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Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an H.W. Valerian
Betrifft:
Die Reichen und die Einkommensteuer

https://schoepfblog.at/h-w-valerian-die-reichen-und-die-einkommenssteuer-notizen/

Geschätzter Kollege Valerian!

Am Anfang deiner Überlegungen wunderst du dich, warum „ausgerechnet“ der deutsche Kabarettist Dieter Nuhr jüngst eine Lanze für die Reichen gebrochen habe. Hast du vergessen, dass es die Aufgabe eines guten Kabarettisten ist, satirisch gegen allgemein akklamierte Klischees vorzugehen, von denen das zentrale Dogma „die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer“ längst zum Erkennungszeichen all jener geworden ist, die sich selbstzufrieden auf der richtigen Seite der Geschichte wähnen?

Nun werde ich weder von einem Reichen oder Superreichen finanziert bzw. korrumpiert, wie du es ja so ganz nebenbei andeutungsweise mit der Bemerkung „Dieter Nuhr wird schon wissen, warum er solche Dinge von sich gibt“ dem Kabarettisten unterstellst. Auch mein Blog wartet seit Monaten vergeblich auf die Großzügigkeit eines Superreichen, der mich in die Lage versetzen würde, den Autoren, darunter auch dir, Honorare zu bezahlen. Ich habe also nicht den geringsten Anlass, mich irgendwelchen Millionären und Oligarchen anzubiedern.

Allerdings ärgere ich mich und ich reagiere allergisch, wenn Dinge, die sehr kompliziert sind, polemisch vereinfacht werden, um entweder die eigene edle Gesinnung spazieren zu führen oder auf hochintellektuelle Art und Weise einen Neidkomplex auszuleben.

Dein erstes Argument im Hinblick auf die österreichische Steuerpolitik bezieht sich auf die Umsatzsteuer, die alle in gleicher Weise trifft und daher für jene, die über ein geringes Einkommen verfügen, schwerer ins Gewicht fällt als für jene, die bei ihren Ausgaben nicht sonderlich nachrechnen müssen.

Daraus den Schluss zu ziehen, „dass die Reichen und Superreichen auch super viel zur Umsatzsteuer beitragen, dieses Argument habe ich noch nie gehört. …. Sowas zu behaupten, ist bisher nicht einmal der Wirtschaftspropaganda eingefallen“, ist allerdings ziemlich gewagt. Das Gegenteil trifft nämlich zu. Begüterte konsumieren, sofern sie nicht Molière´sche Geizhälse sind, aufgrund ihres aufwändigeren Lebensstils und aufgrund ihres größeren frei verfügbaren Einkommens pro Kopf wesentlich mehr. Hier wird ein soziales Argument, inwieweit eine Umsatzsteuer, die alle gleich trifft, gerecht ist, mit dem volkswirtschaftlichen Faktum verwechselt, dass sogenannte Reiche teurere Autos fahren, über größere Wohnungen verfügen, aufwändigere Reisen machen, kurz und gut: mehr Geld ausgeben und daher mehr Umsatzsteuer bezahlen.

Endgültig unfair wird deine Argumentation, wenn du beklagst, dass die Reichen und Superreichen angeblich über die Einkommensteuer mit 3,8 Milliarden zum Budget beitragen, wohingegen die unselbstständig Erwerbstätigen 29,6 Milliarden an den Staat abzuführen haben. Statt dich über dieses Missverhältnis lautstark zu empören, hättest du fairerweise hinzufügen müssen, dass ca. 700.000 Staatsbürgern, welche Einkommensteuer zu bezahlen haben, 7 Millionen unselbstständig Erwerbstätige gegenüberstehen, bezogen auf den einzelnen Staatsbürger damit im Schnitt jene, welche Einkommenssteuer bezahlen, mehr zum Budget beitragen als jene, welche Lohnsteuerabgaben zu leisten haben.

Deine Aussage „wenn‘s nicht zum Kotzen wär, könnte man drüber lachen“ solltest du also wohl eher auf deine fragwürdige Argumentationsweise beziehen, die auch dann noch verfehlt bleibt, wenn man von den ca. 7 Millionen Lohnsteuerpflichtigen 2.450.000 Pensionistinnen und Pensionisten abzieht und lediglich die 4,5 Millionen in aufrechten Arbeitsverhältnissen stehenden Staatsbürger einberechnet.

