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Literarische Korrespondenz:
Helmuth Schönauer an Christoph Themessl
Betrifft:
Antwort auf "keine Antwort"

Im zweiten Teil des Essays Die Literatur ist tot stellt Christoph Themessl ein berührend utopisches Bild von Literatur vor, das eine ganze Generation in den 1970er und 1980er Jahren erleben durfte. Unter dem biblischen Zitat der Wolf wird beim Lamm liegen haben Autoren – Verleger – Leser damals wie das göttliche Dreieck zueinander gefunden und den Literaturbetrieb als Paradies ausgerufen.

Verleger haben zu dieser Zeit noch das Publikum gemocht und die Autoren hofiert, Leser haben mit den Autoren gesprochen, oder ihr Schicksal beweint, wenn sie schon tot waren. Die Verlage standen in der Mitte der intellektuellen Gesellschaft und versöhnten die lesenden und schreibenden Außenseiter mit sich selbst.

Genau so, wie es Christoph Themessl mit paradiesischen Metaphern beschreibt, ist es gewesen!


Beispiel Suhrkamp

Der Suhrkamp Verlag, vielleicht als Licht gegen das Holocaust-Desaster gegründet, stillte die Fragen einer ganzen Generation mit Allwissenheit. Was nicht in den Suhrkamp-Büchern debattiert wurde, war eben kein Thema. Was Thema war, bestimmte Suhrkamp.

In jedem Studentenkämmerchen stand damals das bunte Suhrkamp-Regal, worin die wesentlichen Schriften aus Soziologie, Germanistik und Philosophie (Hegel-Kunde) aufgereiht waren. Das ABC umfasste die Autoren Adorno, Benjamin, Celan.

Die Welt war letztlich überschaubar, keine Antwort war undenkbar, denn wenn sie schon nicht der Verleger an die Manuskripteinsender gab, dann erschloss sich die Antwort aus den publizierten Werken der Saison.

Der Riss in dieser heilen und heilenden Welt trat auf, als den Verleger Siegfried Unseld ein unkontrollierbarer Hormonstoß traf, der ihn und den Suhrkampverlag aus der Bahn warf. Die Agenden wurden der Geliebten überantwortet, die bisherigen Autoren zum Großteil aus dem Lese-Paradies vertrieben und den Lesern der Stinkefinger sozialistischen Kommerzes gezeigt.


Beispiel Haymon

In Innsbruck wurde 1982 der Haymonverlag gegründet. Im Größenwahn, der Osttirolern eigen ist, sollte nach dem Willen seines Gründers Haymon der Suhrkamp von Tirol werden. (Freilich hat der Verleger mit historisch gebildeter Seele dabei gelacht, wenn man ihm dieses Kompliment um die Ohren schmierte.)

Sein Nachfolger hingegen, naturgemäß Osttiroler, hat den Verlag bald einmal zu Tode geritten, indem er als purer Krawall- und Krimi-Editor aufgetreten ist.
Auch ihm blieb ein schwerer Hormonschub nicht erspart, wonach er den Verlag mit feministischem Lektorat ausstattete, den bisherigen AutorenInnen den Stinkefinger zeigte und die Leserschaft mit Gendern und Triggerwarnungen aus dem Buchstabenparadies vertrieb.


Christoph Themessl hat recht, wenn er einem bestimmten Zweig von Verlegern sakralen Status einräumt. Immerhin sind sie die Gatekeeper einer Lesewelt, worin die rätselhaften Autoren auf ein ebenso rätselhaftes Publikum stoßen. In dieser Welt war es freilich noch eine besondere Pflicht, den Anfragenden eine Antwort zu geben.

Heute allerdings gilt das Bonmot: Wenn es eine Antwort gibt, handelt es sich um KI. Wenn es keine Antwort gibt, ist es Literatur. So wäre also die Unsitte, keine Antwort zu bekommen, Ausdruck von Wertschätzung.

Selig die Autoren, die so verrückt schreiben, dass ihnen niemand eine Antwort geben kann!

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Christoph Themessl

    Lieber Helmuth, danke für diesen Beitrag – Deine Ergänzung und Erweiterung meines „Essays“. Da man in solchen kulturhistorischen Fragen jüngerer Zeit eigentlich fast nur von den eigenen Impressionen ausgehen kann und der Unsicherheitsfaktor relativ groß ist, freut mich die A n t w o r t – zumal von einem fundamental Belesenen und großen Stilisten unserer Sprache – ganz besonders.
    Liebe Grüße Christoph

  2. Helmut Schiestl

    Wie schön war es noch, als wir in den siebziger Jahren literaturhungrig die Taschenbuchabteilungen der großen Innsbrucker Buchhandlungen betraten, Tyrolia oder Wagner’sche, wo die für uns damals gerade noch erschwinglichen Taschenbuchreihen aufgefädelt in den Regalen standen. Die bunten Suhrkamp-Bändchen, die gelbrandigen rororo-aktuell-Büchlein für die politische Weiterbildung, die weißrandigen FISCHER-Taschenbuch- und dtv-Romane, ja all die vielen gedruckten und oft auch mit schönen Umschlägen gebundenen Schätze der Literatur. Egal, ob Klassik oder avantgardistisch-modern, sprachexperimentell, Beatgeneration oder sozial-kritisch, wir waren hungrig auf sie und konnten sie uns leisten!

    Gehen wir heute in eine Buchhandlung, so müssen wir uns erst einmal durch die Vorhallen des Kommerzes, Krimis, Ratgeber-, Freizeitgestaltungs- und Kochliteratur drängen, um uns dann erst zu den Neuerscheinungen durchzuschlagen, wo dann gebundene Ausgabe neben Taschenbuch stehen, von jedem oder jeder Autor/in meistens nur ein Werk, wenn man Glück hat vielleicht zwei, und der Rest muss bestellt werden, wenn er überhaupt noch lieferbar ist. Aber zum Glück gibt’s dann halt ZVAB oder Medimops und wie die diversen Internet-Bücherbörsen alle heißen mögen. Mein Eindruck ist jedenfalls, dass es viel weniger Taschenbücher in den Buchhandlungen gibt als in früheren Zeiten, aber vielleicht täusche ich mich da jetzt auch. Vielleicht wird nicht weniger gedruckt, aber es ist weniger in den Buchhandlungen verfügbar. Möglicherweise ist diese Vermutung aber nur dem Wunsch geschuldet, dass früher alles besser und schöner war.

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