmehr darum, dass auf Betreiben des Bruders und Erben Thomas Bernhards, eines gewissen Dr. Peter Fabjan, Internist aus Gmunden, der Nachlass des Dichters um 2,1 Millionen Euro in den Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek mittels eines Sonderzuschusses durch das Kulturministerium von 1,6 Millionen und 500.000 durch die Nationalbibliothek selbst überging.

Nun muss zweifelsfrei konzediert werden, dass Bernhard in Bezug auf seine literarische Qualität, weniger jedoch in Bezug auf seine geistesgeschichtliche Bedeutung, ein anderes Kaliber ist, wobei Handke samt seines Abdriftens in die verwahrloste Altersschrulligkeit als heroe der mitteleuropäischen Alt-68-er nicht unterschätzt werden sollte. Weder literarische Qualität noch geistesgeschichtliche Bedeutung ändern jedoch etwas an der Tatsache, dass hier schon wieder massiv Steuergeld beim Fenster hinausgeschmissen wurde.

1. Sollte nämlich der Nachlass Bernhards wirklich einen so hohen Wert darstellen, könnte er auch erfolgreich am freien Markt verkauft und die These sogenannter Experten verifiziert werden, wonach damit 2,1 Millionen € zu erzielen sind.

Wahrscheinlich würde hingegen der Fall eintreten, dass sich die allermeisten Schätzungen im Hinblick auf den Einkauf von Vorlässen opportunistischer Hofdichter, aber auch die Schätzung im Hinblick auf den Bernhard´schen bzw. Handkeschen Nachlass lediglich als Wunschdenken beamteter Archivare und Germanisten erweist, die durch hohe Summen ihre eigene Bedeutung aufzumöbeln versuchen und dafür öffentliche Gelder missbrauchen.

2. Aber auch dann, wenn am freien Markt 2,1 Millionen € oder mehr zu erzielen wären, kann zum einen davon ausgegangen werden, dass die Käufer des Nachlasses durch die Verwertung der noch vorgefundenen unveröffentlichten Werke danach trachten würden, ihre Investitionen wieder herein zu spielen, indem sie dem Publikum noch nicht Veröffentlichtes zugänglich machen und somit literarische Juwelen, sofern es solche überhaupt gibt, nicht verloren gingen, sondern damit sogar Gewinne erzielt würden.

Zum anderen kann davon ausgegangen werden, dass durch die heute bereits eingeübte Digitalisierung auch des Bernhard´schen Nachlasses durch die ÖNB keine Wissensgrundlagen für die Forschung verloren gehen können. Der Unterschied zwischen digital und analog im Hinblick auf den Informationswert literarischen Materials rechtfertigt schon längst nicht mehr exorbitante Beträge, wie sie immer noch bezahlt werden.

3. Damit sind wir beim Kernpunkt der Argumentation angelangt: die Ansicht, eine öffentliche Institution müsse in den Besitz von haptisch zugänglichen Aufzeichnungen eines Dichters gelangen, ist dem magischen Denken des Analogzeitalters zuzuordnen und veraltet. Am freien Markt steht es jedem privaten Literaturliebhaber zu, sich an der Magie von Originalaufzeichnungen angeblicher Geistesgrößen zu ergötzen. Dass diese fiktive Lust des Privatiers jedoch immer noch, obgleich die Digitalisierung literarischer Werke längst zum Standard gehört, als fiktive Basis vollkommen überzogener Marktpreise verwendet wird, ist ein Skandal, dessen Ursache entweder auf eine aus der Zeit gefallene Inkompetenz der Verantwortlichen oder doch eher darauf zurückzuführen ist, dass man über einen Anlass verfügen möchte, den wichtigsten Geistesopportunisten des eigenen als groß empfundenen Zeitalters als Belohnung für diese Möglichkeit zur Selbsterhöhung kaiserlich-demokratische Goldschatullen zukommen zu lassen. Womit wir beim sozialpolitischen Aspekt der Ungeheuerlichkeit angelangt sind.

4. In Österreich leben viele bedeutende Künstler und Schriftsteller, die einen Gutteil ihres kreativen Potenzials für Jobs opfern müssen, die ihnen das nackte Überleben ermöglichen. So problematisch es ist, dass gerade in der Kunstszene meist die Falschen Zuschüsse und Stipendien bekommen, weil die Richtigen zu stolz oder zu ungeschickt dafür sind oder mit dem gerade gehandelten ästhetischen Mainstream nicht konform gehen: Von diesem heiklen Verteilungsproblem abgesehen bleibt es dennoch inakzeptabel, Millionenbeträge für Tote und ihre ohnehin reichen Erben oder für nicht minder reiche, mit Auszeichnungen sonderzahl aufgebahrte alte Herren zu verschleudern, während die aktuell Lebenden und Arbeitenden am Hungertuch nagen.

Und es ist eine Schande, dass darauf weder eine IG Autorinnen und Autoren, noch ein PEN-Club, noch eine Grazer Autorenversammlung eingegangen sind und nicht lautstark protestiert haben. Sind eben auch nur Funktionärs- Opportunisten!

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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