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Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 6
Vater bekommt seine Frau.

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


6.Kapitel

Als mein Vater aus dem Krieg und einjähriger Gefangenschaft zurückkam und einigermaßen erholt war, hatte er eine Beziehung mit einer Gastwirtstochter aus dem Ort.

Er kannte dieses Mädchen noch aus der Zeit, ehe er in den Krieg eingezogen wurde, und das Verhältnis glomm auch während der Zeit seines Kriegseinsatzes auf Sparflamme weiter. Immer wieder tauchten in den Briefen an seine Mutter Bemerkungen über die Dame auf, indem er sich beklagte, dass er von ihr schon sehr lange keine Post mehr erhalten habe. Sie wird sich wohl in andere Richtungen umgesehen haben, fügte er einmal hinzu. Es blieb alles im Ungewissen, ohne dass deswegen gröbere Verletzungen zurückgeblieben wären.

Gegenüber des Bangeterhauses in der Schöngasse lebte der Meinrad Alois, ein Schulfreund. Einmal nun besuchte mein Vater ihn und da sah er dieses junge Mädchen vor der Tür stehen, in das er sich auf der Stelle verliebte. Er kannte sie nicht und seine erste Frage an den Meinrad Alois war, wer die Schönheit denn sei.

Das war zwei Jahre nach Kriegsende. Mein Vater arbeitete im Betrieb seines Vaters und steckte bereits mitten im Hausbau mit seinen Brüdern. Für die Landwirtschaft hatte er nichts übrig, daher half er nur im äußersten Notfall aus. In dieser Hinsicht unterschied er sich völlig von seinen jüngeren Brüdern, die für die Stallarbeit, für die Tierhaltung und den Schwarzhandel, der damals blühte, großes Interesse zeigten und auch ihr Leben lang als Nebenerwerbsbauern tätig blieben.

Mein Vater hatte nach der Pflichtschule die dreijährige Gewerbeschule erfolgreich abgeschlossen, wodurch er berechtigt war, nach zwei Jahren Praxis die Meisterprüfung abzulegen. Nach seinem Krankenhausaufenthalt hatte er zwar immer den Wunsch geäußert, so wie Dr. Kiener ein Arzt werden zu wollen. Dieser Wunsch wurde zu Hause aber niemals besonders ernst genommen.

Meine Mutter fand großen Gefallen daran, dass sie plötzlich einen werbenden Verehrer hatte, aber sie fühlte sich viel zu jung und zu unerfahren, als dass es für sie mehr gewesen wäre als ein Jungmädchenflirt. Außerdem gab es da noch jede Menge anderer Burschen, die meiner Mutter gefielen. Sie wollte die Männerwelt erst einmal kennenlernen, ohne sich gleich fest zu binden.

Einmal lud mein Vater sie mit seinem Motorrad (das war damals natürlich etwas Besonderes) zu einem Ausflug nach Kitzbühel ein. Es war eine lustige Fahrt, auch wenn sie bei der Hin- und Rückfahrt nicht weniger als dreimal einen Platten zu reparieren hatten.

Meine Mutter verkehrte zu dieser Zeit oft mit ihrer Freundin Agnes. Auch in der Stadt. Agnes war ein Jahr älter und sie hatte, was Männer betraf, in gewisser Hinsicht konkretere Vorstellungen und Erwartungen als meine Mutter. Einmal lernten sie zwei Postbedienstete kennen. Diese waren Fußballer beim Innsbrucker Sportklub und Agnes wollte von ihrem Bekannten mehr, als nur ins Kino oder ins Kaffeehaus ausgeführt zu werden.

Dem Postler war nicht recht wohl bei der Sache und er versuchte sich aus der Affäre zu ziehen, indem er meinte, er bräuchte seine ganze Kraft für das Training und die Fußballspiele.
Mit so einem Burschen kann ich nichts anfangen, sagte Agnes zu meiner Mutter, nachdem sie die Bekanntschaft schnell abgebrochen hatte.

Meine Mutter hatte damals noch keine intimen sexuellen Erfahrungen mit Männern. Bei Vater war das etwas anders und er bedrängte sie heftig. Aber sie hatte vor diesem Schritt große Angst. Als Kind und Jugendliche hatte sie einiges – sie schlief im elterlichen Zimmer – mitbekommen, wenn ihr Vater spätnachts von seinen Freunden nach Hause kam und es dann häufig Vorwürfe und Vorhaltungen seitens der Mutter gab und solche Auseinandersetzungen nicht selten in einem Liebesakt endeten. Das empfand sie immer als abstoßend.

Auch bekam sie hautnah mit, welche Katastrophe es bedeutete, wenn im Bangeterhaus eine Frau schwanger wurde, was niemals Freude auslöste. Jede Schwangerschaft bedeutete, dass es einen Fresser mehr geben würde, dessen Maul gestopft werden musste.

Auch eine familiäre Katastrophe mit ihrem älteren Bruder
Hermann war ihr in Erinnerung. Dieser hatte eine Frau im Bangeterhaus geschwängert, deren Ehemann an der Front war. Daraufhin meldete sich der verzweifelte Bruder freiwillig zur SS. Dort wurde er aber wegen angeblich mongolischer Gesichtszüge abgewiesen. Zum Glück, oder wie immer man das betrachten mag, verlor die Geliebte von Hermann das Kind und der Ehemann sollte nichts von diesem Seitensprung erfahren.

