Literarische Korrespondenz:
Leonhard Steiger an Andreas Braun
Betrifft:
agrarpapers
Wir können ja nicht eine eigene Partei gründen!
Servus Andreas,
hab dir zu dem Thema schon einiges (ich hoffe nicht zu viel) geschickt, bin dir aber trotzdem noch was schuldig. Und zwar die Beantwortung der zwei Fragen:
1. Platter habe mit Grabenwarter (Präsident des VfGH) gesprochen und dieser habe große verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rückübertragung per Gesetz geäußert.
2. Was bringt die Rückübertragung den Gemeinden?
Ad 1.
– Dass Platter oder Geisler tatsächlich mit Grabenwarter gesprochen haben, ist zu bezweifeln. Keiner der beiden ist in der Lage, eine dbzgl. Frage zu formulieren! Auch 2013 haben Steixner, Van Staa und auch der LAD Liener behauptet, klare Signale aus dem VfGH bekommen zu haben, dass der Überling nicht den Gemeinden zugesprochen wird! Das Gegenteil war der Fall! Die Meinung, dass ein Verfassungsrichter sich über künftige – noch nicht eingebrachte – Materien seine persönliche Einschätzung entlocken lässt, ist kindisch und wirklichkeitsfremd.
– Der Verfassungsdienst des Bundes hat der Rückübertragung ein großes öffentliches Interesse zugeschrieben.
– Kienberger, als einziges Mitglied des VfGH, der die Interna Tirols auch gekannt hat, muss erst widerlegt werden. (Nicht von mir!!)
Ad 2.
Allein schon die Tatsache, dass ein verfassungswidriger Zustand für alle Zeit repariert würde, ist für sich schon Grund genug, um das Gemeindegut wieder den Gemeinden zurückzugeben. (Es lebe die Verfassung und der Rechtsstaat.)
Die Rückübertragung würde bewirken, dass die Bewirtschaftung des Gemeindeguts richtigerweise der Aufsicht der Gemeindeabteilung und nicht – wie bisher – jener der Agrarbehörde unterliegt. (Die Agrarbehörde hat bekanntermaßen über Jahrzehnte die Gemeinden enteignet bzw. grob benachteiligt; die AB versteht sich leider immer noch als Interessenvertreterin der Agrarier. Zudem wird bei der derzeitigen Regelung das Gemeindegut von jenen verwaltet, die über Jahrzehnte gegen die Gemeinde gearbeitet haben!)
Die Erhebungen(abgelegt auf WWW.agrarpapers.tirol ) haben folgendes zutage befördert:
Gemeindegründe riesigen Ausmaßes wurden in Tirol auf ca. 410 Agrargemeinschaften entschädigungslos übertragen. Das war offenkundig verfassungswidrig.
a) Von den 410 Agrargemeinschaften werden nur ca. 250 von der Agrarbehörde und somit auch von den Gemeinden als Gemeindegutsagrargemeinschaften anerkannt. (lt. LT- Anfragebeantwortung 2019)
b) Ca. 100 Agrargemeinschaften, die aufgrund der Unterlagen in den Grundbüchern und der gesetzlichen Vorgaben offensichtlich ebenfalls Gemeindegutsagrargemeinschaften sind, wurde nach 2008 in fakten- und gesetzwidrigen Feststellungsbescheiden der Agrarbehörde die Gemeindegutseigenschaft abgesprochen. Sie werden nicht als GGAG geführt!!!
c) Ca. 60 Agrargemeinschaften sind – wie die eindeutigen Unterlagen der Grundbücher belegen – aus Gemeindegut entstanden, bis heute jedoch noch nicht als GGAG „enttarnt“; weder von der AB noch von den jeweiligen Gemeinden. (Diese müssten ja schon lange von der AB informiert worden sein!!)
Daraus folgt:
Bei jenen Agrargemeinschaften, die unter die Punkte a) und b) fallen, ist klar, was die Rückübertragung des Eigentums an die jeweiligen Gemeinden bringen würde, nämlich: Ab dem Zeitpunkt der Rückübertragung fallen sämtliche Substanzerträge den Gemeinden zu, nämlich jene Erträge, die bis heute verfassungswidrig an die Mitglieder der AG gehen. Endlich würden auch diese Liegenschaften als Gemeindegut anerkannt und die teilweise armen Gemeinden bekämen Substanzerträge und Spielraum.
Nun zu den – lediglich 250 – AG die unter a) fallen. Nur über diese wird derzeit geredet; nur diese sind als GGAG anerkannt! (Skandal!)
– die AG steht als Eigentümerin im Grundbuch, allerdings nur hinsichtlich des sich jährlich ändernden landwirtschaftlichen Haus- und Gutsbedarfs ihrer Mitglieder. (Mitglieder, die keine Landwirtschaft betreiben, können keinen Haus- und Gutsbedarf geltend machen; dieser verfällt zugunsten der Gemeinde). Die Organe der Agrargemeinschaft führen die Geschäfte der GGAG.(Dies als lediglich formale Eigentümerin. Materielle Eigentümerin ist ja die Gemeinde!)
Die Gemeinde hat also keinen direkten Zugriff auf die Bewirtschaftung ihres Eigentums, sondern ist auf das Handeln der Agrargemeinschaft angewiesen. Bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet die Agrarbehörde, die üblicherweise aufseiten der Agrarier steht.