Bis zu diesem Punkt hast du ja deinen Brechreiz vor allem auf unser Heimatland Österreich bezogen. Da dir im selbigen offenbar brauchbare Feindbilder abgehen, übersiedelst du, auch in diesem Punkt dem Zeitgeist verpflichtet, in das Zentrum des bösen neoliberalen Kapitalismus, in die USA, wo, wie du schreibst, gerade der Erfinder des Taxiunternehmens Uber „seine 1. Milliarde gemacht hat“.

Interessant und vielleicht zum Nachdenken anregend ist in diesem Zusammenhang ein Zitat aus dem „Handelsblatt“ vom 31. März 2022:

„Wir sind ganz klar auf dem Weg zur Profitabilität“, sagte Uber-Chef Dara Khosrowshahi im TV-Sender CNBC. Im vergangenen Quartal hatte der Fahrdienst-Vermittler zwar unterm Strich bereits einen Reingewinn von 1,1 Milliarden Dollar verbucht – aber nur durch den Wertzuwachs von Investitionen etwa in den chinesischen Fahrdienst-Vermittler Didi oder den Roboterauto-Entwickler Aurora. Ohne diese Effekte hätte es ein Minus von mehr als 700 Millionen Dollar gegeben.“

Angesichts des global operierenden Unternehmens Uber und der von seinem Erfinder Travis Kalanick deiner Ansicht nach offenbar persönlich eingesteckten Gewinnmilliarde holst du denn auch zum letzten argumentativen Schlag aus, indem du die Frage stellst „kann ein Mensch wirklich so viel Reichtum verdient haben? Bedenken Sie: wenn wir diesem Herrn 90 % zugunsten der Allgemeinheit wegsteuern, dann bleiben ihm immer noch sage und schreibe 100 Millionen“.

Das ist jetzt nur noch Vulgärmarxismus vom moralischen Hochstand eines pragmatisierten Gymnasiallehrers der gehobenen Pensionsklasse herab, der die Flucht ins Ausland antreten muss, um seine Vorurteile bedienen zu können. Ein Blick auf österreichische Verhältnisse, von denen bislang ja immer die Rede war, würde nämlich auf allfällige Neidattacken eine eher beruhigende Wirkung ausüben.

Österreich verfügt über 42 Milliardäre, in den Vereinigten Staaten von Amerika sind es 735. Wie die Existenz von 539 Milliardären im kommunistischen China mit einer marxistischen Sicht auf den Reichtum und die klassenlose Gesellschaft vereinbar ist, bleibt ebenso ein Rätsel wie die Tatsache, dass 166 Milliardäre aus dem angeblich bitterarmen Indien kommen.

Solche Widersprüche beweisen eindrücklich, dass Begriffe wie „die Reichen“ oder „Reichtum“ ungeeignet sind, wirtschaftliches Handeln zu begreifen, dass vielmehr in jedem Einzelfall überprüft werden muss, inwieweit etwaige Milliardäre, Millionäre, aber auch Politiker und Beamte, worunter auch pensionierte Gymnasiallehrer fallen, durch ihre Ideen und Strategien zum Wohl der Menschheit beigetragen haben oder nicht. Es gibt keine durch Vermögen erworbene Kollektivschuld oder Kollektivunschuld!

Gerade die Verhältnisse im sogenannten realen Sozialismus haben drastisch aufgezeigt, – ob dieses Verhalten nun zu einem verklärten Menschenbild passt oder nicht, – dass überall dort, wo den unruhigen, fantasievollen, unternehmerischen und aktiven Bürgern eines Staates Gewinnaussichten entzogen werden und stattdessen für Unbotmäßigkeit – und jede Innovation ist vorerst mit Unbotmäßigkeit verbunden – das Gefängnis oder gar der Gulag drohen, die gesamte Gesellschaft in Stagnation und Armut versinkt.

