Nicole Staudenherz
Urtier in Gefahr
Wird der Igel das Anthropozän überleben?
Essay

Seit Jahrmillionen bevölkern sie Afrika und Eurasien und gehören damit zu den ältesten noch existierenden Säugetierarten der Erde. Perfekt angepasst an verschiedene Lebensräume erkunden sie Wälder, Steppen, Wüsten und neuerdings auch Parks und Gärten. Sie haben die letzte Eiszeit überlebt. Ob sie auch das Zeitalter des Menschen überleben werden, ist leider ungewiss.



Igel ist nicht gleich Igel.

Über 20 Arten gibt es weltweit. Österreich liegt mitten in der Überlappungszone zweier verschiedener Spezies: Der in Westeuropa heimische Braunbrustigel trifft hierzulande auf den Weißbrustigel aus dem osteuropäischen Raum.

Beide werden auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten als gefährdet eingestuft.
Wie konnte es so weit kommen?

Die Bedrohungen sind vielfältig, allen voran Habitatverlust, Insektenschwund und Klimakrise.

Igel sind dämmerungs- und nachtaktiv. Als Einzelgänger durchstreifen sie ein Revier von bis zu einem Quadratkilometer, wobei weibliche Tiere auch mit etwa einem Drittel davon auskommen.

Bevorzugt bewohnen die stacheligen Eigenbrötler Laubwaldränder, Hecken und Feldgehölze. Durch Flächenfraß und Bodenversiegelung sowie auch durch die Intensivierung der Landwirtschaft inklusive Pestizideinsatz gehen diese Lebensräume Stück für Stück verloren.

Auch in ehemals reich strukturierten Garten- und Parklandschaften finden die Stacheltiere keine Zuflucht mehr, zumal sich die Unsitte des „aufgeräumten Gartens“ immer weiter ausbreitet. Gipfel der Lebensfeindlichkeit sind die vielerorts beliebten weißgrauen Schotterwüsten, die den Namen „Garten“ eigentlich gar nicht mehr verdienen.

Durch den massiven Rückgang der Insektenpopulationen in den letzten Jahrzehnten versiegen wichtige Nahrungsquellen. So schaffen es die kleinen Insektenfresser oft nicht mehr, die für den Winterschlaf nötigen Fettreserven aufzubauen. Die Unterernährung führt dazu, dass viele Igel im Frühjahr nicht mehr aufwachen.

Andererseits macht ihnen auch die Erderhitzung zu schaffen. Wie anderen Wildtieren fällt es auch den ansonsten recht robusten Stacheltieren äußerst schwer, sich an die rapiden und dramatischen Klimaveränderungen anzupassen.

Wechselhafte Winter mit plötzlichen Warmphasen stören den Winterschlaf und viele Igel wachen zu früh auf. Da die Stacheln nicht vor Kälte schützen, verbrennen die Kleinsäuger enorme Mengen ihres mühsam angefressenen Winterspecks. Neue Futterinsekten finden sie so früh im Jahr kaum. Kehrt dann plötzlich der Winter zurück, kann das ein Todesurteil sein.

Auch das gehäufte Auftreten von Dürren in den immer heißer werdenden Sommern bringt Gefahren mit sich: Die Suche nach Wasserquellen ist massiv erschwert und viele Pflanzen, auf denen gewöhnlich Insekten leben, verdorren.


Der igelfreundliche Garten

Wer im eigenen Garten eine Rückzugsoase für das gefährdete Urtier schaffen möchte, sollte auf eine möglichst naturnahe Gestaltung mit einheimischen Gehölzen, Stauden, Kräutern und bunten Blumenwiesen achten.

Ein igelfreundlicher Garten ist zugleich auch ein insektenfreundlicher Garten. Biologische Bewirtschaftung und ganz besonders der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und Schneckenkorn sorgen dafür, dass Igel auf ihren nächtlichen Streifzügen reiche Nahrung finden.

Auf ihrem vielfältigen Speiseplan stehen vor allem Käfer, Larven und Würmer, durchaus aber auch andere Insekten und Kleintiere. Dank ihres ausgezeichneten Geruchssinns finden die stacheligen Futtersucher ihr Essen auch in der Dunkelheit der Nacht.

Besonders bewährt hat sich die Bereitstellung von Laub-Asthaufen als Überwinterungsplatz oder ein Igelhaus. Auch eine ganzjährige Zufütterung mit hochwertigem Katzenfutter ist denkbar. Besonders im Sommer sollten Wassertränken angeboten werden, um die Stacheltiere vor Dehydrierung zu schützen.

