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Literarische Korrespondenz:
Hartl Steiger an schoepfblog
Betrifft:
Der Agrargemeinschaftsskandal
geht munter weiter!
Beispiel Natters

Sehr geehrte Damen und Herren!

Mein Name ist Leonhard Steiger; ich bin Obmann des Vereins Gemeindeland in Gemeindehand, welcher die Homepage www.agrarpapers.tirol erstellt hat und betreibt.

Ich habe mich seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema Gemeindegut und dessen verfassungswidriger großflächiger Transferierung in das Eigentum von nur zu diesem Zweck gegründeten Agrargemeinschaften in ganz Tirol beschäftigt. Sie können davon ausgehen, dass ich mich mit der durch höchstgerichtliche Erkenntnisse klargestellten Rechtslage und auch der leider in Tirol davon grob abweichenden Praxis bestens auskenne.

Zur rechtlichen Situation der Nutzung des Gemeindegutes in wenigen Worten:

1. Der Substanzwert des Gesamtbesitzes der Agrargemeinschaft steht der Gemeinde zu. Dazu zählen Einkünfte aus z.B. jedem Grundverkauf, div. Entschädigungen für Grundbenützung (z.B. Schipisten, Handymasten ..), Schotterverkauf, Jagdpacht,….. aber auch der Überling. Das ist jener Wert, der nach Abzug der Nutzungsrechte von den land- und forstwirtschaftlichen Erträgen übrig bleibt; der ist in Natters ziemlich hoch anzusetzen.

2. Den einzelnen Nutzungsberechtigten (nicht der Agrargemeinschaft) steht die Nutzung des Gemeindegutes im Ausmaß des konkreten landwirtschaftlichen Haus- und Gutsbedarf zu. (Das historisch gegeben gewesene Ausmaß darf dabei nicht überschritten werden.) Konkret handelt es sich um Brennholz zum Betrieb einer Feuerstelle und das aktuell notwendige Nutzholz zu Erhaltung von Gebäuden, Zäunen, Städeln, etc.

3. Der Bezug von Sachgütern aus dem Gemeindegut (etwa Holz oder Streu) setzt voraus, dass der Nutzungsberechtigte eine Landwirtschaft betreibt und dass ein konkreter Bedarf besteht. Es ist Aufgabe des Obmanns und des Substanzverwalters sowohl den Einzelbedarf wie auch die Verwendung des Sachbezuges jährlich zu prüfen.

4. Der Verkauf von Sachbezügen aus dem Gemeindegut ist verboten, wird durch den Verkauf ja klar ausgedrückt, dass ein Sachbezug nicht benötigt wird!

5. Die Nutzung des Gemeindegutes ist in der Tiroler Gemeindeordnung geregelt. Darin heißt es, dass die Kosten der Bewirtschaftung des Gemeindegutes auf die Nutzer im Verhältnis ihres gewonnenen Nutzens umzulegen sind.

Vor diesem rechtlich sehr klaren Hintergrund wurde in Natters zwischen der Gemeinde und der Agrargemeinschaft ein Bewirtschaftungsübereinkommen abgeschlossen, welches in der Praxis dazu geführt hat, dass die Agrargemeinschaft(!) beinahe sämtliche Erträge des Forstbetriebes lukriert, die Gemeinde hingegen sämtliche Bewirtschaftungskosten des Gemeindewaldes alleine zu tragen hat.

Das widerspricht allen rechtlichen Vorgaben der Tiroler Gemeindeordnung und höchstgerichtlichen Erkenntnisse, vor allem aber ist zu hinterfragen, aus welchem Grund die Gemeinde Natters so ein Übereinkommen, das nur einige wenige Natterer Bürger besonders bereichert, abgeschlossen hat?

Darauf stößt nun eine Substanzverwalterin, die einen fachlich fundierten Hintergrund hat und auf diese chaotischen, rechtswidrigen und – man kann vermuten – auch korrupten Verhältnisse stößt. Sie zeigt im Gemeinderat viele Ungereimtheiten auf und will Aufklärung betreiben, angetrieben von ihrer Verpflichtung als Substanzverwalterin, die der Gemeinde zustehenden Substanzerträge auch dieser zukommen zu lassen.

