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Literarische Korrespondenz
Jochen Klönne an Alois Shöpf
Betrifft: Dein Essay
"Zusammenschluss der Gletscherskigebiete Pitztal - Ötztal - Tourismuspolitisches Multiorganversagen"

Lieber Alois,

seit unserem Maturatreffen vor nunmehr schon 2 Jahren habe ich von den damals Anwesenden, auch von Dir, wieder ein klareres Bild vor Augen. Seitdem lese ich auch hin und wieder Deinen schöpfblog.

Ich falle mal mit der Tür ins Haus: Dein o.a. Essay vom Mai hatte mich beim Lesen empört. Mit einer Antwort wollte ich warten, aber darüber ist leider zu viel Zeit ins Land gegangen, ohne dass ich allerdings meinen Ärger und den Wunsch einer Antwort vergessen hätte. Nun aber, nach den katastrophalen Auswirkungen der Starkregen- und Unwetterereignisse in Deutschland und anderswo, möchte ich es tun. Ich werde nicht jeden deiner Standpunkte bzw. jedes Argument besprechen, aber deine Linie.

Ich bin viel gereist und habe zu den Auswirkungen des Tourismus beigetragen, aber sie auch ausgiebig kennengelernt. Ich staune immer wieder darüber, dass er so positive Auswirkungen haben kann. In die entlegensten Gegenden der Welt hat er Geld gebracht, Wohlstand erzeugt, Schul- und Ausbildungsmöglichkeiten ermöglicht, infrastrukturellen Fortschritt jeder Art (Straßen, Telefon, Internet, Wasserver- und –entsorgung, Strom und Licht etc. etc.), fortschrittliche und angenehme Lebensverhältnisse, Bildungschancen und Bildung. Zugleich kann man sehen, was extensiver Tourismus an Negativem anrichten kann, siehe Mallorca, siehe Ischgl, Malediven, siehe Kreuzschifffahrtindustrie, auch Erosion von Traditionen und Lebensweisen.

Es soll hier völlig unumstritten sein, dass z.B. Tirol als Ganzes und wohl jedes früher entlegene, unterentwickelte, armselige, ungebildete, chancenlose Tal ohne den Tourismus nicht da wäre, wo es heute ist: also “entwickelt”, fortschrittlich, modern, wohlhabend, international, angesehen, (aus-)gebildet. “Die Kollektivleistung der ganzen Gesellschaft” hat, indem der erhebliche Geldzufluss durch Touristen und internationale Wirtschaftsbeziehungen vernünftig genutzt wurden, dazu geführt, dass dieser Fortschritt erreicht wurde. Das aber als “kollektives Bekenntnis zum Tourismus” zu bezeichnen, ist vermessen. Das stimmt nur insofern, als alle Genannten die sich bietenden – wirtschaftlichen, was denn sonst? – Chancen genutzt haben. Und das soll nun “aufgrund des Fehlens einer vorausschauenden Tourismuspolitik und mangelnder Innenkommunikation mehr oder weniger zerstört “ sein?

Zitat von Dir: „Gleichsam statistischer Ausdruck dieser Selbstzerstörung ist nicht nur die mit 53 Prozent abgelehnte Bewerbung Tirols für neuerliche Olympische Spiele, sondern aus jüngster Zeit auch eine Petition, die mehr oder weniger im Alleingang vom pensionierten Lehrer Gerd Estermann ins Leben gerufen wurde und es binnen kürzester Zeit auf sage und schreibe ca. 170.000 Unterschriften brachte.

… fand aufgrund der unvergleichlichen medialen Chance, all jenen knallige Schaubilder zu liefern, die ihre umweltbewegte Dauerempörung nicht durch Realitätschecks zu hinterfragen gewohnt sind, keinen Widerhall. Hinzu kam als Verbündeter der durch marktverzerrende Versicherungs- und Rabattbonifikationen inzwischen zur populistischen Großmacht aufgestiegene Alpenverein, …

Hier werden ja alle verhauen, die anderer Meinung sind als du. Darf ich sagen: sie werden als rückwärts gewandt dargestellt. Du vernachlässigst nicht nur alle aktuellen Argumente, die im Zusammenhang mit Klimawandel und Umweltschutz diskutiert werden, sondern verhaust auch alle, die sich in der heutigen, vernetzten und daher i.A. wohlinformierten Welt sorgen und äußern und positionieren.

Zum großen Glück tun sie das! Du selbst bist Journalist und Kolumnist und benutzt (ich will nichts falsches sagen) traditionelle Medien und hast deinen blog, also auch einige oder viele follower, andere schlagen den Bogen weiter und finden per Online–Petition schnell und scheinbar leicht 170.000 Unterstützer. Warum kritisierst du das?