Die Versuche meines Vaters, seine Angebetete endlich ins Bett zu bekommen, wurden immer drängender. Einmal gelang es ihm, sie dazu zu überreden, mit ihm das Wochenende auf der Berghütte in Thomasegg zu verbringen. Nach langem Hin und Her ließ sie sich dazu überreden.

Nachdem sie dieser Aufdringlichkeit zugestimmt hatte, kreisten ihre Gedanken nur noch darum, wie sie sich aus der misslichen Lage wieder befreien könnte. Sie flehte sogar zum Allmächtigen, dass er ihr helfen würde. Und der Himmel schickte ihr tatsächlich Hilfe. Bruder Hermann hatte damals eine Anstellung als Elektriker bei den Innsbrucker Stadtwerken und eben am Freitag, am Wochenende bevor meine Mutter auf Thomasegg gehen sollte, geriet der Bruder in einen Stromkreis, den ein Arbeitskollege irrtümlicherweise eingeschaltet hatte.

Sein ganzer Körper verkohlte, er lebte aber noch einige Stunden und seine Eltern konnten ihn noch besuchen. Großmutter sagte zu mir einmal: Wenn man ihn berührt hätte, dann wäre er zusammengefallen wie ein verkohltes Blatt Papier.

Meine Mutter litt noch lange Zeit unter diesem Unfall, weil sie sich einbildete, Mitschuld daran zu tragen. Noch viele Jahre verfolgte sie das Ereignis und bereitete ihr Albträume. Am Wochenende stand sie am Sarg ihres Bruders und landete nicht im Bett meines Vaters auf Thomasegg. Die nächsten Wochen und Monate waren für die Seele meiner Mutter in mehrfacher Hinsicht eine Tortur.

Wenige Wochen später sollte Mutter in der Stadt einen anderen Mann kennenlernen, in den sie sich Hals über Kopf verliebte. Daher wollte sie auch die Beziehung mit Vater beenden. Für ihn brach die Welt zusammen. Er konnte sich nicht damit abfinden und drehte durch.

Einmal kamen zwei Schwestern meines Vaters in das Bangeterhaus zu Mutter, waren ganz außer sich, sagten, dass sie sich zu Hause keinen Rat mehr wüssten, da mein Vater völlig von Sinnen sei und man mit allem rechnen müsse. Sie flehten meine Mutter an, doch bitte mitzukommen. Schließlich ließ sie sich schweren Herzens dazu überreden und das Schicksal sollte wieder einmal einen seltsamen Weg einschlagen. Jedenfalls verlor Mutter an diesem Tag ihre Unschuld und wurde in der Folge auch sofort schwanger. Somit saß sie in der Falle. Sie wusste sich keinen Rat, wie sie da entkommen konnte.

Als Erstes vertraute sie sich ihrer Freundin an. Diese versuchte klaren Kopf zu bewahren. Sie wusste eine Adresse. Auch bei der Finanzierung hätte sie Mittel und Wege gefunden. Ein Tag nach dem anderen verstrich. Die Freundin stand ihr bei, aber die letztendliche Entscheidung hatte meine Mutter selbst zu treffen. Und Mutter konnte sich nicht durchringen. Die Geschichte nahm also ihren Lauf.

Großmutter merkte sehr bald, dass da was nicht stimmte, und aus eigener Erfahrung wusste sie, was es sein musste, auch wenn sie von dem Zwiespalt, in dem meine Mutter steckte, keine Ahnung hatte. Jedenfalls war sehr bald klar beziehungsweise sollte es sich so ergeben, dass sie das Kind bekommen würde, auch wenn sie die Schwangerschaft im Innersten ablehnte. Als in der Familie bekannt wurde, dass sie ein Kind erwartete, stand außer Zweifel, dass eine Hochzeit ins Haus stand. Für alle, außer für Mutter. Sie war noch so jung und sie wollte nicht diesen Weg gehen, aber er war für sie unausweichlich. Sie war noch nicht einmal volljährig.

Daher benötigte sie die Unterschrift ihres Vaters. Für ihre Eltern war dieser Schritt ganz selbstverständlich, ohne etwas vom Unglück der Mutter mitzubekommen. Aber darüber konnte sie nicht mit ihnen reden, mit niemandem außer ihrer Freundin. Alle sahen in Vater eine gute Partie, zumindest, wenn man es vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtete.

Aber Mutter bedeutete das damals im Grunde nichts. Trotzdem fehlte ihr die Kraft, sich dagegen aufzulehnen, sie ließ alles mehr oder weniger apathisch über sich ergehen. Ihre Freundin schüttelte den Kopf. Vater hingegen war glücklich. Er hatte sein Ziel erreicht, denn er sah in ihr die Frau fürs Leben und alles andere hatte in diesem Moment keine Bedeutung.

Fortsetzung folgt.


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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Rudolf Ostermann

    Unglaublich, wie du an diese Hintergrundinformationen herangekommen bist

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