Sie hat damit natürlich Unruhe in das Dorf gebracht und den so heiligen Dorffrieden gestört, noch dazu als Frau!! (Vielleicht war sie in ihrem Vorgehen da und dort ungeschickt oder – wie man so sagt – undiplomatisch. Aber es gibt seitens der Gemeinde – und sie ist deren Vertreterin – nichts zu verschenken!)

Natürlich war und ist sie dadurch immer noch Zielscheibe vieler unqualifizierter Anwürfe und verbaler Attacken. Es geht ja um große Privilegien einer nicht unbedeutenden Wählerschicht in Natters. (Summe der AG-Mitglieder samt Familien)

Die bestehenden Regelungen für Gemeindegutsagrargemeinschaften, wie sie momentan im Tiroler Flurverfassungslandesgesetz festgeschrieben sind, geben den Gemeinden immer noch nicht den uneingeschränkten Zugriff auf den ihr zukommenden Substanzwert und haben mit der Funktion des Substanzverwalters ein unsägliches Konstrukt geschaffen.

Der Substanzverwalter wird zerrieben zwischen den alten Agrarfunktionären, die ihre Privilegien nicht abgeben wollen, und dem Bürgermeister, der wiedergewählt werden will; andererseits den gesetzlichen Gegebenheiten, an die er sich zu halten hätte wie etwa Haus- und Gutsbedarf.

Darüber hinaus ist der Substanzverwalter kraft Gesetzes auch Gemeinderat und will wiedergewählt werden. Auch sind die Substanzverwalter häufig selbst Mitglied der Agrargemeinschaft; daher oft mehrfach befangen!

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist ein Glücksfall für Tirol, dass der Fall Natters publik geworden ist. Ähnliche Zustände, dass die Gemeinde bei Gemeindegutsagrargemeinschaften bei weitem nicht zu ihrem Recht kommt, sind flächendeckend in Tirol gegeben.

Erst das engagierte Einschreiten von Frau Koch, die übrigens von vielen Seiten in ihrer Arbeit behindert wurde, indem ihr z.B. vom Gemeindewaldaufseher und vom Bezirksförster keine Daten geliefert wurden, und sie keinen Einblick in diverse Buchhaltungen bekommen hat, brachte den Fall ins Rollen.

Auch ist sehr kritisch anzumerken, dass die Agrarbehörde, die ja die Aufsicht über die Agrargemeinschaften hat, sich aber bekanntlich eher als Interessenvertreterin der Agrarier sieht, nicht schon lange eingegriffen hat.

Es ist zu hoffen, dass der Fall Natters transparent und objektiv, auf Basis der Gesetze aufgearbeitet wird und damit für ganz Tirol ein Zeichen des Rechtsstaates gesetzt wird.

In der Nachbargemeinde Mutters – man kann die Gemeindegrenze zu Natters im Ort gar nicht erkennen – läuft alles den richtigen Weg. Jeder Nutzungsberechtigte bekommt das, was ihm zusteht, der Überling (gar nicht wenig!) wird für kommunale Projekte verwendet.

Die Gemeinde Mutters ist eine der ganz wenigen Gemeinden in Tirol, in der die höchstgerichtlichen Erkenntnisse auch in der Praxis umgesetzt werden. Auch dort ist deswegen der alte Dorffrieden etwas gestört, aber die Allgemeinheit kommt zu ihrem Recht! Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Natters böte es sich geradezu an, über die rechtsstaatlich gesehen im Vergleich zum Zustand im übrigen Tirol vorbildliche Vorgangsweise in der Gemeinde Mutters zu berichten!

Sehr geehrte Damen und Herren, ich will ihnen mit diesen Zeilen einen breiteren Blick auf die Problematik geben und ihnen mitteilen, dass das alles nicht nur eine Natterer Geschichte ist. Die Substanzverwalter stehen in ganz Tirol in der Schusslinie und, wenn man so will, mit einem Fuß im Kriminal.

Die Lösung des Problems wäre einfach und klar und kann nur lauten: Rückübertragung des verfassungswidrig an die Agrargemeinschaften verschobenen Eigentums am Gemeindegut an die Gemeinden!



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