Literarische Korrespondenz:
Karlheinz Töchterle an Andreas Braun
Betrifft:
Artikel über die Tirol-Holding
mit Ablehnung einer Essenseinladung
Weniger der Text von Andreas Braun, dem ich persönlich geantwortet habe, mehr das Echo, das er ausgelöst hat und das auch hier im Blog zu erstaunlich pauschalen und erstaunlich undifferenzierten Beiträgen zur grassierenden Politikerbeschimpfung Anlass gegeben hat, drängt mich zu einer Stellungnahme.
Ich hatte ja vor Josef Margreiter für kurze Zeit die Leitung der jetzt so im Fokus stehenden Einrichtung inne, damals noch unter anderen Voraussetzungen und ohne jegliches Entgelt, und habe daher einen bestimmten, natürlich perspektivischen Blick darauf.
Ich beschäftige mich aber auch schon jahrzehntelang in Theorie (hier vor allem, aber nicht nur, mit der antiken Variante) und Praxis mit Politik.
Die Stellung von Andreas Braun zur derzeitigen Entwicklung rührt, so darf ich vermuten, auch daher, dass er über längere Zeit und teilweise sehr engagiert an der Genese dieser Idee mitgewirkt und sich dabei vor allem in der letzten Phase, bevor es dann zur ersten Gründung einer definitiv operativen Einrichtung mit dem von ihm maßgeblich mitbestimmten Namen Lebensraum Tirol 4.0 kam, sehr stark eingebracht hat.
Von Anfang an allerdings litt diese am Defekt eines multiplen Anforderungsprofils, in dem ich vor allem drei Ziele erkennen konnte: Sie sollte…
1. hier noch ziemlich konkret, die drei Landeseinrichtungen Tirol-Werbung, Standortagentur und Agrarmarketing koordinieren und Synergien schöpfen. Dafür war bekanntlich eine Zeit lang sogar ein spezielles Tirol-Haus im Gespräch. Sie sollte…
2. die Marke Tirol weiterentwickeln, weshalb die konzeptionelle Mitwirkung einer Branding-Firma stimmig und erfolgsverheißend schien. Und sie sollte schließlich..
3. – und darin sah nicht nur ich, sondern wohl auch der spiritus rector Andreas Braun, wie man an seiner jetzigen Stellungnahme schön ablesen kann – ihre Hauptaufgabe: eine Art Denkerstätte zu sein, in der auf hohem Niveau unter Mithilfe unserer besten Köpfe die künftige Entwicklung unseres Landes bedacht und entsprechende Leitlinien gezogen würden.
Vor allem den letzten beiden Zielen entsprechend wurden der schlanken Leitung (aus nur zwei Personen bestehend) zwei große Gremien beigestellt: ein so genannter Aufsichtsrat mit einer Anzahl namhafter Persönlichkeiten und ein Beirat, der die Leiter relevanter Organisationen (z.B. Hochschulen oder Kultureinrichtungen), aber auch Kammern u.a. Interessensvertreter umfasste – groß gedacht und eben auch (vielleicht zu) groß geraten.
Dem ersten Ziel kam man durch die Einrichtung der Tirol-Holding sicher näher. Das war organisatorisch, legistisch und auch mit Blick auf die politischen Interessenlagen gar keine so leichte Übung, sie ist aber, nicht zuletzt durch das Engagement Günther Platters, passabel gelungen. Ob sie die gewünschten Synergien wirklich erbringt, kann ich, da erst nach meinem Ausscheiden umgesetzt, nicht beurteilen.
Das zweite Ziel hängt sehr am Gelingen des Gesamtprojekts, weshalb die Hereinnahme der Markenfrage auch durchaus plausibel erscheint: Je besser das Produkt (in diesem Fall schlicht das Land Tirol insgesamt), desto aussichtsreicher sein Branding, für welche Zielgruppe auch immer.
Diese besteht ja nicht nur aus Touristen, sondern eben auch aus Investoren, denen der Standort Tirol attraktiv erscheint, oder aus Wissenschaftlern und Studenten, die hier erfolgsträchtige Forschungsstätten oder interessante Studienplätze orten. Der Teufel steckt natürlich auch hier im Detail.
Am komplexesten und auch anspruchsvollsten scheint mir das dritte Ziel, noch mehr: mir scheint es utopisch. Diese Behauptung geht an die Wurzeln des politischen Denkens, und darüber sind schon Bibliotheken geschrieben worden. Hier kann ich nur eine dürftige Skizze liefern.
Den Traum, dass kluge Köpfe den Gang des Gemeinwesens bestimmen, träumte am prominentesten bekanntlich Platon. Auch wenn ich Poppers Platonkritik nicht durchgehend zustimme, hatte er natürlich recht damit, dass Platons Utopie unweigerlich diktatorisch und totalitär endet: Die Philosophen wissen das Richtige und ordnen es an, der Rest hat zu gehorchen.
Für Demokratie, die Platon in Athen nicht in ihrer besten Phase erlebte und als Aristokrat verachtete, bleibt da kein Platz. Demokratie hingegen, und das habe ich einige Jahre lang hautnah erfahren und auch erlitten, ist im Wesentlichen der Streit und der – bestenfalls – geregelte Ausgleich von Interessen.
Diese stehen immer im Vordergrund, mag auch eine noch so renommierte Stimme zum Richtigen raten. Dieses lässt sich objektiv kaum je konstatieren und dann gar verordnen. (Das gilt übrigens auch für das Dogma des vor allem von Deutschland nun so beherzt angegangenen Kampfes gegen den Klimawandel, wie man noch lernen wird.)
Deswegen ist auch der Wunsch, ein paar kluge Leute könnten in unserem Land die Richtung vorgeben und dabei über dem Kampf der Interessen stehen, leider utopisch und zum Scheitern verurteilt. Das widerspricht dem Wesen von Demokratie, die man gleichwohl besser organisieren könnte als in unserem verkrusteten Parteienstaat.
Aber das wäre ein anderes Thema.
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Lieber Karlheinz,
vielen Dank für diese brillanten Zeilen. Ein Genuss!
lg
Günther Aigner