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Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an die Freunde und Freundinnen
der gehobenen Bläsermusik
Betrifft:
Die Innsbrucker Promenadenkonzerte
als Kontrapunkt
zur Verwoodstockung der österreichischen Blasmusikszene

Seit der ORF vom offenbar extrem finanzstarken Woodstock der Blasmusik zwecks Werbung mehr oder weniger gratis das fertige Sendematerial zur Verfügung gestellt bekommt und die Blasmusik somit durch stundenlange Übertragungen im Staatsfernsehen endgültig als ein dereinst schon von den russischen Oktoberrevolutionären erträumter Proletkult (russisch Пролеткульт) enddefiniert wird, dürfen viele, zu viele in der heimischen Szene sich glücklich schätzen, es geschafft zu haben. Außer jener Minderheit natürlich, die ihren Geschmack an den Klassikern, welcher Richtung auch immer, geschult hat und weiß, dass die traditionelle altösterreichische Unterhaltungs- und die daraus erwachsene österreichische Blasmusik ein Weltkulturerbe darstellt, um das uns, wie die Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker alljährlich beweisen, die halbe Welt beneidet.

Innsbrucker Promenadenkonzerte Innsbrucker Promenadenkonzerte

Über die Verwoodstockung ihres Hobbys freuen dürfen sich vor allem die Musiker und Musikerinnen selbst, die ihr rurales Virtuosentum nunmehr im Böhmischen Traum des Norbert Gälle verwirklicht sehen. Freuen dürfen sich aber auch die Kapellmeister, die endlich der Verpflichtung enthoben sind, zur Behebung ihrer meist erschreckenden musikgeschichtlichen Unbildung die Konzerte des heimischen Symphonieorchesters zu besuchen. Freuen darf sich aber auch die gehobene Riege der Blasmusikfunktionäre, welche die Genugtuung über ihre gewählte Bedeutung jetzt nicht mehr hinter dem Wortgeklingel von Kunst und Kultur verstecken muss, sondern ihre Eitelkeit wertfrei ausleben kann. Und freuen dürfen sich die Politiker, die ihre zeltfestliche Anbiederung an das gemeine Volk authentisch nunmehr auch durch gemeine Musik gewürdigt sehen. Vergessen werden darf in diesem Zusammenhang jedoch ebenso wenig die Kollegenschaft von der Kulturjournaille, die sich trotz zunehmender medialer Minderbedeutung ihre Selbsterhöhung, zumindest an Premierenabenden zur gesellschaftlichen Elite zu gehören, nicht mehr durch die Niederschwelligkeit einer Veranstaltungsreihe, wie es die Innsbrucker Promenadenkonzerte sind, infrage stellen lassen muss. Für sie verschwindet die Blasmusik dorthin, wohin sie zur Aufrechterhaltung der sozialen Fallhöhe immer schon gehört hat: in die Niederungen der Unterschicht!

Innsbrucker Promenadenkonzerte

Rechtzeitig setzte Bernhard Schlögl, der junge Intendant der Innsbrucker Promenadenkonzerte und Dirigent des von ihm gegründeten exzellenten Sinfonischen Blasorchesters Tirol, als unübersehbaren Kontrapunkt zur Verwoodstockung der geblasenen Musikkultur im kommenden Juli noch mehr wie früher den Akzent auf Internationalität sowohl im Hinblick auf die Qualität der Orchester, als auch im Hinblick auf eine umfassende Darstellung der Orchesterformen.  So wird von der kammermusikalischen Harmoniemusik über verschieden besetzte Brass-Ensembles und bis hin zum großen Blasorchester und zur Bigband Blasmusik, also geblasene Musik in ihrer ursprünglichsten Bedeutung, bei insgesamt 29 Konzerten inklusive einiger klassischer Sinfonieorchester aufgeführt. Dass diese Kehrtwendung, auch unter Einbeziehung heimischer Formationen, sofern sie den professionellen Leistungsanforderungen gerecht werden, in gleicher Weise, in der die Verwoodstockung von vielen begrüßt wird, spiegelbildlich auch bei vielen auf massive Ablehnung stößt, ist nicht verwunderlich.

