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Markus Fenner
Amassas Zeit
12. Folge
Der Beginn von Etwas

Die „68er Jahre“ in der Vorarlberger Provinz: die Aufbruchsbewegungen erreichen das Jesuiten-Internat REGINA CAELI nur als fernes Rauschen. In der geschlossenen Kollegs-Welt brüten die Zöglinge ANDERL, HUGO und der SCHMALE einen vertrackten Verweigerungs-Trip aus. Er soll sie nicht etwa zu „sich selbst“, sondern zur Aufhebung ihres Ichs führen.

Mehr vom emanzipatorischen Zeitgeist beseelt ist dagegen die Maturandin ANNA, die beharrlich nach dem wahren Ansatz für ein selbstbestimmtes Leben sucht. Schwärmerische Ziele, für die etwa ihr schräger Fast-Freund Anderl nur Hohn übrighat.


Im Zimmer war es heiß. Draußen, unter einem föhngefegten Himmel, herrschte Tauwetter, ein ungewöhnlich warmer Tag im Spätwinter. Die Mittagsonne schrägte durch das Fenster. Doch die drückende Hitze im Zimmer wurde von einem kleinen elektrischen Ofen erzeugt. Mit glühenden Spiralen stand er am Boden und propellerte heiße trockene Luft zu der Gestalt im Bett.

Diese lag so flach unter der Decke, dass der Schmale, als er den Kopf zur Tür hereinstreckte, sie erst beim zweiten Hinsehen bemerkte. „Uii, da ist er!“
Hugo folgte ihm ins Zimmer und begann sofort nach Luft zu schnappen. „Das ist ja Mord! Meine Schleimhäute!“
Er stellte den Ofen ab und riss das Fenster auf.
„Da hilft nur Nasendusche Neti, was “ brummte der Schmale, „schau dir das an!“
Sie sahen auf die bewusstlose Gestalt, die angekleidet unter dem Bettzeug lag, mit hochrotem Gesicht und schwer atmend. Vom Fenster kam jetzt erfrischend Außenluft in den Raum.

„Was machen wir mit ihm?“ „Kleines Wecklied, oder nicht? Kräht der Hahn?“ – „Nein, das ist zu blöd, viel zu munter“ – „Dann I m only sleeping“. Der Schmale stimmte an.
„He, nicht so hoch!“
„Ach hör auf, wer will hier Tenor werden? Die Beatles singen das noch viel höher…“
„When I wake up early in the morning, lift my head, I´m still yawning“, sangen sie. Die Gestalt begann sich zu regen und grub den Kopf tiefer ins Kissen.
„When I´m in the middle of a dream, still asleep, float upstream – brüll doch nicht so!“, unterbrach Hugo.
„- float upstream“ schmetterte der Schmale.
„Nein, ich mach nicht mit, wenn du so schreist, das ist ein Schlaflied!“, fuhr Hugo den Schmalen an. Der sang selbstvergessen: „please don´t wake me, please don´t shake me“
„Ganz ruhig, ganz lazy, verstehst du!“
“- leave me where I am, I m only sleeping“, vollendete der Schmale unbeirrt. Anderl hatte den Kopf vom Kissen gehoben.
„Siehst du, jetzt hast du ihn aufgeweckt mit deinem Gebrüll“, jammerte Hugo.
„Meinem wundervoll rauchzarten Gesang, meinst du wohl!“

Anderl setzte sich auf und lehnte sich zurück an die Wand. Das Kopfkissen vor den Bauch gepresst starrte er sie mit verschwollenen Augen an.
„Ihr Trottel, könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen?“
Die beiden sahen sich an. „Non datur, darling“, sagte der Schmale mit seinem strahlendsten Lächeln. Hugo rückte schwungholend die Brille.
„Wir machen uns eben Sorgen um dich. Den ganzen Vormittag bist du kaum ansprechbar, bitte nein, du bist geradezu unansprechbar, du meidest deine wackeren Gesellen, beim Mittagessen bleibt dein Stuhl leer, wir, die einzigen Freunde, die du auf dieser und jeder anderen Welt jemals haben wirst, machen uns auf die Suche, wir finden dich hier in einer Atmosphäre, die jeder Schleimhaut spottet, kurz – was ist denn los?“