Um zuletzt einige Beispiele zu erwähnen: Dietrich Mateschitz mit Red Bull gehört zu den mit Abstand reichsten Österreichern. Offenbar ist er ein Marketinggenie, denn es ist ihm gelungen, mit einem für meinen Geschmack ungenießbaren Saft, nach dessen Konsum ich wahrscheinlich drei Nächte lang nicht schlafen könnte, ein großartiges Geschäft zu machen. Mit dem Gewinn aus diesem Geschäft betreibt er unter anderem seinen privaten Fernsehsender Servus TV, ein reines Hobby und ein Zuschussbetrieb, der bei aller Fragwürdigkeit gewisser Sendungen als Konkurrenz zu unserem arroganten und seine eigenen Machtspielchen betreibenden Staatsfunk ORF längst unverzichtbar ist und darüber hinaus allein in Österreich mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigt.

Und ich erinnere an Hans-Peter Haselsteiner, der aus einer kleinen Kärntner Baufirma ein multinationales Unternehmen von europäischer Bedeutung aufgebaut hat und im Altenteil nunmehr mit seiner Stiftung nicht nur das Passionsspielhaus in Erl revitalisierte, sondern daneben ein neues wunderschönes Opernhaus in die Wiese stellte, den Bau einer Kinderoper im Wiener Künstlerhaus mitfinanziert und die Essl-Stiftung, eine der wichtigsten Sammlungen für zeitgenössische Kunst in Österreich, vor dem Ausverkauf rettete. Es ist die Frage, ob diese Leistungen, die Haselsteiner hier dem gesellschaftlichen Wohl zukommen ließ, lediglich als schlechtes Gewissen dafür zu interpretieren sind, dass er, geschätzter Kollege Valerian, deiner These zuneigt, er habe seinen Reichtum nicht verdient.

Ja, selbst jene russischen Oligarchen, die ihre Milliarden wahrscheinlich vor allem ihrer Fähigkeit verdanken, sich zum rechten Zeitpunkt die Wirtschaft eines ganzen Staates unter den Nagel gerissen zu haben, dürfen ein Mindestmaß an Fairness beanspruchen. Durch den Bau ihrer 600-Millionen-€-Yachten haben sie immerhin Tausende von Arbeitsplätzen gesichert. Ganz abgesehen davon ist die Frage nicht nur von akademischem Interesse, ob sie zuletzt ihre Unternehmen im Großen und Ganzen nicht doch mit etwas weniger Korruption und etwas höherer unternehmerischer Kompetenz geleitet haben und leiten als es die kommunistischen Garden der Sowjetzeit getan haben.

Eine generelle Disqualifizierung der Reichen und ein Generalverdacht gegen sie ist eine „rassistische“ Herabwürdigung von Menschen als Gesellschaftsklasse, die in gleicher Weise nicht zu tolerieren ist wie jene, die sich gegen Personen verschiedener Hautfarbe, religiöser und kultureller Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung richtet.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Margit Jordan

    Es ist interessant, wie sich Autoren in einem Blog zum komplexen Thema „Steuerpolitik“ mit gegensätzlichen Standpunkten in die Haare geraten. Mag sein, dass einerseits das Thema zu einfach und populistisch abgehandelt wurde und genaue Recherchen nicht zum Zug kamen, aber andrerseits ist die Steuerpolitik ein wesentliches Standbein der Gerechtigkeit in einer Demokratie und fordert auch zu verschiedenen Standpunkten heraus. Es ist positiv, konträre Sichtweisen in einem Blog zum Ausdruck zu bringen. Nur (nicht Nuhr, der mit ironischen Mitteln arbeitet!) der breiten Öffentlichkeit ist das auseinanderklaffende Zahlenverhältnis zwischen Großverdienern und Kleinverdienern eigentlich einleuchtend: Ein möglichst gerechtes Steuersystem sollte natürlich in einer Demokratie immer wieder den realen Zuständen angepasst werden, nämlich so, dass sich die weniger Verdienenden nicht im Stich gelassen fühlen, denn die besser Verdienenden haben meist eine erfolgreichere Lobby, die ihre Interessen politisch durchsetzen kann.
    Schlagwörter wie Neoliberalismus, Kapitalismus, freier Markt, soziale Marktwirtschaft sind Vehikel,
    die komplizierten Wirtschaftssysteme zu analysieren und zu interpretieren und hinken meist den
    tatsächlichen Verhältnissen hinterher. Die wirtschaftlichen und sozialen Zustände zu Zeiten von
    Marx und Engels sowie die Forderungen, diese zu verbessern, lassen sich nicht mehr eins zu eins in unsere Zeit übertragen, nur muss es auch heute in einer Demokratie erlaubt und erwünscht sein, Fragen nach der Gerechtigkeit unseres Steuersystems zu stellen, wobei allseits befriedigende salomonische Lösungen so schwer zu finden sind wie eine Nadel im Heuhaufen!

