Literarische Korrespondenz:
Andreas Braun an den Autor Philipp Blom
Betrifft:
Lernen Sie Wirtschaft, Herr Moderator!
Zu: ORF Oe1 Sendung Punkt Eins vom 18.10.23. Thema: Kein kurzer Prozess/Wie reif ist die österreichische Demokratie? Gast: Walter Hämmerle, Journalist, ehemaliger Chefredakteur der Wiener Zeitung. Moderation: Philipp Blom
Sehr geehrter Herr Blom!
In Wertschätzung Ihrer Bücher und Moderationen einen kleinen kritischen Zuruf zur gestrigen Punkt eins OE1 Sendung.
In Ihrem Gespräch mit Walter Hämmerle rief ein Hörer an und rekurrierte auf das Missverhältnis unseres Steueraufkommens einerseits im Vergleich zu den Gegenleistungen des Staates andererseits. Sie fielen ihm ins Wort und verwiesen – logisch schwer nachvollziehbar – auf die mannigfachen Segnungen im Sozial-, Schul- und vielen anderen Bereichen.
Es schien, als ob Sie – für mich völlig überraschend – plötzlich einen schweren inhaltlichen Aussetzer gehabt hätten.
In Wahrheit sprach nämlich dieser Hörer – was Walter Hämmerle direkt und indirekt im Laufe der Sendung ja bestätigte – zu Recht das zentrale Problem unseres Staates an: Wir haben kein Einnahmen-, sondern ein massives Ausgaben- sowie Performance/Management-Problem staatlicher Daseinsfürsorge!
Österreich – ähnlich wie Deutschland – schafft sich durch eine exponentiell wachsende, unreflektierte und lähmende Bürokratie selbst ab!
Die Ursachen liegen tief: Man traut dem Menschen nichts mehr zu. Jeder minimiert maximal sein Denk- und Handlungsrisiko! Allenthalben sounding boards, steering comitees, compliance officers – die Verantwortung für Entscheidungen wird mittels cc im Kreis herumgeschickt.
Die Hauptsache: am Abend ist der Computer aufgeräumt! Durch den VfGH wurde der Ermessensspielraum des einzelnen Organwalters auf Null reduziert, daher eine immer weniger administrierbare Gesetzesflut. Vollkaskomentalität substituiert allenthalben individuelle Freiheit und Selbstverantwortung. Öffentliches und teures Recht wird unreflektiert dort neu normiert, wo das Privatrecht ausreichend Rechtsschutz bieten würde.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage. Das Goethe Wort vom Zauberlehrling bewahrheitet sich erschreckend! PR-Menschen ersetzen in der öffentlichen Verwaltung denkfähige Beamte. Die Medien heulen mit und verstehen die Wirkmechanismen staatlichen Managements zu wenig.
Leider weiß ich als langjähriger Verwaltungs- und Verfassungsjurist, jahrzehntelang führender Manager in der Privatwirtschaft und nebenbei sogar 9 Jahre lang ORF Stiftungsrat, wovon ich spreche.
Der Vorarlberger Hämmerle kennt diese Problematik. Die Alemannen sind ein wenig pragmatischer, ökonomischer und demokratiereifer: in der Schweiz kümmern sich ca. 15 Beamte um 100 Bürger, in Österreich über 30!
So schaut‘s aus, lieber Herr Blom, in unserem schönen Land Österreich, wo vieles zwar als hoffnungslos, keinesfalls aber als ernst wahrgenommen wird!
Liebe Grüsse aus Tirol!
Zu Philipp Blom: https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Blom
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lieber andreas braun,
ich habe diese diskussion nicht gesehen und gehört. bin natürlich auch gegen unnötige aufblähung des staates in jeglicher form. schlussfolgere zu einem teil ihrer aussagen jedoch nun – für mich ist das der grundtenor, vielleicht ist es auch nur meine auslegung ihres textes – sie finden wie manch andere, der staat sollte bei den sozialausgaben sparen. dazu sage ich, ohne ihre verdienste für die allgemeinheit schmälern zu wollen: wenn man wie sie und alle, die auf mehr privat als staat plädieren, eine volle hose hat, ist gut stinken. wahrscheinlich haben sie auf grund ihrer tüchtigkeit und der hohen dotation ihrer dienste in diversen berufen oder aufsichtsratsposten nicht bemerkt, dass auch sie oft schon von sozialleistungen profitiert haben. umso mehr wären sie froh um jene, die uns „armutschkerln“ der staat – noch – bietet. bei uns reicht es zumeist nicht für zusätzliche private absicherungen. natürlich sind leistung und selbstmanagement immer gefragt, werden auch überall gefordert, selbst von beamten, die für den vollzug politischer entscheidungen usw. nötig sind. doch gebe ich zu, beamte in jeder form haben einige privilegien, von denen die privatbediensteten nur träumen können, siehe z. b. ihre krankenkasse. sie scheinen auch wesentlich besser vor kündigung geschützt als das gemeine fußvolk. hoffen wir also, dass staatsdiener und -dienerinnen ebenso effizient agieren wie ganz „normale“ arbeiter und angestellte, also ihr geld und diese vorteile wert sind.