Anderl presste das Kissen enger an sich und starrte an ihnen vorbei.
„Vielleicht ist er krank?“ – Der Schmale griff nach Anderls Stirn und langte in das Kissen, das dieser schnell vorgeschoben hatte. „Hol mal dein Thermometer!“
„Hört doch auf, ich bin müde, ich hab schlecht geschlafen, das ist alles, ihr Deppen!“
Hugo schoss einen brillenfunkelnden Blick zum Schmalen.
„Was sagt man dazu, werter Collega?“
„Schlimm schlimm, verehrter Medizinalrat. Der bedeutendste Schläfer der Neuzeit schlaflos…das ist ernst!“
„Finaler Zustand, wie?“
„Psssst, Doktor, er hört ja zu“
Anderl murmelte etwas in sein Kissen.
„Was hat er gesagt, lieber Collega?“
„Das einzige, was mich krank macht, seid ihr“, wiederholte Anderl. Er umklammerte sein Kissen und begann sich sachte hin und her zu wiegen. Die beiden sah sich ratlos an. Versuchsweise begann der Schmale:

„Ich hab zu viel geweint – weh tun die Morgenhellen…“
„Wahr! Jeder Mond ist bös und jede Sonne Leid!“, fiel Hugo erleichtert bei. Anderl sah sie stumpf an, dann verzog sich sein Gesicht.
„Naja…das könnt ihr. Blöde Witze und zitieren!“
Mann, war das ungerecht! Natürlich gehörte Rimbaud mittlerweile zum gemeinsamen Schatz der ‚Wichtigen Dinge‘, doch war es Anderl gewesen, der ihn angeschleift hatte! Sie hatten sich Rimbaud einverleibt, doch er war immer noch Anderls spezielles Idol. Der Schmale hatte ihn nur zitiert, um Anderl in Stimmung zu bringen; wenn sie dafür auch noch verhöhnt wurden, dann war das derartig ungerecht, dass die Lage ernst sein musste. Für Scherze war kein Platz mehr.

Hugo hatte offenbar denselben Eindruck, denn er stieg wortlos neben Anderl auf das Bett. Der Schmale verzog sich hinter den Schreibtisch und sah, wie Hugo auf dem Bett den Halblotus einnahm. Er seinerseits fand eine Schachtel Streichhölzer neben der Lampe, halb gefüllt und die Hölzchen weich, nicht zu trocken, ganz so wie er es liebte. Er köpfte das erste, spaltete es mit dem Daumennagel und knickte genießerisch die zarten Spreisseln. Es war so still, daß er das lustvolle kleine Knacken hören konnte. Tastend fing Hugo schließlich an, wobei er einen gedachten Punkt an der Decke fixierte:
„Du meinst also, wir witzeln und zitieren…“

„Ich hätte damals gleich abhauen sollen“, unterbrach ihn Anderl.
„Damals?“ fragte Hugo sanft, ohne den Punkt aus den Augen zu lassen. Ohne von Hugo Notiz zu nehmen, sagte Anderl:
„Ich könnte auch jetzt noch…nach Israel…ich hab da einen Freund in einem Kibbuz.“
„Und warum solltest du?“, flüsterte Hugo, die Hände in der Gebärde des Empfangens auf den Knien arrangiert. Der Schmale begann, das etwas dämlich zu finden.
„Aber wisst ihr was…“ sagte Anderl, von Hugos Einfühlung immer noch unberührt, „ich mag nicht…damals war ich zu jung, hab mich auch nicht getraut…und heute mag ich nicht mehr. Dort bleibt dir gar nichts anderes übrig, als ein ganzer Mann zu werden, die werden da in Plantagen gezüchtet. Insofern ist es gar nicht mal so übel an der Regina. Es ist natürlich auch ein gottverdammtes Muster, der allseits beliebte Heranwachsende. Aber immer noch besser als der noch beliebtere Erwachsene. Hänschen klein ging allein…und zum Manne gereift kehrte er zurück aus der weiten Welt…das ist noch schlimmer.“

„Also überall nur Muster?“, summte Hugo seinem Punkt zu. Anderl betrachtete ihn verärgert.
„Genau, nur Muster, du Buddha von der Volkshochschule!“, höhnte er und warf ihm das Kissen an den Kopf. Die Spitze, in der Hugos Geist versammelt war, brach mit einem hörbaren Knack ab. Der Schmale wieherte schadenfroh los. Anderl fuhr herum. „Und du lass gefälligst meine Streichhölzer in Ruhe!“
Der Schmale hob ein frisches Stäbchen und köpfte es feierlich. „Und jetzt scheiß hier nicht so kryptisch rum, sag endlich, was los ist!“
„Falls du dich nicht nur wichtig machen willst“, nölte Hugo, der im Bettzeug nach seiner weggeflogenen Brille suchte. Anderl grinste zum ersten Mal und schob sich vom Bett herunter. In Strumpfsocken latschte er zum Fenster und sagte über die Schulter: „Naja, wahrscheinlich liegts daran, dass ich gestern Geburtstag hatte – nein, lass das, das kotzt mich an“ fuhr er den Schmalen an, der glucksend vom Schreibtisch aufstehen wollte. Ernüchtert machte dieser sich über das nächste Streichholz her.

