Nicole Staudenherz
Warum Marinade das Fleisch nicht besser macht.
Essay

Herr und Frau Österreicher bezeichnen sich gerne als tierlieb. Leider endet die Tierliebe oft abrupt zu Beginn der Grillsaison. Genauer gesagt: An der Artgrenze zwischen Hund und Schwein. Von den Schreckensbildern aus der heimischen Tierindustrie will man sich den Appetit nicht verderben lassen. Bereitwillig glaubt man den schmucken rot-weiß-roten Gütesiegeln auf den Fleischtassen. Und schon landet das Produkt im Einkaufswagen. Weil’s billig und vormariniert ist.

Liebe Konsumenten, so geht das nicht!
Ein Plädoyer fürs Hinschauen und Handeln.

Zum Beispiel: Anna ist ein kluges Tier. Sie strotzt nur so vor Neugier und Lebensfreude, liebt die Entdeckungstour auf der grünen Wiese und erkennt ihre menschlichen Freunde an der Stimme. Mit ihrem empfindlichen Rüssel kann sie besser riechen als ein Hund. Äpfel und Karotten sind ihre Leibspeise. Gerne schläft sie tief eingekuschelt in duftendes, weiches Stroh und lässt sich dabei den Rücken kraulen. Annas Pech: Sie ist ein Ferkel und kein Welpe.

In der „ganz normalen“ Welt der industriellen Tierhaltung wäre das Schweinchen Anna ein Gegenstand, eine Ware, ein Kotelett-Lieferant. Ihr ganzes Leben müsste sie auf harten, verdreckten Betonspaltenböden verbringen, direkt über der Güllegrube.

Doch Anna wurde von Tierschützern gerettet und auf einem Lebenshof untergebracht. Sie war schwer verletzt: Wunden klafften an ihren geschwollenen Gelenken und ihr kleiner Körper war von Kratzern und riesigen Eiterbeulen übersät. Wäre sie nicht gerettet worden, wäre sie wahrscheinlich gestorben. Denn etwa ein Fünftel der Tiere überlebt die schlechten Haltungsbedingungen nicht. Die so genannten Ferkeltonnen sind ein schauriges Sinnbild für die Todesmaschinerie der Schweinefabriken.

Doch es gibt eine andere, freundlichere Realität jenseits der Horror-Ställe: In der Obhut der Tierschützer wurde Anna endlich als das wahrgenommen, was sie ist: ein fühlendes Lebewesen, das genauso wie wir Menschen Schmerz und Angst empfindet. Am Lebenshof erhielt Anna die lebensnotwendige medizinische Versorgung, die ihr in der Tierfabrik versagt blieb. Dementsprechend rasch erholte sie sich und konnte das erfahren, was auch ihre Artgenossen verdienen würden: ein Leben in Würde und Freiheit.

Die Video-Serie „Annas Abenteuer“ auf dem YouTube-Kanal des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) erzählt in eindringlichen Bildern Annas Geschichte.

Anna ist eines von Millionen Schweinen, die Jahr für Jahr den „Produktionszyklus“ in Österreichs Tierfabriken durchlaufen. Krankheit und Tod sind einkalkuliert, die Tierqual hat System. Dass Schweine in der gängigen Vollspalten-Haltung großes Leid durchleben, steht außer Zweifel.

In einem Falter-Interview bezeichnet der Veterinärmediziner und Tierschutz-Experte Dr. Rudolf Winkelmayer diese Haltungsform als „eine ganz schwere, aber legale Tierquälerei“.

Denn artwidriger geht es wohl kaum.

„Sie können dort gar nichts machen. Sie können nicht herumwandern, sie sind räumlich sehr limitiert. Sie können ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Wühlen, überhaupt nicht nachgehen. Sie können, außer mit dem Futter, mit dem sie in ein paar Minuten fertig sind, auch nichts kauen. Den Schweinen ist daher den ganzen Tag fad. Außerdem sind Schweine im Gegensatz zur landläufigen Meinung sehr saubere Tiere. Sie haben eine strenge Aversion gegen eigene Exkremente. Sie verwenden sie in freier Natur bestenfalls zur Reviermarkierung. Wenn man aber in einen Stall mit Vollspaltenböden geht, schießt einem ätzender Ammoniakgeruch in die Nase, es ist kaum auszuhalten. Um zu empfinden, was ein Schwein empfindet, müssten Sie sich auf den Vollspaltenböden niederknien und Ihr Gesicht einmal auf die Höhe von zehn Zentimetern über den Spalten bewegen, dann würden Sie das wahre Ausmaß mitbekommen, in welchen grauslichen Gasen diese Tiere zu atmen gezwungen sind.“

