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Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an Dr. Andreas Töchterle
Betrifft:
Die Freude am Musizieren allein
ist nicht förderungswürdig.
Eine Antwort auf den Leserbrief
in der Tiroler Tageszeitung vom 06.05.2023

Mit beredten Worten widerspricht Dr. Andreas Töchterle aus Telfes, wo er als Kapellmeister tätig ist, meiner These, wonach umso mehr internationaler Ramsch gespielt wird, je kleiner das Kaff ist, aus dem die Musikkapelle kommt. Dass er sein Statement, in dem er mir eine Fehlinterpretation der Blasmusikgeschichte vorwirft, mit seinem akademischen Titel als Geologe unterschreibt, soll wohl darüber hinwegtäuschen, dass er als Kapellmeister, zumindest laut Homepage seines Vereins, keine entsprechende Ausbildung vorzuweisen hat.

Aber ganz abgesehen von dieser staatlich verbrieften Qualifikation als Blasorchesterleiter, mit der ich als einzigen Titel meinen bürgerlichen Namen schmücken darf, möchte ich auf das Standardwerk zur Österreichischen Blasmusikgeschichte Das ist Österreichs Militärmusik von Eugen Brixel und, bezogen auf Tirol, auf Erich Eggs Blasmusik in Tirol. Eine Darstellung der Blasmusikkapellen aus Nord-, Ost- und Südtirol verweisen.

Aus beiden Werken geht hervor, dass es das Bestreben der auch dörflichen Musikkapellen im 19. Jahrhundert war, ausgehend von den Militärmusikkapellen der Garnisonen, in denen sehr viele spätere Kapellmeister als Musiker ihre Ausbildung genossen, die Werke der hohen Kunst, wie sie in den Opernhäusern, Konzertsälen und bei den Bällen der Großstädte erklangen, angereichert durch eigene Werke von Kapellmeistern, die sich an den ästhetischen Grundsätzen der großen Vorbilder ausrichteten, in Transkriptionen oder als Bläserwerke bei ihren Konzerten aufzuführen.

Auch das Alt-Archiv der k.u.k. Postmusik Tirol, die ich drei Jahre lang leitete und das vor Jahren der Musiksammlung des Landesmuseums Ferdinandeum übergeben wurde, enthält neben den Kompositionen kreativer Postmusikanten wie Engelbert Anker oder Gottlieb Weißbacher fast ausschließlich Transkriptionen aus dem Bereich der klassischen Musikliteratur, was durchaus verständlich ist, wenn man bedenkt, dass in einer Zeit, in der es noch keine Tonträger gab, die Weitergabe der Musikwerke vor allem durch Klavierauszüge, am Land aber eben auch durch die Musikkapellen erfolgte.

Andreas Töchterle verwendet nun die Armut und die bildungsmäßige Zurückgebliebenheit vieler Stubaier Gemeinden im 19. Jahrhundert, aber auch das Bemühen der Kirche, die musikalischen Betätigungen der musikbegeisterten Gemeindemitglieder auf den sakralen Bereich einzuengen, um ja nicht via Musik im säkularen Bereich allzu viel Lebensfreude aufkommen zu lassen, als Argument dafür, ich hätte die Entwicklung der Blasmusik falsch dargestellt. Sie habe sich in Wahrheit vor allem auf Kirchenmusik, Feldmessen, Prozessionen und die musikalische Begleitung von Schützenkompanien beschränkt. Immerhin fügt er hinzu, dass sich die dörflichen Musikkapellen, sofern sie Armut und geistige Unterdrückung hinter sich lassen konnten, sehr wohl Werken der Konzertmusik zugewandt haben, wie sie von den Militärmusikkapellen der damaligen Zeit gespielt wurden. Hier liege ich also mit meiner Sicht der Dinge plötzlich doch wieder richtig.

Grund für seinen dialektischen Bockssprung, der im Satz gipfelt, meine These, dass die heimischen Blasmusikkapellen viel zu viel schlechte und triviale Literatur aus internationalen Trivialproduktionen präsentieren, richte sich von selbst, was noch nie ein überzeugendes Argument abgab, dürfte darin liegen, dass er als Kapellmeister mit seiner eigenen Kapelle genau jenen Ramsch spielt, den ich angreife.

