Alois Schöpf
Medien und Marketing in unheiliger Festspiel-Symbiose
Essay
Vor einem Jahr, also zur Salzburger Festspielzeit, analysierte ich unter https://schoepfblog.at/100-jahre-salzburger-festspiele/ das unsägliche und katholisch verzopfte Stück des Mitbegründers der Salzburger Festspiele Hugo von Hofmannsthal.
Die Frage ist wohl müßig, wovon die Salzburger Festspiele und andere hochkulturelle Festivals mehr leben: Vom Distinktionsgewinn derer, die sie auf Steuerkosten gestalten und besuchen dürfen, oder von der intrinsischen Überzeugungskraft der Kunstwerke selbst? Letztere ist bei einem Werk wie „Jedermann“, das Hugo von Hofmannsthal aus den Versatzstücken alter Mysterienspiele zusammengeschustert hat, vollkommen ausgeschlossen.
Nicht einmal in meinen kühnsten Großmachtfantasien wäre ich auf die Idee gekommen, aufgrund meiner Überlegungen irgendeinen oder irgendeine meiner honorigen Kollegen und Kolleginnen dazu zu bewegen, in diesem Jahr darauf zu verzichten, über die Neuinszenierung und Neubesetzung des „Jedermann“ etwas zu schreiben, ja vielleicht sogar die durch staatliche Subventionen hochmögende Festivalleitung aufzufordern, in Zukunft das Stück durch etwas Besseres zu ersetzen. Zumal Markus Hinterhäuser dadurch die Gelegenheit bekommen hätte, zum ersten Mal in seiner Zeit als Festspielintendant nicht nur den gelangweilten Avantgardisten zu mimen, wie er es bisher tat, wenn er dem Publikum von seinen neuesten Spielplanwagnissen mit Zauberflöte, Aida und Tosca berichtete, sondern es endlich auch zu sein.
Naturgemäß ist letzteres von der kulturtouristischen Geldmaschinerie in Salzburg nicht zu erwarten, weshalb es die Neuinszenierung des „Jedermann“, die zur Abwechslung die gerade zeitgeistig aktuelle Transgenderproblematik aufgreift, zwischen Hamburg und Bozen wieder zu zahlreichen Schlagzeilen brachte. Auch die Namen zweier Schauspieler, die als Neubesetzungen von nun an in den beiden Hauptrollen outrieren dürfen, wurden allseits gehypt, was unseren ORF-Moderator Tarek Leitner zur staatstragenden Bemerkung veranlasste, die beiden hätten hiermit den Zenit ihrer Karriere erreicht.
Wie in den letzten 100 Jahren bleibt am Domplatz in Salzburg also alles beim Alten, woraus sich die Frage ergibt, was die tieferen Gründe sind, dass so etwas wie „Jedermann“ regelmäßig zu einem zentralen Event einer Republik hochgelobt wird, die sich stolz als Kulturnation definiert? Und weshalb, wie die meisten Beteiligten bereitwillig einräumen, eine so schlechte, auf krachenden Versen daher holpernde, von dummer katholischer Moral triefende Peinlichkeit von der Heerschar der Kritiker nicht so lange verrissen wird, bis die Kulturgeschäftsleute in Salzburg sie endlich bleiben bzw. fahren lassen?
Die Antwort ist so einfach wie deprimierend: Medien und Marketing sind in Salzburg eine Symbiose eingegangen, die nicht nur im Theater- und Musiktheaterbereich, sondern längst auch bei Büchern, Filmen, Fernsehserien oder Kunstausstellungen ein Maß an Korruption erreicht hat, das in den Augen von immer mehr Konsumenten die journalistische Autorität der Kulturberichterstattung insgesamt ruiniert und auf Jahre hinaus dazu geführt hat, dass Kultur in den Medien eine immer untergeordnetere Rolle spielt und als Plattform gesellschaftlicher Debatten und neuer Ideen abgewirtschaftet hat. Paradigmatisch ist dies am Niedergang der Sendung „kulturMontag“ des ORF zu beobachten.
Wenn nämlich ein so dummes Produkt wie „Jedermann“ eisern als Markenzeichen eines der weltweit bedeutendsten Festivals am Spielplan gehalten wird, ist daraus zwingend der Schluss zu ziehen, dass es den Salzburger Festspielen nicht um irgendwelche inhaltlichen Aussagen zum gegenwärtigen Zustand der Welt geht, sondern dass sie in Wahrheit ihre Aufgabe darin sehen, die Reichen und Schönen, diese oftmals in ihrer Ausformung als Politiker auf Steuerkosten verspäteten Fürsterzbischöfe und Fürsterzbischöfinnen, in Abgrenzung zu den Proleten, die sich bei „Die Schöne und das Biest“, Lehar oder „Woodstock der Blasmusik“ vergnügen, hochsubventioniert mit den süffigen, von jeder Belästigung durch die Gegenwart befreiten Klängen von Händel, Mozart, Strauss, Berlioz und Puccini zu verwöhnen.
