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Literarische Korrespondenz:
Ronald Weinberger an Marcel Looser
Betrifft:
Kosmogonie!

Sehr geehrter Herr Looser!

Ihr am 22.09. erschienener, an mich als Reaktion auf meinen am 11.08. veröffentlichten Beitrag über „Anfangloses“ adressierter Artikel ist ein Musterbeispiel für eine Resonanz, wie ich sie überaus schätze: Sie hinterfragen, wünschen Klarstellungen und vor allem bringen Sie höchst interessante und wissenswerte, noch dazu umfängliche, geschichtliche Informationen bei. Kurz: Ich danke Ihnen und habe, so wie zweifellos eine Reihe anderer Leser, Ihre Ausführungen mit viel Gewinn gelesen.

Ich befinde mich nun freilich in folgender Verlegenheit: Soll ich Ihnen ausführlich antworten, oder mich halbwegs knapp halten und weitgehend bloß das zu beantworten beziehungsweise anzudiskutieren versuchen, was ich als Fragen oder Ihnen besonders wichtige Problemstellungen meine interpretieren zu können? Aus Rücksicht auf die hohe Komplexität des Themas und insbesondere auch auf die sonstige Leserschaft und deren oftmals begrenztes Zeitbudget will ich mich eher kurz halten.

Sie schreiben unter anderem: „… ich weiß leider weder, was ein Quantenvakuum noch was eine Quantenfluktuation ist“. Nun, da bin ich in der komfortablen Lage, den Quantenphysiker Richard Feynman (Nobelpreis 1965) zu zitieren, der sich sinngemäß wie folgt geäußert hat: „Niemand versteht die Quantentheorie“. Soll heißen: Man „begreift“ diese halt nicht, oder anders ausgedrückt: Der berühmt-berüchtigte Hausverstand, selbst wenn man ihn ausreizt, ist dazu nicht in der Lage. Wir mögen indes dabei nie vergessen: Die Quantenphysik ist keineswegs eine phantasievolle Erfindung von Wissenschaftlern, die von faktenfreier Science Fiction „kontaminiert“ wurden.

Nach längerem Herumstöbern im Internet nach einer halbwegs fassbaren und noch dazu seriösen oder zumindest so wirkenden Beschreibung der zwei obigen Begriffe landete ich bei zwei Links, deren Inhalt ich Ihnen ob ihrer Kürze und Wortwahl empfehlen darf: Unter Quantenvakuum – Lexikon der Astronomie (spektrum.de) können Sie bis zum Absatz „Lösen der Bewegungsgleichung“ ein paar m. E. nützliche Sätze lesen und in Quantenfluktuation – was ist das? (helpster.de) werden Sie hinsichtlich Quantenfluktuationen bedient. Diese Hinweise sind ungleich besser, als dass ich für Sie etwas zusammenschustere, zumal ich ja kein Quantenphysiker bin oder war und folglich womöglich einen textlichen Humbug fabriziere.

Zugleich möchte ich aber darauf hinweisen, dass ich, was den möglichen Ursprung unseres Universums oder eventuell anderer existierender Universen aus „Quantenfluktuationen“ angeht, in meinem Beitrag stets den Konjunktiv verwendet habe. Aus guten Gründen, denn noch längst hat die Wissenschaft hierbei keine Gewissheit.

Gewissheit besteht hingegen darüber, dass es einen „Urknall“ beziehungsweise eine Art „Urknall“ gegeben hat. Ich werde gleich darauf zurückkommen, aber auch über die eher lustige Herkunft dieses eigentlich astrophysikalisch unsinnigen Ausdrucks (auf Englisch „Big Bang“) berichten.

Im Jahr 1949, als die ersten namhaften Überlegungen aufkamen, unser Universum habe einen sehr speziellen Anfang vorzuweisen, nämlich aus einem winzigen Etwas heraus, meinte der prominenteste Kritiker dieser Annahme, der britische Astrophysiker Fred Hoyle, in einem BBC-Radiointerview spöttisch, die Vertreter dieser Hypothese meinten wohl, dass die gesamte Materie im Weltall in einem einzigen „Big Bang“ entstanden sei! Hoyle hatte damit, unbeabsichtigt, das ideale Schlagwort für die neue Theorie geschaffen.