Das Ziel der Innsbrucker Promenadenkonzerte, europaweit ein Zentrum für Bläsermusik zu sein, hat nämlich schon bisher dazu geführt, dass im Gegensatz zum Ansturm Musikbegeisterter deprimierend wenige aktive Musikerinnen und Musiker, Dirigenten und Funktionäre aus der Blasmusikszene das Angebot wahrnahmen, im Innenhof der kaiserlichen Hofburg eine vergnügliche Chance zu sehen, um in Sachen Orchesterbesetzung, Dramaturgie, Stückwahl, Dirigiertechnik und Interpretation dazuzulernen. In gleicher Weise, in der im immer noch aufklärungsfeindlichen Tirol klare Gedanken und konsistente Argumentationen als persönliche Beleidigungen aufgefasst werden, scheinen auch, etwa ganz im Gegensatz zum Sport, künstlerische Höchstleistungen auf Gebieten, in denen man selbst als Amateur tätig ist, als musikalische Ruhestörung geschmacksbefreiten Heimatgefühls empfunden zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn die Solidarität mit einer Veranstaltung, die konsequent aus einer gewachsenen Tradition entstanden ist, nicht in gleicher Weise vorhanden ist, wie es zum Beispiel in Salzburg der Fall ist, wo jeder zweite Bürger der Stadt, auch wenn er kommunistisch wählt, sich im Glanz der Salzburger Festspiele als kleiner Mozart oder reicher Jedermann empfindet, eine Art Selbstüberhebung, die für den Außenstehenden zuweilen anstrengend werden kann. Von einem solchen Stolz sind die Innsbrucker Promenadenkonzerte, die sich langfristig das Ziel gesetzt haben, gleichsam Salzburger Festspiele der Bläsermusik zu werden, noch weit entfernt.

Innsbrucker Promenadenkonzerte

Das ist umso bedauerlicher, als auch der heurige Spielplan abseits aller Eifersüchteleien und Abgrenzungen eine Fülle von Konzerten bietet, die zu einem solchen Preis, in solch einem Ambiente, in solcher Dichte, in solch zentraler urbaner Lage in ganz Mitteleuropa nirgends angeboten wird. Ob die Bläser der Mailänder Scala Harmoniemusik präsentieren, die Bläser der Wiener und Berliner Philharmoniker Blechbläserklänge, eines der besten Blasorchester der Welt, La Banda Municipal aus Barcelona, spanische Musik, die Münchner Symphoniker einen Opernabend gestalten, das Regimentsorchester Wien zünftig Wienerisches oder die legendäre Thilo Wolf Bigband mit Sara de Blue und Jack Marsina klassischen Jazz anbieten: Wer Spezielles liebt, wird sich online nur an gewissen Abenden einbuchen. Wer der Ansicht ist, dass es, in welcher Präsentationsform auch immer, nur zwei Arten von Musik gibt, gute und schlechte, der wird ab 5. Juli als Abonnent alle Konzerte besuchen. Dabei kann er davon ausgehen, dass die nunmehr schon seit Jahrzehnten bewährte Dramaturgie des Verführens – Forderns – und Versöhnens immer noch Gültigkeit besitzt und, sofern dies vom Genre her möglich ist, der Werkkanon der altösterreichischen Unterhaltungs- und Bläsermusik unverzichtbarer Bestandteil der Programme bleibt.

Das Mahl ist bereitet. Möge auch der Wettergott ein Einsehen haben und jeden Abend am ersten Pult mitspielen!

Viel Freude wünscht Euch
Alois Schöpf, Ehrenpräsident der Innsbrucker Promenadenkonzerte

Zur Buchung: https://www.promenadenkonzerte.at/de/programm-tickets/programm-tickets/8-0.html

Bildnachweis: https://www.promenadenkonzerte.at/de/impressionen/impressionen/19-0.html


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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Gerald Embacher

    Im über andere blöd daherreden, und andere als minderwertig hinstellen war der Autor schon immer gut. Ich nehme mal an, dass es dabei eher um Neid seinerseits geht. Blasmusik hat viele Facetten und Stilrichtungen, die jede für sich auch ihre Berechtigung und ihr Zielpublikum haben. Freunde der böhmisch- mährischen Musik per se als Proleten hinzustellen und symphonische Blasmusik hinaufzujubeln, obwohl es gerade in dieser Richtung viel minderwertigen musikalischen Müll gibt, zeugt von einer gehörigen Portion musikalischen Unwissens. Vielleicht hat sich der Autor auch deshalb nie lange als Kapellmeister gehalten bzw. Erfolg gehabt. Es kommt immer noch darauf an, wie man etwas spielt, und nicht was man spielt, und ob das aufgeführte Werk zur Veranstaltung passt! Ich gratuliere den Innsbrucker Promenadenkonzerten und noch mehr gratuliere ich dem Woodstock der Blasmusik, das es geschafft hat, unsere Blasmusik auch medial hervorragend in Szene zu setzen!

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