Dagegen wäre auch nichts einzuwenden, wenn man nur ehrlich genug wäre, sich auf eigene Kosten zu dieser Mischung aus Distinktionsgewinn und gehobener Unterhaltung inklusive Hauben-Menü und französischen Weines zu bekennen. Dazu ist man aber nicht nur zu geizig, sondern auch zu verlogen: Man möchte den abendlichen Genuss lukullischer Hochkultur vor sich selbst, vor allem jedoch vor dem gemeinen Volk der Steuerzahler zwecks Rechtfertigung für die unverschämten Zuschüsse aus den öffentlichen Haushalten als einen Beitrag zur Rettung der Welt verstanden wissen. Dies wiederum ist nur möglich, wenn man zur Eröffnung Festredner und in der Folge Regisseure und Dirigenten beauftragt, auf der Basis oftmals Jahrhunderte alter Schönklänge im Design ihrer Inszenierungen den Eindruck von Gegenwart herzustellen und durch die fallweise radikale Verhunzung von Stücken, deren Autoren und Komponisten sich nicht mehr wehren können, den Eindruck zu erwecken, das Publikum würde mit den Abgründen der Moderne konfrontiert, während es sich in Wahrheit an einer mit dem Adelstitel „Klassik“ geheiligten Schlagermusik ergötzt. Vor diesem Hintergrund kann das Regietheater generell als eine in Szene gesetzte Selbstberauschung des zeitgeistig hochgerüsteten und vermögenden Spießbürgers definiert werden, der sich, um überhaupt genießen zu können, über seinen Genuss mit dem Anschein des Leidens an der Welt und eines damit verbundenen jesuanischen Erlösungsauftrags hinwegbetrügen muss.
Diesem Zweck und keinem anderen dient das alljährliche Getöse um Neuinszenierungen und die Neubesetzung von Theater- und Opernrollen. Wobei Schauspieler und Sänger es gewohnt sind, da sie Texte gescheiter Autoren wiederzugeben haben, sich selbst für ebenso gescheit zu halten. Insofern besteht ihr Beitrag darin, bei Interviews und Portraitfilmen ihre nach moralischer Belehrung gierende Fangemeinde mit politisch korrektem Geschwätz abzufüttern und dadurch von der Zeitgemäßheit des Uralten und längst Antiquierten zu überzeugen. Neben ihren parlierenden Regisseuren und Dirigenten kommt ihnen also ebenfalls die Aufgabe zu, den Freizeitgenuss des hedonistischen Festspielpublikums mit der moralischen Aureole einer Klimakatastrophen-Freitags-Demo zu umkränzen.
Dass diese Konstellation naturgemäß für die Redakteurinnen und Redakteure der Kulturberichterstattung, ob als Angestellte und als solche in der Redaktion mit beschränktem Ansehen ausgestattet, oder als Angehörige des akademischen Proletariats im Status mies bezahlter Freischaffender, eine ideale kulturökologische Nische bildet, um zumindest einmal im Jahr an der Symbiose Kultur, Marketing und Journalismus mitzuwirken, liegt auf der Hand. Selbst die Schreiberinnen und Schreiber kleinster Blätter und quotenschwächster Kanäle blühen zu Stars auf, wenn sie in ihren Besprechungen durch neckische Anmerkungen ihre Unabhängigkeit und Bildung unter Beweis stellen können und dadurch im narzisstischen Milieu des Theaters in gleicher Weise als bedeutend wahrgenommen werden wie die Stars überregionaler Gazetten und Fernsehstationen, die zumindest am Abend der Aufführung als die wahren und geheimen Regierungschefs ihrer Branche den Zuschauerraum betreten.
Ja, die klügsten aus der Kritikergemeinde verbünden sich bei Premierenfeiern und spätnachts an den Bars ihrer oftmals nicht selbst bezahlten Quartiere mit einer Festspielleitung, die es trotz sorgfältigster Planung niemals in der Hand hat, von den beauftragten Akteuren genau jenes Produkt zu erhalten, dass sie sich gewünscht hätten, weshalb gewissen Vertrauenspersonen in den Medien die strategische überaus wichtige Aufgabe zukommt, durch Kritik am richtigen Ort und gegen die richtigen Leute die Interessen der Intendanz für das nächste Jahr strategisch vorzubereiten.
Wen wundert es daher, dass die über das Jahr hin reichlich bedeutungslosen Damen und Herren der Kultur bei Festspielen ihre eigene, ganz private Festspielzeit erleben. In Anbetracht dieses Genusses ist es verständlich, wenn die Maßstäbe des guten Journalismus, stets hinter den luxuriöseren Fassaden des Scheins das Gute, Wahre und Schöne zu suchen und, sofern es nicht vorgefunden wird, laut danach zu verlangen, für einige Wochen sistiert werden und grundsätzliche Fragen im Hinblick auf die Antiquiertheit von Inhalten, die Unsinnigkeit von Theaterstücken und Librettos, die Relevanz des Gebotenen insgesamt, vor allem jedoch nach dem im Verhältnis zu vielen anderen, interessanteren Projekten flagranten Missbrauch von Steuergeldern pflichtschuldigst ausbleiben.
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