„Und natürlich gabs auch Post von zuhause, sogar mein Vater hat mir geschrieben… natürlich nicht aufdringlich, sehr zurückhaltend, um nicht zu sagen scheu, aber liebevoll, eben ganz der sanfte Riese…er ist ja immer noch so schuldbewusst, dass es einem die Zehennägel aufbiegt“, erzählte Anderl, hastig und stoßweise zum offenen Fenster hinaussprechend.

„Überhaupt passieren seltsame Dinge an der Heimatfront. Es sieht verdammt nach Waffenstillstand aus, wenn nicht nach Frieden. Schon witzig. Vier Jahre lang haben sie aufeinander eingemetzelt, vier Jahre lang Delirien, Prozesse, Kleinkrieg um die Kinder, und jetzt auf einmal Frieden! Frieden! Der Geist der Vernunft zieht wieder ein. Er darf sogar meine Geschwister sehen, wann er will. Sie hat nicht mal einen klitzekleinen Nervenzusammenbruch gekriegt, wie er neulich „diese Frau“ regelrecht geheiratet hat. Wenn das so weitergeht, werden wir noch eine ganz normale geschiedene Familie…Zitat Mütterchen „halte doch auch ein wenig Kontakt zu Deinem Vater“…Tja, so renkt sich alles wieder ein.“

„Na und, ist doch nicht schlecht“, sagte Hugo in wenig einfühlsamen Tone.
„Davon verstehst du nix“, beschied ihm der Schmale, „dein Alter ist ja schon seit ewigen Zeiten tot“.
„Und davor hat er auch nicht weiter gestört. Er war entweder kränklich oder beim Tarockieren, soweit ich mich erinnere“, trumpfte Hugo auf. Der Schmale begann sich zu ärgern.
„Das zeigt ja, dass du keine Ahnung hast, Idiot!“

Zu Anderls Rücken sagte er: „Wenn meine Mutter sich mit meinem Alten wieder verbrüdern würde, ich glaube, das wär mir auch widerlich. Aber da besteht wohl keine Gefahr. Sie ruft immer noch nach der Polizei, wenn ich nur irgendwie an ihn erinnere… Jessas, er is doch ganz sein Vatta“, macht er mit der Stimme seiner Mutter nach, „der Weiberheld äch…Bankrotteur, Unmensch.. äch äch, meine Pillen!“

Befriedigt sah er, dass Anderl ein wenig lachte. Er drehte sich nun auch zu ihm um und sagte: „Trotzdem hast du es noch leichter, Schmaler… dein Vater ist wenigstens wirklich ein unmöglicher Typ“,
„Naja, er kümmert sich einen Dreck um mich oder meinen Bruder“, murmelte der Schmale.
„Mein Vater ist aber ein wunderbarer Mensch, eigentlich makellos, abgesehen davon, dass er mich – dass er Frau und drei Kinder hat sitzenlassen, aber ich brings ja nicht mal fertig, ihm deshalb einen Vorwurf zu machen. Er besteht ja nur aus Liebe und Schuldbewusstsein, der geknickte Riese…da kann man ihn doch nicht enttäuschen…diese tiefe Besorgtheit, ob aus dem armen Jungen noch ein ordentlicher Mensch wird…hab ja am meisten abgekriegt, als Ältester…aber jetzt hat er sich gefangen, er spurt ganz gut im Internat“, höhnte Anderl und erschlaffte auf einmal. Er schlurfte zum Bett zurück und sagte leise:
„Wisst Ihr, was er geschrieben hat – „jetzt, wo du immer mehr zu einem jungen Mann heranwächst, hoffe ich, dass auch wir eine neue Ebene miteinander finden können“. Nicht schlecht, was? Und er hat Grund zu gedämpftem Optimismus. Die Wahrheit ist, ich spure tatsächlich hier ganz gut und ihr auch und mehr ist nicht los mit uns“