Warum kritisierst du, dass es ein pensionierter Lehrer sei, der die Initiative zum Nein zu dem Zusammenschluss der Gletscherbahnen angebahnt hat? Ich bewundere diejenigen, die solche Aktivitäten neben einem zeitfressenden Beruf und ggf. Familienpflichten ausüben, aber ich habe nicht weniger Achtung vor denen, die – wenigstens dann – das nach ihrem Berufsleben tun. Und warum werden die Unterzeichner der Petition alle stigmatisiert, dass sie nicht wüssten, wo die inkriminierten Täler und Gebirge sind? Das müssen sie auch nicht, denn müsste man immer und zu jedem Thema alle Hintergrundinfos haben, dann dürfte dein Essay nicht geschrieben worden sein.

Im Übrigen habe ich auch Achtung vor Institutionen, die sich gegen den Mainstream stellen. Warum greifst du den Alpenverein an? Du solltest ihn unterstützen, denn er hat erkannt, worum es heute geht, wie gefährlich für die Alpen ein immer gefräßigerer Tourismus ist. Zum Glück hat er seine Vergangenheit, die du ebenfalls angreifst, hinter sich gelassen.

Also dass Tirols Chancen im Tourismus wegen der von dir aufgeführten Punkte bedroht sein soll, ist mehr als ein schlapper Witz. Tirol sollte sich über Leute aus den eigenen Reihen beschweren, die vor mehr als einem Jahr nicht erkannten, dass man in Ischgl alles schnell hätte schließen sollen, als Corona ausgebrochen war. Stattdessen haben die Politiker und die zuständige Verwaltung nur Rücksicht auf die Hoteliers genommen, die Betten belegt hatten.

Schlimmer als die Unterstützer der Petition sind die Seilbahngesellschaften: die Zukunft kann doch nicht in der auf der ganzen Welt zu beobachtenden Überbeanspruchung der Natur und der Ressourcen liegen. Das ist ein Irrsinn! Die Menschheit lebt auf Pump: Was uns die Natur bis zum Ende des Jahres liefert, haben die Deutschen 2021 schon am 5. Mai aufgebraucht. Das ist der Earth Overshoot Day, der Tag der ökologischen Überschuldung [für Österreich wird der 7. April angegeben. Warum sich das Datum unterscheidet, weiß ich nicht, wahrscheinlich weil Österreich noch vielmehr importieren muss als Deutschland. Die Frage ist hier erstmal irrelevant.]

Vor dem Hintergrund unseres die Ressourcen erschöpfenden Lebensstils soll es egal sein, ob wir weiterhin, wie in den von dir genannten letzten 100 goldenen Jahren des Tirol-Tourismus, weiter Gipfel wegsprengen, Bergwälder roden für Schipisten, die umso schneller zur Erosion beitragen, Flächen versiegeln, das Inntal mit immer breiteren Autobahnen zuknallen, die Orte sich in die Landschaft fressen lassen, noch mehr Hotels bauen und Popstars in über 2.000 m Höhe im Schnee auftreten lassen, damit zig-tausende Ballermann-Schitouristen einen noch schöneren Tag haben und abends noch mehr saufen?

Und 53 % der Bevölkerung werden von dir zu Deppen verurteilt? Weil die Mehrheit die Zusammenhänge verstanden hat und nicht will, dass es noch einmal olympische Spiele gibt, die genau das forcieren. Sogenannte “Spiele”, die ausschließlich die Taschen von Funktionären (und Bauunternehmern und Hoteliers (wenn sie Glück haben) voll machen. Du weißt schon, dass die olympischen Spiele in Sotschi 33 Mrd. € gekostet haben – für 14 Tage!! Und hast schon vor Augen, was sie mit den Bergen dort gemacht haben? Du weißt, was in Athen rumsteht, oder in Rio de Janeiro? Das ist alles Irrsinn und nur die Dachorganisation verdient, so wie beim Fußball die gottgleiche FIFA oder die UEFA.

Auch den Vorwurf an die Unterzeichner dieser Petition und wahrscheinlich alle potentiellen Unterzeichner ähnlicher Vorgänge kann ich nicht akzeptieren: dass es eine (wohl unbegründete) Dauerempörung sei und die Unterzeichner nicht gewohnt seien, ihre Argumente durch Realitätschecks zu hinterfragen. Mein lieber Mann, was für eine Haltung! Das genaue Gegenteil ist der Fall. Was muss denn noch passieren?

Die Hitzewelle im Norden Nordamerikas im Juni/Juli d. J. und die häufigen Starkregen- und Unwetterereignisse der letzten Jahre in Mitteleuropa hängen zusammen: der Kraft des jet stream, der wetterbestimmend auf der Nordhalbkugel ist, nimmt seit Jahren besorgniserregend ab. Das Abschmelzen der Arktis hat damit direkt zu tun. Alle Klimawissenschaftler von Rang auf der Welt sehen darin eine Auswirkung des Klimawandels. Und das soll an Österreichs/ Tirols Grenzen Halt machen? Ja Glückwunsch!