Wenn er sich dann noch als Dorf-Maestro selbst ans Schlagzeug setzt, um ein Zeltfestpublikum zu begeistern, und in seinem Leserbrief vermerkt, dass auch Stücke für Blasmusik der österreichischen Musikgeschichte aus den Programmen nicht wegzudenken seien, ist der entscheidende Punkt erreicht, um den eine Debatte kreist, die weder in diesem Blog, noch in der Tiroler Tageszeitung, sondern seit Jahren schon in den verschlafenen Funktionärskreisen der Verbände hätte durchgeführt werden sollen.

Statt die deprimierenden Programme ihrer Mitgliedskapellen zu kritisieren, geben sich unsre Dachverbandsfunktionäre nämlich wider besseres Wissen damit zufrieden, in die These Töchterles miteinzustimmen, dass das Erzielen von Verständnis für die eigene musikalische Vergangenheit lediglich ein willkommener Nebeneffekt, das Hauptziel eines Musikvereins jedoch darin bestehen müsse, Freude am gemeinsamen Musizieren beim Proben und in der Aufführung zu erfahren.

Nicht hinzugefügt ist dieser Behauptung der Umstand, dass, um solche Freude aufkommen zu lassen, die trivialen, an der kommerziellen Unterhaltungsmusik orientierten Musikwünsche der immer jüngeren Musikerinnen und Musiker, da sich zunehmend Erwachsene ab dem 24. Lebensjahr mit Grausen vom Verein abwenden, von einem Kapellmeister zu erfüllen sind, der seine Aufgabe nicht darin sieht, zur Kunstmusik hinzuführen, sondern im Verein beliebt zu sein. Dies führt im Endeffekt genau zu jener Karikatur einer Volkskultur, bei der ein durch Tracht sich als unverwechselbar definierendes Volk nur noch international verwechselbaren Musikmüll spielt, und das meistens auch noch sehr mäßig.

Hier wird also eine durch Armut und geistige Unterdrückung bedingte Kulturlosigkeit der Vergangenheit zur Begründung für eine Kulturlosigkeit der Gegenwart genommen, die trotz gesellschaftlichen Reichtums und einer hervorragenden Ausbildung durch Musikschulen und Konservatorien zugunsten des Kampfes um das niedrigste mögliche Niveau ideologisch durch den Begriff Freude geheiligt wird.

Die seit der bürgerlichen Revolution errungene Vereinsfreiheit muss natürlich respektiert werden. Wenn Vereine jedoch die Freude an der Durchführung ihres Vereinsziels zu ihrer zentralen Aufgabe erheben, und nicht die qualitativ immer höherwertigere Erreichung dieses Vereinsziels selbst, erübrigt sich jegliche Subventionswürdigkeit von Seiten des Staates, da in diesem Fall auch jeder Stammtisch und jede Kartenrunde mit eigens aus öffentlichen Geldern gebauten Wirtshäusern, jeder Yoga-Verein mit eigens aus öffentlichen Geldern erbauten Meditationsräumen und jeder Fliegenfischer-Club mit eigens für sie angelegten Flussläufen bedient werden müssten.

Musikvereine, deren Ziel es nicht in erster Linie ist, Musikerinnen und Musiker durch aktives Musizieren zur Kunstmusik und zu hochwertiger Unterhaltungsmusik hinzuführen, dabei ihren Geschmack zu bilden und ein elementares Verständnis für die eigene Vergangenheit, die eigene Kultur, die eigene Identität und damit verbunden einen hohen Respekt vor der Andersartigkeit anderer Kulturen und Identitäten zu entwickeln, sind nicht würdig, mit von den Steuerzahlern meist mühsam erarbeitetem Geld unterstützt zu werden.

Dass unsere immer mehr diesen grundsätzlichen Auftrag ignorierenden Blasmusikkapellen sehr wohl in einem Ausmaß unterstützt werden, wie es der Bevölkerung eigentlich nicht richtig bewusst ist, ergibt sich durch die Verteilung der Geldmittel auf Gemeinde, verschiedene Ressorts der Landesverwaltung und Dachverbände, umfasst jedoch den Bau von Musikschulen ebenso wie oftmals geradezu luxuriöser Probelokale, umfasst meist ungenutzte Musikpavillons bis hin zu Subventionen für den Ankauf von Instrumenten für Musiker, die mit dem SUV zur Probe kommen, und den Ankauf von Trachten, die eine Identität vortäuschen, die künstlerisch nicht eingelöst wird.