Heute gibt es mehrere, unabhängige, Belege für den Urknall. Der auch für Laien überzeugendste davon ist, dass unser Universum, gesichert durch zahllose Messungen, expandiert. Es muss folglich vor sehr langer Zeit (heute weiß man: vor 13,8 Milliarden Jahren), winzig klein, dazu noch ultradicht und ultraheiß gewesen sein.

Herkunft: Aus einem Quantenvakuum? Womöglich.

Sie, sehr geehrter Herr Looser, schreiben dazu fragend. „Müsste man denn dieses Quantenvakuum, aus welchem als Urgrund durch Quantenfluktuation der Kosmos entstanden ist, nicht wieder hinterfragen?“. Selbstverständlich.

Nur gibt es halt für diese Entstehungshypothese zurzeit keine Beweismöglichkeit. Ich meine provokant dazu. Was spricht dagegen, dass es dieses Quantenvakuum seit JEHER gibt? Für alle Zeiten (und etwaige Nichtzeiten) geben wird? Seit Ewigkeit und in Ewigkeit? Opponiert jetzt der Hausverstand? Egal, denn der ist ein wahrhaft unzuverlässiger Geselle. Fazit: Wir müssen diese Frage offenlassen.

Eine andere Frage weniger, nämlich nach der Rolle des Zufalls. Ich darf Ihren vorletzten Absatz zitieren: „Wir Menschen sitzen auf diesem unseren Planeten, einem Staubkorn im Universum, und versuchen, zu verstehen, was verstehbar ist und fragen uns dennoch, was das Ganze soll: ist das alles Zufall, sinn- und zwecklos?“

Ach, der Zufall… Der ungeliebte Zufall. Er, der aber – nachgewiesenermaßen! – in der Physik des Allerkleinsten ganz entscheidend ist. Er, den man, um seine Schrecknisse einigermaßen zu minimieren, launig + sachlich + allgemeinverständlich + nicht allzu ausführlich zugleich, diskutieren kann. So, wie ich es in meinem Buch „Die Astronomie und der liebe Gott“ (2008), in Kapitel 5.1. namens „Nichts und Zufall“, versucht habe. Mein Fazit: Er ist ungleich wichtiger als vermutet und gewünscht! Auch in unserem, menschlichen, Dasein.

Und zum „Zweck“, zum „Ziel“, des Ganzen: Sie schreiben ja: „Die Ethik von Epikur und Lukrez fußt also auf der Physik, Grundlage dazu ist das Verstehen der Natur – es gibt weder einen Schöpfer noch ein Leben bzw. irgendwelche Strafen nach dem Tod – die Welt hat keinen Zweck, kein Ziel!“. Ich bin so frech und frei, noch meine Ansicht hinzuzufügen: Es gibt auch keinen Sinn (außer den, den WIR generieren). Ich bin ganz und gar dieser Meinung jener vor mehr als zwei Jahrtausenden gewirkt habenden Geistesgrößen!

Ich will, ja sollte, zum Schluss kommen. In ihm wage ich einen Hauch von Widerrede bezüglich einer Ihrer Folgerungen. Sie meinen nämlich „Wir tun immer so, als könnten wir aus der Welt heraustreten und sie so von außen beobachten und beschreiben – und doch sind wir mittendrin, wir sind aus demselben Stoff.“

Ja, wir sind aus denselben Stoffen. Wir können dennoch aus ihr heraustreten, und wir Astronomen tun dies sogar in exzessiver Weise. Fast alle unsere Studienobjekte sind nur „von außen“, „von weit her“, erforschbar – und wir vermögen dennoch oftmals tiefe Einblicke in die Vorgänge zu nehmen, die IN ihnen obwalten.

Das Erkennen von außen ist neben den mehr und mehr beantwortbaren Fragen nach dem grundsätzlichen „Woher“ und Wohin“ des Seins die Essenz dieser faszinierenden Naturwissenschaft.

Ich danke Ihnen nochmals und grüße Sie
Ronald Weinberger

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Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Brigitte Kreisl-Walch

    Also, dass es im Vakuum Quantenpartikel gibt, wurde mit dem sog. Casimir-Effekt experimentell bewiesen. Und unser Leben hat sicherlich einen Zweck. Nämlich die Verbreitung von Leben im Universum. Unsere unsterblichen Atome werden wieder ein Teil des Ganzen. Nichts geht verloren im ewigen Kreislauf.

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