  2. Walter Plasil

    Lieber Alois!
    Die Reichen und die Einkommensteuer
    Dein Kommentar zum Text von H.W. Valerian nötigt mich, einige Bemerkungen dazu zu machen.
    Grundsätzlich bin ich auf der Seite Valerians. Eine dogmatische Behauptung, dass, die Reichen immer reicher werden, ist eben keine solche. Das Phänomen von Arm und Reich ist Ausfluss von sehr komplexen Zuständen im weltweiten, kapitalistischen System. Das staatskapitalistische Chinesische rechne ich übrigens auch weitgehend dazu. In der Russischen Föderation liegt die Sache wohl noch etwas komplizierter, aber auch dort existieren eben Formen von Staatskapitalismus, indem der Staat bestimmten Wirtschaftstreibenden anscheinend völlige wirtschaftliche Freiheit gewährt.
    Staatskapitalismus ist im Wirkmechanismus eben auch (eine Form von) Kapitalismus. Zusammen betrachtet, ist es eben Fakt, was in den letzten Jahrzehnten geschehen ist und immer noch weitergeschieht, nämlich die Feststellung, dass es eine unglaubliche Anhäufung von Vermögen bei einer ganz kleinen Gruppe von Menschen gibt.
    Leider ist keiner darunter – wie du zurecht bedauerst- der etwa dem Schöpfblog Förderungen zukommen lässt.
    Ich meine – dabei gehe ich eben von meiner Einstellung aus – dass es kein Ausdruck eines Neidkomplexes ist, wenn ich die genannten Zustände bedauere. Es ist auch kein faires Argument, bei jeder Kritik am Kapitalismus gleich den diskreditierenden Begriff „Vulgämarxismus“ (außerdem: was soll das sein?) zu unterstellen.
    Die wissenschaftlichen Verdienste von Marx sind es, in der vorindustriellen Zeit mit der Methode des historischen Materialismus die wirtschafts – und sozialpolitischen Zustände wissenschaftlich untersucht und beschrieben zu haben. Die von ihm vorgelegten Erkenntnisse bezweifelt doch niemand ernsthaft, nämlich die Feststellung, dass es eine ungleiche Einkommensverteilung und einen Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion durch die Arbeiter und Angestellten und privater Aneignung der Gewinne gibt. Auch die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus hat Marx bereits erkannt.
    Wer also einerseits diese Betrachtungsweise und andererseits das Ergebnis davon akzeptiert, handelt nach marxistischer Analysemethode.
    Der von Marx vorgeschlagene Weg, deswegen die Kapitalisten zu enteignen und die Produktionsmittel in Gemeinschaftseigentum zu überführen, wurde nur von den Kommunisten verfolgt. Übrigens haben sich schon damals deswegen, nicht wegen der marxistischen Analyse, sondern wegen des marxistischen Vorschlags zur Revolution der Arbeiterklasse, die Sozialisten von den Kommunisten getrennt. Was bis heute so geblieben ist.
    Ich habe das Gefühl, lieber Alois, dass, immer wenn bei dir Marx oder marxistisch vorkommt, eine Keule geschwungen wird, die unangemessen ist. Marx soll übrigens immer gesagt haben, er sei kein Marxist. Ich übrigens auch nicht. Aber jede Kritik am bestehenden Wirtschaftssystem ist nicht grundsätzlich marxistisch. Indem du sie aber so bezeichnest, soll sie vermutlich damit abgewertet werden. Das hat aber heutzutage mit Marx gar nichts mehr zu tun. Es sei denn, die Kritiker sind Kommunisten und möchten die Revolution voranbringen. Das sind die Kritiker aber in der Regel nicht. Die Kritik, und damit komme ich zu dem für mich wesentlichen Punkt, läuft ganz woanders hin.
    Einerseits geht es um weitere Betrachtungen darüber, wohin das immer mehr, immer weiter, immer schneller und immer reicher, führen soll. Ich bin nicht allein mit meiner Meinung, dass am globalen (damit auch unserem) kapitalistischen System dringend Systemkorrekturen erfolgen müssen. Da ist vieles weiterzutreiben. Vor allem eine Wertedebatte und eine Zieldiskussion.