Die Konsequenz für Tirol kann nur sein: Weniger Landschaftsverbrauch, weniger Beton, weniger nahe an Flüssen wohnen, den Flüssen mehr Raum geben, die Wälder schonen und die Almen intakt lassen bzw. stärken, schonenden Tourismus, Erosionsflächen reduzieren, Autos raus aus dem Gebirge, weniger Fleisch fressen (wie überall). Die um die Zukunft Tirols (und Bayerns und der empfindlichen Gebirgsgegenden überall) Besorgten sollten sich zusammensetzen und angepasste Konzepte entwickeln – dann wird Tirol nicht untergehen, sondern sich modern präsentieren können.

In diesem Sinne, Alois, erwarte ich einen zukunftsweisenden Essay, einen Appell für moderne Zukunftsgestaltung, die Etablierung eines “round table Tirol 2100”, was auch immer. Dann könntest du zugleich vielleicht auch dein Problem lösen, dass das Goldene Dachl üblicherweise von den “falschen” Touristen bestaunt wird. Die wissen nach deiner Meinung angeblich ja nicht, dass die Schindeln nicht aus purem Gold sind (Zitat aus deinem Buch “Sehnsucht Meer” zusammen mit Erich Hörtnagl).

Ich habe nicht verstanden, was daraus für eine Konsequenz zu ziehen ist. Sollen sie wegbleiben und ihre Bildung erst einmal auf Vordermann bringen, bis sie würdig sind, nach Tirol zu kommen? (Armes Tirol – solange wird der Lebensstandard sinken!) Oder sollen sie kommen dürfen, um euren Wohlstand hochzuhalten? Nein, du sagst doch: “Warum kommen sie in unser Land, wenn sie nicht einmal bemerken, wenn es sich mit all seiner Schönheit und Musikalität und der ganzen architektonischen Pracht einer barocken Residenz vor ihnen ausbreitet?” Deine gespaltene Haltung müsstest du noch überprüfen.

Nun gut Alois, bleib negativ (Corona), ansonsten positiv,
es grüßt aus dem Norden
Jochen Klönne

Jochen Klönne, geb. 1950,  wohnt in Essen, Nordrhein-Westfalen, war die längste Zeit des Berufslebens in der Energiewirtschaft (deutscher Steinkohlenbergbau) in verschiedenen Funktionen (u.a. Verkauf und Controlling) tätig. Seit der Pensionierung übt er verschiedene Ehrenämter aus, u.a. in der Flüchtlingshilfe: Betreuung von Kindern, Deutschunterricht für Beginner (“Alphabetisierung”), “Pate” für 2 syrische junge Männer.


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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Klaus Jenewein

    Werter Herr Klönne,
    Sie haben mir die Worte aus meinem Munde gestohlen, und ich danke ihnen dafür!
    Nur in einem irren Sie gewaltig: Das goldene Dachl heißt “Golden Roof“, ein Berg-Gipfel heißt “Top of the Mountain“, eine Feier ist ein Event….
    Ich ersuche Sie hiemit höflichst, Ihre Beiträge dementsprechend hinkünftig und fürderhin dem modernen touristischen Sprachgebrauch anzupassen.

  2. Karlheinz Veit

    Nur ein kleines Beispiel für den Tourismuswahn : Sitzen vor kurzem in einem Cafe in Fügen und direkt gegenüber an der anderen Straßenseite eine gemaltes Panoramaplakat der Skigebiete Hochzillertal und Spieljoch. Auf einer Fläche von ca.1 m² zählte ich 24 Liftanlagen! Vierundzwanzig!!! Made by Schulz….!
    Und immer noch ist es zu wenig….!

  3. peter hofinger

    sehr geehrter herr klönne,
    ich bin unendlich dankbar für ihre entgegnung zum schöpf-artikel über tourismus.
    eigentlich bräuchte es ja laufend richtigstellungen zum dauernden gebelle und gekläffe dieses herrn, und es wundert mich, dass nicht einmal so profunde literaten, wie sie im schöpf-blog vertreten sind, sich zu wort melden, um all dem unsinn einhalt zu gebieten. vielleicht ist es denen – so wie mir – aber auch einfach zu mühsam, gegen ein gedankengebäude anzukämpfen, wo hopfen und malz längst verloren zu sein scheinen, wie man an dem beispiel des unsäglichen tourismus-geschreibsels deutlich ersehen kann.
    umso mehr schätze ich ihren versuch, herr klönne, den herrn des blogs, der ja in dem glauben lebt, immer und überall im recht zu sein und nur seine meinung wäre die einzig wahre und seligmachende, in seine schranken der promenadenkonzertkritiken und der sterbehilfe zu verweisen. ich wünsche mir, dass auch andere blogger ihre stimmen erheben, damit nicht der eindruck entsteht, schöpfs ansicht sei allgemeingut in dieser runde. oder ist es etwa wirklich so, dass beispielsweise elias schneitter, walter klier oder herr bibilothekar schönauer die meinung ihres blog-chefs teilen?
    mit freundlichen grüßen,
    peter hofinger

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