Außerdem ist es empfehlenswert, in Zäunen und Mauern Durchschlupflöcher offen zu lassen, damit die Tiere weiträumig auf Nahrungssuche gehen können. Auch der genetische Austausch funktioniert besser, wenn die stacheligen Einzelgänger zur Partnersuche auf Wanderung gehen können.

Rasenroboter sind eine Todesfalle für Igel. Wer darauf verzichtet und die Wiesen auch sonst nicht so radikal zurückstutzt oder zumindest einige bunte Wiesenflecken stehen lässt, leistet einen direkten Beitrag zum Artenschutz.

Keinesfalls sollten Müllsäcke außer Haus herumstehen. Igel könnten Essensreste erschnuppern und in die Müllsäcke gelangen, was tödlich enden kann.

In der kalten Jahreszeit ist bei der Nutzung von Holzstapeln besondere Vorsicht geboten, denn Igel halten gerne in Lücken und Zwischenräumen Winterschlaf.
Weitere Vorsichtsmaßnahmen sind das Abdecken von Lichtschächten, das Anbringen von Ausstiegsbrettern in Teichen und Schwimmbecken sowie auch vorsichtiges Autofahren in der Dämmerung und bei Nacht.


Nothilfe für Igel

Grundsätzlich sind Igel geschützte Wildtiere und keine Haustiere. Es ist nicht zulässig, sie aus der Natur zu entnehmen. Einzige Ausnahme: Sie brauchen Hilfe.

Vor der Aufnahme eines Igels gilt es genau zu prüfen, ob das Tier verletzt oder krank ist bzw. ob es sich um ein verwaistes Jungtier handelt.

Hier einige Indizien zur Beurteilung, ob ein Igel Hilfe braucht: Ist der Igel tagsüber unterwegs? Läuft er bei Frost und Schnee herum? Hat er im Sommer Fliegeneier und Maden im Stachelkleid oder viele Zecken am Körper? Torkelt er und läuft nicht weg? Liegt er auf der Seite oder in der Sonne? Sieht er abgemagert aus? Hustet er?

Hilfsbedürftige Igel sollten ausschließlich mit Schutzhandschuhen angefasst werden. Unterkühlte Igel sollten gewärmt werden. Falls sich die weiche Bauchunterseite des Igels deutlich kühler als die eigene Hand anfühlt, sollte er auf eine lauwarme, in ein Handtuch gehüllte Wärmflasche gesetzt und mit einem weiteren Handtuch zugedeckt werden.

Außerdem sollte das Tier vorsichtig auf Wunden untersucht werden. Es empfiehlt sich, Parasiten wie Maden, Zecken oder Flöhe behutsam zu entfernen.

Entscheidend ist die richtige Futtergabe. Katzenfutter oder Rührei sind ein guter Ersatz für die ansonsten artgemäße Igelnahrung (Insekten). Völlig ungeeignet sind Obst, Gemüse, Nüsse, Brot, Nudeln oder Reis. Zum Trinken sollte ausschließlich Wasser und niemals Milch angeboten werden, denn letztere verursacht bei Igeln lebensbedrohliche Durchfälle.

Nach der Erstversorgung sollte das Tier so schnell wie möglich zum Tierarzt oder zu einer Igel-Station gebracht werden. Eine Überwinterung zu Hause ohne entsprechende Kenntnisse wird nicht empfohlen.

All das ist natürlich mit Zeitaufwand, Geduld und Einsatz verbunden. Doch es ist die Mühe allemal wert. Jede Hilfe für Igel verbessert die Chancen, dass die liebenswerten Stacheltiere auch in Zukunft diesen Planeten bevölkern.

Quellen:
de.euronews.com/2022/06/20/klimawandel-der-igel-ist-der-eisbar-in-unseren-garten
global2000.at/igel
igelfreunde-fuer-ganz-oesterreich-ev.at/im-garten/der-igelfreundliche-garten
naturschutzbund.at/igelschutz.html
planet-wissen.de/natur/wildtiere/insektenfresser/pwieproblemefuerdenigel100.html
pro-igel.de
umweltberatung.at/igel
umweltbundesamt.at/umweltthemen/naturschutz/rotelisten
vgt.at/presse/news/2021/news20211011mn_4.php
wildtierhilfe-wien.at/wildtier-gefunden/igel-gefunden
wwf.at/artikel/igel-in-not-so-helfen-sie-richtig-7-tipps
Verena Auffermann, Judith Schalansky (Hg.) (2021): Igel. Ein Portrait

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Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

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