Nicht zu reden von einer Kapellmeisterausbildung, in deren Zentrum das Fuchteln mit dem Staberl steht, jenes unumgängliche musiksoziologische und musikhistorische Wissen jedoch nicht gelehrt wird, das den führenden Persönlichkeiten der Vereine ermöglichen würde, zu wissen, wo sie kulturell hin gehören.

Mir wird immer wieder vorgeworfen, ich würde das Heil in der Vergangenheit suchen, was insofern grotesk ist, als auch den Wiener Philharmonikern niemand vorwirft, dass sie vor allem Beethoven, Brahms und Gustav Mahler spielen. Wie auch immer die Programme unserer Musikkapellen zusammengestellt sein mögen, das Problem lässt sich zuletzt doch auf einen einfachen Grundsatz reduzieren:

Man sollte aus der unendlichen Vielfalt von Musik nur Meisterwerke auswählen, die es wert sind, dass sie genau einstudiert und einem Publikum vorgeführt werden. Das Argument, dass es eben eine reine Geschmacksfrage sei, was als Meisterwerk eingestuft wird oder nicht, ist insofern nicht stichhaltig, als diese Frage von jenen, die über genügend Hörerfahrung vor dem Hintergrund der klassischen Musik verfügen, ziemlich genau beantwortet werden kann. Zur Qualifikation eines Kapellmeisters gehört eben mehr als das Auswendiglernen des Quintenzirkels, es gehört in allererster Linie dazu ein ausgebildeter Geschmack, mit dem unterschieden werden kann, was gute und was schlechte Literatur ist.


Betreff: Apropos von Alois Schöpf am 29.04.2023
Erschienen in der Tiroler Tageszeitung vom 06.05.2023

Alois Schöpf stellt die historische Entwicklung der Blasmusik in unserer Region unrichtig dar und zieht nicht nur deshalb die falschen Schlüsse. Die Aufgabe der früheren Blasmusiker in den Gemeinden war, anders als bei der klassischen Harmoniemusik, nie die Verbreitung von Musik für Sinfonie- und Kammerorchester. Dazu waren die kleinen Amateurkapellen der damaligen Zeit gar nicht in der Lage. Arrangements von Stücken für Orchester mit Streichern stellen auch moderne, gut besetzte Blasorchester vor große Herausforderungen. Aus den Archiven der Musikkapellen lässt sich vielmehr ableiten, dass die Blasmusiker des 18. und 19. Jhs. in den Gemeinden Kirchenmusik machten. Im Zuge des 19. Jhs. bildeten sich daraus kleine Formationen, welche bei Feldmessen und Prozessionen spielten. Mit wachsender Besetzung konnten dann auch einfache Stücke der Militärkapellen gespielt werden, und das Programm erweiterte sich um Konzert-, Unterhaltungs- und Volksmusik. In Tirol war auch die Begleitung der Schützenkompanien mit Marschmusik ein wesentliches Element.
Der Ausdruck „internationaler Ramsch“ disqualifiziert sich von selbst. Dennoch sei betont, dass internationale Literatur definitiv als Bereicherung des möglichen Repertoires anzusehen ist. Die Auswahl der hinsichtlich Qualität und Anlass geeigneten Stücke ist natürlich von entscheidender Bedeutung. Neben modernen Originalkompositionen und gelungenen Arrangements sind auch die Stücke für Blasmusik der österreichischen Musikgeschichte daraus nicht wegzudenken.
Und zuletzt der aus meiner Sicht wichtigste Punkt – der laut Alois Schöpf nicht erfüllte Bildungsauftrag der unterschiedlichen Beteiligten: Dieser ist für Ausbildungsstätten und Blasmusikverband wichtig und wird auch wahrgenommen. Auf Ebene der Musikkapellen ist das Erzielen von Verständnis für die eigene musikalische Vergangenheit nur ein willkommener Nebeneffekt. Die Musik braucht keinen Zweck. Sie ist sich selbst genug. Es ist die Freude am gemeinsamen Musizieren beim Proben und in der Aufführung, welche die Kernmotivation darstellen muss.

Dr. Andreas Töchterle
Kapellmeister der Mk Telfes im Stubai

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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