Veröffentlichungen des VGT belegen, dass die Schweine in Österreichs Tierfabriken im Durchschnitt mindestens eine Erkrankung haben und dass unzählige Schweine mit teils lebensbedrohlichen Verletzungen leben müssen, ohne behandelt zu werden.

Erschreckend, wie gleichgültig die Betreiber solcher Schweinefabriken mit Vollspaltenboden Tierleid gegenüber sein müssen, wenn sie angesichts solcher Szenen nicht verzweifeln. Man muss ja die subjektive Leidensfähigkeit der Schweine vollkommen ausblenden, wenn man da zur Tagesordnung übergehen kann. Dass das im Besonderen für die Betreiber gilt, zeigt der Umstand, dass dort so viele Schweine mit Nabel- oder Leistenbruch einfach nicht tierärztlich behandelt werden. Faktum ist, dass dieser Zustand mit einem Durchbruch von Bauchfell und Darm, wie man ihn auf dem Video mehrmals sieht, große Schmerzen verursachen und sogar zum Tod führen kann. Das beweist: es darf keine Eigenverantwortung im Umgang mit Schweinen geben, sondern
strenge Gesetze müssen ein Mindestmaß an Tierwohl garantieren. Und dieses Mindestmaß ist eine tiefe Stroheinstreu mit ausreichend Platz, sodass die Schweine gleichzeitig nebeneinander liegen können.


Umfragen

Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag von Tierschutz Austria wünschen sich ganze 87 Prozent der Befragten, dass Tierprodukte im Handel nach Haltungsform gekennzeichnet werden. Ganze 71 Prozent machen klar, was artgerechte Haltung für sie bedeutet: permanenter Auslauf für die Tiere, Haltungssysteme mit genügend Platz, eingestreute Liegeflächen und Beschäftigungsmaterial. 

Traurige Realität ist, dass Fleisch mit AMA-Gütesiegel häufig nur die Mindeststandards der Tierhaltung erfüllt – sprich: Vollspaltenboden.
Es mag sein, dass die Menschen sich in Umfragen fürs Tierwohl aussprechen. Fakt ist aber auch, dass Herr und Frau Österreicher pro Jahr im Durchschnitt etwa 36 Kilo Schweinefleisch verzehren. Und der überwiegende Anteil stammt aus konventioneller Haltung – also: Vollspaltenboden.

Hier kommt eine weitere interessante Umfrage ins Spiel: Im Rahmen
einer Motivanalyse nannten 56 Prozent der Befragten als Kaufgrund für Schweinefleisch, dass es “preisgünstig” sei.

Irgendwo zwischen Gesinnung und Einkaufswagen scheint dem Konsumenten also die Tierliebe abhanden zu kommen. Sind die Menschen wirklich so scheinheilig? Oder lassen sie sich von der aggressiven Billigpreispolitik der Supermärkte manipulieren? Von wohlklingenden Aufschriften wie „Qualität aus Österreich“ auf der Aktionsfleischpackung an der Nase herumführen?

An diesem Punkt drehen wir uns im Kreis: Das Landwirtschaftsministerium lehnt ein Verbot der tierquälerischen Haltungsbedingungen kategorisch ab und setzt auf die Freiwilligkeit der Produzenten. Gleichzeitig wird in Presseaussendungen und Interviews immer wieder betont, dass in Österreich ohnehin alles „vorbildlich“ sei. Zum Drüberstreuen wird dann noch an die Eigenverantwortung der Konsumenten appelliert.

Für ihn lautet die Frage: Sind fünf Minuten Fleischgenuss wirklich ein triftiger Grund, einem so klugen und feinfühligen Wesen wie Anna und ihren Geschwistern solches Leid anzutun?



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Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

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