„Ach, jetzt sind wir wieder beim Witzeln und Zitieren“, sagte Hugo, immer noch ziemlich ungnädig. Anderl nickte.
„Genau, mehr bringen wir nicht. Dann benehmen wir uns noch ein bisschen schlecht, stoßen hier und da jemand vor den Kopf, aber nicht sehr. Im Grunde tragen wir zur allgemeinen Unterhaltung bei. Ich sag euch, das reicht nicht!“
„Wie hättest du´s denn gerne?“, fragte Hugo spitz, „sollen wir mehr rebellieren oder was?“

Anderl ließ sich aufs Bett zurücksinken. „Vielleicht, kommt drauf an, wogegen… da gibts doch diesen Rockerfilm mit Marlon Brando als Oberrocker… das brave Kleinstadt-Mädchen, das sich in ihn verliebt hat, fragt ihn ganz verzweifelt: Wogegen rebellierst du eigentlich? – Mach ´nen Vorschlag, sagt Brando…“
Der Schmale fand das sehr witzig. Kichernd köpfte er ein weiteres Hölzchen, deren geknickte Leichen bereits die halbe Tischplatte bedeckten und warf ein: „Ich schlage vor – gegen die Gesellschaft!“
„Nein!“, heulte Anderl auf, „im Ernst? Ausgerechnet die Gesellschaft…welche meinst du denn, die Gesellschaft Jesu oder die andere?“

Er setzte sich wieder auf und fuhr sich durch die Haare.
„Wenn man es sich recht überlegt, hat so ein alter Jesuiten-Knast einen riesigen Vorteil. Irgendwann kommst du auf die Idee, dass es noch was Radikaleres geben muss als sich bloß über die allseits beliebten Verhältnisse zu empören…unerhört, i bin empört -„
„…ganz wie sichs ghört“, sagte Hugo im Reflex.
„Genau.. eben richtig musterhaft“
„Also, was schlägst du vor?“, ließ Hugo nicht locker. Anderl sprang auf und ging an seinen Haaren zerrend auf und ab.
„Na gut, es klingt vielleicht blöd, aber ich sag es einfach mal: ich will kein Heranwachsender sein. Dass mir demnächst der Zustand des jungen Mannes blüht, macht mich kotzen und die Tatsache, dass das geradewegs zum Erwachsenen führt und ich als ausgewachsener ganzer Mann enden soll… all das macht den Gedanken an Seppuku überwältigend… dixi! Es heißt nämlich eigentlich Seppuku, Harakiri nennen es bloß die Touristen, habt ihr das schon gewusst?“, schloss er verlegen.

Hugo betrachtete ihn brillenfunkelnd und sagte nicht ohne Zärtlichkeit: „Du sprichst mir zwar aus dem Herzen, mein Schatz, aber es ist Blödsinn. Das sind Muster, aus denen kommst du nicht!“
Anderl winkte resigniert ab. „Ja, schon gut, vernünftig sein kann ich selber auch… aber ich will nicht, verstehst du! Ich krieg diese Hoffnung nicht aus mir raus, dass ich irgendwie doch noch den verfluchten Lauf der Welt stoppen kann, soweit er mich betrifft… wenn du willst, sowas wie ein neues Muster, mein eigenes!“
„Tja…das wäre es natürlich“, sagte Hugo, „aber völlig neue Muster gibt es nicht. Es gibt nur veränderte alte… umgewertet, auf den Kopf gestellt und so weiter, das ist Nietzsche für Anfänger, was ist -“ unterbrach er sich.

Der Schmale hatte seufzend Luft ausgestoßen, winkte aber ab. Es war noch nicht soweit. Die Erregung stieg zwar immer mehr in ihm, ein Durchbruch bahnte sich an, er spürte es in den Gliedern und zwar in allen: ein Ständer begann in der Hose das Köpfchen zu heben. Doch noch war der entscheidende Punkt nicht gefunden. Immerhin fand er bei seiner verstohlenen Suche in der Tischschublade jetzt Nachschub, eine neue Streichholzschachtel und noch ganz voll! Aufatmend machte er sich darüber her.