– Die „Ansprüche“ der Gemeinde (Substanzerträge, Überling etc.) sollten vom Substanzverwalter(SV) wahrgenommen werden. Er ist Mitglied des Gemeinderates und wird von diesem als Mitglied in den Ausschuss der Agrargemeinschaft entsandt. Bei „schwierigen“ Mehrheitsverhältnissen im Gemeinderat, wenn z.B. der Substanzverwalter nicht der Partei des Bürgermeisters angehört, kommt es zwangsweise zu Blockaden und Verzögerungen, jedenfalls zu unnötigen Streitereien zwischen Bürgermeister und Substanzverwalter, wie bekannte Beispiele belegen.
– Die Aufgaben und die Kompetenzen des Substanzverwalters sind im TFLG (Tiroler Flurverfassungslandesgesetz) in mehreren Absätzen aufgezählt und theoretisch geregelt; die Kompliziertheit der Formulierungen und deren Praxisferne lässt großen Interpretationsspielraum offen und gibt genügend Platz für fachliche Streitereien. Für einen juristischen Laien sind diese Bestimmungen unlesbar. ( In der TGO (Tiroler Gemeindeordnung) hingegen ist die Bewirtschaftung des Gemeindegutes in kurzen Sätzen seit 150 Jahren klar geregelt.)
– Der Substanzverwalter hat u.a. die wichtige, aber auch schwierige Aufgabe, jährlich die Höhe des von den Mitgliedern der AG angemeldeten (behaupteten) Haus- und Gutsbedarfs zu überprüfen und zu genehmigen. Er muss ungerechtfertigte Ansprüche ablehnen; damit kommt er in Bedrängnis, ist er doch auch Gemeinderat, der wiedergewählt werden will. Eine Befangenheit ist hier klar gegeben; außerdem ist der SV sehr oft selbst Mitglied der AG!
Diese Gründe erklären auch die Tatsache, dass bei der Mehrheit der GGAG der Haus- und Gutsbedarf immer noch „nach alter Übung“ (anteilsmäßig) zugeteilt wird. Die Prüfung der Bedarfszuweisung unterbleibt.
Das bedeutet, dass sehr viele Mitglieder der AG Holzzuweisungen bekommen, obwohl sie schon lange keine Landwirtschaft mehr betreiben. (Aufsicht hat die Agrarbehörde!) Zum großen Nachteil der Gemeinden, besonders bei dem derzeit hohen Holzpreis.
– Aufgrund einer Verordnung der TLRG (Tiroler Landesregierung) sind die Beiträge der Nutzungsberechtigten zu den Bewirtschaftungskosten des Gemeindeguts gedeckelt. Die in der Verordnung festgesetzten Sätze decken jedoch bei weitem nicht die tatsächlichen Bewirtschaftungskosten. Das hat zur Folge, dass die Gemeinden den Großteil der Bewirtschaftungskosten für die Nutzungsberechtigten zu tragen haben. (Das ist gleichheitswidrig!) Die TGO hingegen regelt klar, dass die Bewirtschaftungskosten auf die Nutzer des Gemeindeguts umzulegen sind!
– Nicht zu vergessen ist auch, dass der SV ein nicht unwesentlicher politischer und bezahlter Funktionärsposten in der Gemeinde ist. Schwer zu erraten, welcher Partei er üblicherweise zuzurechnen ist.
– Dass die Konstruktion des SV – abgesehen von der Verfassungswidrigkeit der Grundbuchsituation – für die Bewirtschaftung des Gemeindeguts großen bürokratischen Aufwand unter unnötiger Einbindung der AB erzeugt ist allgemein unbestritten und schreit gerade auch deshalb nach Korrektur.
Ein weiterer Missstand wurde im Zuge der Recherchen bekannt und auf www.agrarpapers.tirol dokumentiert:
Mehr als 20 Gemeinden wurden im Zuge von sogenannten „Regulierungen“(Enteignungen) zwar als Eigentümer im Grundbuch belassen. Zugleich wurden aber auch Agrargemeinschaften gebildet, denen die Bewirtschaftung samt dem Großteil der Erträge mit Bescheid übertragen wurde. Alle diese Gemeinden bekommen zum Großteil bis heute nicht den ihnen zustehenden Substanzertrag. Die Forderung auf Aufhebung der verfassungswidrigen Bescheide wurde vom VfGH schon 2008 erhoben.
Der Verein Gemeindeland in Gemeindehand erhebt diese Forderung 2022 neuerlich. (14 Jahre ist nichts passiert!)
Welche Partei, die sich verfassungstreu und rechtsstaatlich nennt bzw. dies in ihrem Parteiprogramm behauptet, kann sich den klaren und nachvollziehbaren Forderungen auf verfassungskonforme Reparatur des „Gemeindegutsirrtums“ entziehen?
Wie bringen wir diese Dinge noch besser an die Öffentlichkeit? Wer transportiert das?
Wir können ja nicht eine eigene Partei gründen!
Beste Grüße
Leonhard Steiger
www.agrarpapers.tirol
Verein Gemeindeland in Gemeindehand
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„…falls gar ein Kind kommt, muss die Kinderkrippe her, wenn es keine Oma und keinen Opa gibt. „
Das Kind in die Krippe? Jesass, Maria und Joseph, um Gotteswillen, wo soll das noch hinführen?