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Alois Schöpf
Die Opus Klassik Gala 2022
Ein Hochfest der moralistischen Heuchelei
Essay


Letzten Sonntag, am 09. 10. 2022, fand im Berliner Konzerthaus die Überreichung der Opus Klassik Preise 2022 statt. Das ZDF übertrug das Ereignis, bei dem renommierte Stars wie der Tenor Jonas Kaufmann ebenso geehrt wurden wie etwa die in Trinidad geborene Sopranistin Jeanine De Bique, die eine Bravour-Arie von Georg Friedrich Händel noch schneller und zumindest ebenso präzise exekutierte wie Cecilia Bartoli.

Höhepunkt der Darbietungen im mit sichtbar saturiertem Bürgertum besetzten Saal waren jedoch weniger solch beglückende Spitzenleistungen musikalischer Kunst, als vielmehr die Eskapade eines Laudators, die in Kombination mit dem heftig seine eigene moralische Überlegenheit beklatschenden Publikum den Blick in die Abgründe moralistischer deutscher, jedoch auch in Österreich durchaus vorstellbarer Heuchelei ermöglichte.

So betrat, um den Pianisten Igor Levit für die beste solistische Einspielung am Instrument zu ehren, der 1983 in Aachen geborene Pädagogensohn und unter seinem Künstlernamen Dan Danger gegen Neonazis, Antisemiten und Antifeministen ansingende Daniel Pongratz die Bühne. Wie nicht anders zu erwarten und für das ZDF daher vorhersehbar, blieb er auch an diesem Abend seinem antifaschistischen Marketingkonzept treu und behauptete vorerst einmal, dass er bis zu seiner Begegnung mit Igor Levit mit klassischer Musik rein gar nichts habe anfangen können, was immerhin ein eigenartiges Licht auf die Schulen wirft, in denen er als Musiklehrer tätig war, aber auch auf das Goethe-Institut, für das er laut Wikipedia als Musiker durch 17 verschiedene Länder der Welt geschickt wurde.

Die entscheidende Botschaft des Laudators war jedoch seine Erzählung, wie er mit Igor Levit ohne jegliche Vorabsprache und Vorbereitung, jedoch mit ausreichend Bier auf der Bühne, beim Festival Jamel rockt den Förster aufgetreten war.

Dazu muss man wissen: Jamel ist ein Ortsteil der Gemeinde Gägelow im Landkreis Nordwestmecklenburg, verfügt über 35 Einwohner und geriet seit 1992 durch die Zusammenkunft von Neonazis anlässlich des Geburtstags Adolf Hitlers immer wieder überregional in die Schlagzeilen. Um dieser unerfreulichen Entwicklung etwas entgegenzusetzen, gründete das 2004 aus Hamburg zugezogene Ehepaar Horst und Birgit Lohmeyer ein Musikfestival gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, das bei einem Besucheraufkommen von ca. 1.500 Personen inzwischen nicht nur auf zahlreiche Auszeichnungen, sondern auch auf die Schirmherrschaft der höchsten politischen Repräsentanten des Landes verweisen kann.

Bis dahin hätten die Ausführungen des Laudators einem Musiker gegenüber, der nicht nur gut Klavier spielen kann, sondern sich zugleich als politischer Aktivist definiert, sich mit Fridays for Future solidarisiert und Mitgliedern der Deutschen AFD schon einmal das Menschsein abgesprochen und sie als widerwärtige Drecksäcke bezeichnet hat, den Rahmen demokratischer Zivilität nicht verlassen.

Dan Dangers Sermon abschließende Bemerkungen jedoch, mit denen sich Igor Levit in inniger Umarmung mit seinem Freund zuletzt identifizierte, überschritten bei weitem die guten Sitten einer deliberativen demokratischen Gesellschaft, wenn er den vor den Fernsehern sitzenden Neonazis, Antisemiten und Antifeministen ausrichtete Ihr seid Vollidioten, guten Abend, was Igor Levit nach seinem Musikbeitrag Tanz der Puppen von Dmitri Schostakowitsch durch die Forderung ergänzte, für rechtsradikale Vollidioten dürfe es keinen noch so kleinen Platz in der Gesellschaft geben. Frenetischer Applaus des hochmögenden Berliner Publikums!