„Weißt du, wie Götz uns neulich als Kindsköpfe beschimpft hat, das ist mir irgendwie hängengeblieben“ sagte Anderl, „ich hab mich dabei eigentlich völlig wohl gefühlt…da steckt was drin, wenn man es nur mal ernst nimmt, also der bewusste Kindskopf oder wie. Der Jugendliche, der sich vom Heranwachsen emanzipiert hat“
„Haa“ krähte Hugo begeistert, „großartig, es lebe der Kindskopf!“
Anderl schnitt ein Gesicht und sagte, nicht sehr erheitert:
„Na ja, ganz nett…aber auch nur ein Aphorismus. Das ist ja die Scheiße. Ab und zu ergibt sich was, da hab ich das Gefühl, da steckt was dahinter, zum Beispiel das mit deiner Permik, Schmaler, das war auch so etwas, da hab ich auch gedacht, das könnte ein Anfang sein, aber wovon? Und dann bleibts nur ein Gag, eine Geste. Ich halte das nicht mehr aus. Ich brauche etwas, das zusammenhängt, das zum Beispiel solche Sachen verbindet…verdammt nochmal, ich glaub, wir brauchen einfach ein System!“

„Ach nein“, rief Hugo ernüchtert, „kein System, da schläft mir ja das Gesicht ein! Ich bin ein religiöser Typ, ich brauch was Metaphysisches!“
Krachend landete die Faust des Schmalen auf der Tischplatte. Der Punkt, hier war er, und die Erleuchtung, sie explodierte!
„Einen Kult, ich brauch einen Kult“, röhrte er und sprang auf. „Ich bin des trocknen Tons nun satt, .ihr unpermischen Kleinkrämer! Magie! Wer gibt mir Magie?!“
Er hob die offene Schachtel über seinen Kopf und begann zu schütteln. Während die Hölzchen auf ihn herabregneten, litaneite er: „Meine Augen wollen rollen in einem Wahn…nicht von dieser Welt…wider alle Vernunft!“
Und stand reglos, in entrückter Gebärde. Die beiden betrachteten ihn voll Entzücken.
„Magie, das ist nicht schlecht, Magie ist sehr gut“ flüsterte Anderl. Hugo wiederholte mit schwankender Stimme:
„Genau, einen Kult, wir brauchen einen Kult!“
Der Schmale ließ sich in den Stuhl zurückfallen. Ergriffenes Schweigen herrschte im Zimmer, als die Tür aufflog. Eine Stimme schrie:
„Da hockt ihr! Seid ihr wahnsinnig?“
In der Tür stand Flotsch, in Sportdress und Strumpfsocken, die Fußballschuhe in der Hand. Normalerweise war er nur schwer aus der Ruhe zu bringen, doch jetzt brüllte er. Anderl und der Schmale sollten sofort mitkommen, verdammte Sauerei nochmal, alle seien schon beim Warmlaufen, regulär würde das Spiel in genau zwei Minuten anfangen.
Hugo rückte die Brille und sagte abweisend: „Hör mal, das geht jetzt nicht, wir sind hier leider beschäftigt.“
„Lass die Witze!“, rief der Flotsch, „ich lauf schon vor, der Proll soll fünf Minuten später anpfeifen und ihr beeilt euch um Himmelswillen!“
Er eilte davon. Anderl und der Schmale sahen sich bestürzt an – das große Match zwischen der OA und den Knilchen aus der fünften Abteilung, die unbedingt eine Abreibung haben wollten!

„Also los, ich versteh nicht, wie ich das vergessen konnte“, sagte Anderl und fuhr in seine Schuhe. Der Schmale war schon bei der Tür. Hugo sah ungläubig von einem zum anderen.
„He, nicht euer Ernst?… Jetzt fußballern, in so ´nem Moment, in dieser Stunde?“
„Tu nicht so heilig, du musst das ein bisschen permisch nehmen“, riet ihm der Schmale.
„Permisch?…Wie die Deppen hinter einem Ball herrennen, das nennst du permisch?“
„Bei Fußball hört die Permik auf“, behauptete Anderl und eilte hinaus. Der Schmale blieb in der Tür noch einmal stehen und sagte mit süßem Lächeln:
„Und auf die Permik scheißen, ist ganz besonders permisch, mein Gutster.“ Und verschwand nach draußen. Außer sich schrie Hugo ihm nach: „Wenn ihr jetzt geht, dann sind wir geschiedene Leute, das schwör ich!“
„Okay… wir nehmen´s permisch“, tönte es aus dem Gang.

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Markus Fenner

Markus Fenner stammt aus München, begann als freier Schriftsteller, brach mit der Literatur, wurde TV-Redakteur, später Drehbuch-Autor, lebt heute als Dorfschriftsteller am bayerischen Alpenrand: Erzählungen, regionale Theaterstücke, stellenweise Lyrik. Weitere Informationen: http://www.markus-fenner.de/

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