Wenn ich mir die Frage stelle, was mich an dieser Publikumsbeschimpfung, um es zeitgeistig zu formulieren, so betroffen gemacht hat, so ist es einmal die Tatsache, dass hier statt des Austauschs von Argumenten und abgesegnet von der Macht einer staatlichen Fernsehanstalt, blankem Hass und Vernichtungswillen und zum anderen rücksichtsloser Selbstvermarktung zur Beförderung der weiteren musikalischen Karriere die Bühne geboten wurde. Und dies durch die infame Vermengung von Begriffen und durch Invektive, gegen die, statt heftig zu klatschen, das leider spießige Publikum hätte Protest erheben müssen, wurden hier doch unerwünschte Ansichten zu politischen Themen, die zweifelsfrei die meisten Anwesenden unter weniger moralistisch aufgeladenen Bedingungen zumindest als diskussionswürdig empfunden, wenn nicht gar geteilt hätten, mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in eins gesetzt.

1. Nationalsozialistische Wiederbetätigung ist in Deutschland ein strafrechtlicher Tatbestand wie in Österreich. Ebenso stellten vor kurzer Zeit die Innenminister der Länder Deutschlands fest, dass der Straftatbestand des Antisemitismus stärker verfolgt werden müsse als er bisher ohnehin verfolgt wurde. Die Behauptung des Laudators, er sei gegen Neonazis und Antisemiten und diese seien Vollidioten, ist daher in gleicher Weise trivial und nichtssagend, wie es die Behauptung wäre, man lehne die Aktivitäten und Ansichten von Taschendieben, Mördern und Vergewaltigern aus tiefster Überzeugung ab. Das Beklatschen einer solchen Selbstverständlichkeit durch das Publikum ist daher als wohlfeile Selbstberauschung einzustufen, sich als privilegierte Konsumenten staatlich hochsubventionierter Kunstausübung zusätzlich in den Hochstand moralischer Überlegenheit zu begeben.

2. Jenseits jeder Fairness ist es auch, wenn nationalsozialistische Wiederbetätigung und Antisemitismus mit sogenanntem Antifeminismus gleichgesetzt und auch Antifeministen als Vollidioten bezeichnet werden, wobei hier der Redner auf das korrekte Gendern vergaß, wohl um auf das Klischee vom alten weißen Mann nicht verzichten zu müssen, aber auch, um nicht eingestehen zu müssen, dass es viele gescheite und prominente Frauen gibt, die dem Feminismus nicht nur im Hinblick auf die mutwillige Zerstörung der deutschen Sprache, sondern auch im Hinblick auf die Selbst-Viktimisierung des weiblichen Geschlechts wenig bis nichts abgewinnen können.

3. Neben dem Antifeminismus wurden durch den Verweis auf das Festival Jamel rockt den Förster aber auch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in die strafrechtlich sanktionierte Gemengelage von Nazismus und Antisemitismus miteinbezogen, wodurch endgültig als erwiesen gelten kann, dass es Herrn Pongratz alias Dan Danger, aber auch Herrn Levit in Wahrheit nicht darum ging, ein gesellschaftliches Problem lösen zu helfen, was ohne ein Minimum an demokratischer Dialogfähigkeit und ein Minimum an Achtung vor der Würde von Mitbürgern nicht möglich ist.

Es ist nämlich ein Unterschied, ob jemand ein Neonazi ist oder eine unkontrollierte Zuwanderung aus islamischen Ländern zur Diskussion stellt. Und es ist ein Unterschied, ob sich jemand über die von niemandem legitimierte Vergenderung der deutschen Sprache in staatlichen Medien ärgert oder eine Antisemitin ist. Wie es auch ein Unterschied ist, ob jemand das hysterische Getue um wenige transsexuelle Menschen bei allem Respekt vor deren Lebenspraxis komplett überzogen findet oder einer braunen Rassentheorie anhängt.

Für Pongratz und Levit sind offenbar all jene, die sich nicht einem nach überholten marxistischen Grundsätzen durch die sogenannte 68-er-Revolution und den Marsch durch die Institutionen formatierten Denken unterwerfen, Vollidioten. Guten Abend!

4. Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie er sich zu verhalten gedenkt, wenn er von einem seiner Zeitgenossen coram publico als ein solcher Vollidiot beschimpft wird und ihm der Fluch nachgerufen wird, es möge ihm jeglicher Platz mit einem Minimum an Sonne in der Gesellschaft verwehrt bleiben. Dass eine solche Anrede, wie auch immer die Reaktion darauf von einer berechtigten Ohrfeige bis hin zum resignierten Ignorieren flagranter Dummheit ausfallen mag, keine Basis ist, auf der die Probleme der Zukunft, um deren Lösung sich ja auch die Herrn Pongratz und Levit zu bemühen vorgeben, bewältigt werden können, liegt auf der Hand. Ebenso dürfte auf der Hand liegen, dass von Fragen der Digitalisierung, Globalisierung, des Bevölkerungswachstums bis hin zur Klimaerwärmung und zur Notwendigkeit der militärischen Aufrüstung, um gegen die Großmachtträume rücksichtsloser Potentaten geschützt zu sein, die Herausforderungen, die auf unsere Gesellschaften zukommen, so groß und umfassend sind, dass wir sie nur in gemeinsamer Solidarität, niemals jedoch als in bürgerkriegsähnliche weltanschauliche Stammeskulturen zerrissene Staaten werden lösen können.


Coda:

Womit zuletzt auch geklärt sein dürfte, weshalb das vorliegende Essay in der wöchentlichen Programmvorschau des schoepfblog mit dem Satz angekündigt wurde: Musiker gehören seit Joseph Haydns Zeiten zum Küchenpersonal und sollten sich daher mit politischen Statements zurückhalten.

Dass dieser Satz mitnichten – auf die segensreiche Wirkung von Musik bezogen – despektierlich gemeint ist, ergibt sich schon aus der Beobachtung, dass auch Kochsendungen zu den beliebtesten Formaten sowohl unserer staatlichen als auch der privaten Sendeanstalten gehören. Köche sind eben dazu da, über die künstlerische, um nicht zu sagen – hochkulturelle Zubereitung von Speisen und darüber hinaus auch von Getränken für Genuss und für Freude in einem begrenzten und von vielen Mühen gekennzeichneten Leben zu sorgen.

In gleicher Weise sind es auch die Musiker, die mit ihrer Kunst für die Bereitstellung von Seelennahrung und der Ahnung von einer irgendwo und irgendwann auch heilen Welt zuständig sind, weshalb sie als Zulieferer des Glücks neben den Köchen zur Einnahme ihres Mittagsmahles in der Küche beim Küchenpersonal durchaus richtig platziert sind.

Wenn dieses Küchenpersonal sich jedoch zu politischen Statements aufschwingt, ohne die im öffentlichen Diskurs üblichen Regeln in gleicher Weise wie die Regeln ihrer Koch- oder Musikkunst zu beachten, so ist das so ähnlich, wie wenn ein Politiker, bevor er seine Rede hält, uns mit seiner Klarinette, die er als Amateur traktiert, belästigen würde. Oder wie wenn wir im Rahmen einer Parlamentsdebatte darüber aufgeklärt würden, wie ein Kartoffelsalat mit welcher Art speckiger Kartoffel und feiner Zuckerzugabe à la viennoise zuzubereiten sei.

Herr Pongratz und Herr Levit haben schlicht ihre musikalischen Glückslieferungen, mit denen sie es zu einiger Prominenz gebracht haben, missbraucht, um uns mit ihrer ideologischen Inkompetenz und totalitären Verblasenheit zu belästigen. Und sie wurden dabei mit einem im Hinblick auf Kunstmarketing und den Markt der Aufmerksamkeit ahnungslosen Publikum konfrontiert, das auf die Grenzüberschreitung seines Küchenpersonals hereinfiel, ja diese sogar beklatschte.

Alle zusammen haben einen auf höchstem konsumistischen Niveau durchgeführten musikalischen Galaabend zur moralischen Selbstberauschung missbraucht und dabei wider besseren Wissens die Prinzipien einer auf den Grundsätzen der europäischen Aufklärung basierenden Debattenkultur geleugnet und beschädigt.



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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Karlheinz Veit

    A Radl umgfalln in Bejing…..!

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