    Zur Analyse des aktuellen Zustands ist anzumerken, dass es in unsere Köpfe endlich rein muss: Nämlich die Tatsache, dass es auch andere, abgewandelte, besser passende Wirtschaftssysteme geben muss, als jene, die wir haben.
    Und da ist ein Aspekt der wichtigste: Die neuen Regelungen müssen das Gerechtigkeitsdenken in den Vordergrund stellen. Und damit komme ich wieder zum Anfang zurück.
    Es ist nicht gerecht, dass sich die genannten Wenigen vom Kuchen, den wir alle zusammen gebacken haben, derart unverschämt viel aneignen. Es geht nicht an, dass ein Großteil des agglomerierten Kapitals durch steuerfreie oder Niedrigsteueroasen geschleust wird. Es geht nicht an, dass jemand als Person, durch welche Tätigkeit auch immer, unglaubliche Reichtümer anhäufen kann, die in der Regel nicht der wirklich eigenen Arbeitsleistung, sondern der Ausnützung der Möglichkeiten des Systems zuzuschreiben sind. Kapital in enormen Höhen kann methodisch vervielfacht werden (z.B. Aktienspekulation), ohne dass der Nutznießer dafür arbeitet oder gar merkbare Steuern dafür zahlt. Wer zum Beispiel diese Zustände kritisiert, ist vermutlich weder Marxist, noch von Neid getrieben. Und es stellt sich die Frage: Was genau an den vorgeschriebenen Zuständen soll verteidigt werden?
    Das Argument, dass durch die Konsumation und Ausgaben der Reichen (eine kleine Yacht zum Beispiel) viele Arbeitsplätze entstehen, weswegen sie die moralische Absolution verdienen, vernachlässigt die Gerechtigkeitsaspekte.
    Für mich besteht ein Riesenunterschied darin, ob ein Unternehmer seinen Gewinn in verbesserte Bezahlung seiner Angestellten, für Prämien zum Beispiel verwendet, sie in den Betrieb steckt, oder sich dafür Luxusgüter zur eigenen Erbauung anschafft. Das muss natürlich der Betreffende mit sich selbst ausmachen, wenn er ethische Werte hat, die er auch lebt. Haben das alle Unternehmer?
    Das Geld, das eine Yacht gekostet hat, könnte man auch sozialen Zwecken zukommen lassen. Freilich, das ist nur so dahingesagt. Würde man das im Einzelfall tun, und es wird ja auch da und dort so sein, ohne auf die große Glocke gehängt zu werden, ist deswegen das System nicht geheilt. Das Maß, das zählen soll, ist die Angemessenheit. Aber auch die Allgemeinheit darf hier mitreden.
    Die Höhe von Abgaben und Steuern ist eine, die alle angeht. Auch in der Frage, was ethisch vertretbar, was gerecht ist, müssen wir zu gesellschaftlich allgemein akzeptierten neuen Standards kommen. Die alten haben ausgedient!

  3. Hans Pöham

    Herr Valerian ist meiner Ansicht nach dringend aus der Schusslinie zu nehmen! Denn er hat recht. Die Schere Arm-Reich klafft besorgniserregend auseinander. Einer, der das Unrecht sieht, im Besitz von Möglichkeiten ist, muss dagegen ankämpfen. Auch Sie, Herr Schöpf, hatten ja – wenn ich mich recht entsinne – am Beginn der Pandemie selbst hier auf Ihrem Blog Ideen veröffentlicht, wollten beherzt die Solidarität in Form bringen und machten Werbung dafür, Mittel von den besser Gestellten in Richtung nach unten zu bewegen.
    Man muss, ob des aufgeführten Zahlengezanks zwischen den beiden Meinungspolen Valerian und Schöpf beim Lesen müde werden. Ist es noch nötig zu sagen, welche Milliarde in welches Tor versenkt gehört? Braucht es noch einen zusätzlichen Heim-Schiedsrichter für den Reichtum? Bald wird es ohnehin heißen, Schiri, wir wissen wo dein Auto steht! Die Zeichen der Schiebung sind klar genug.
    Ich konzediere Herrn Valerian übrigens gerne, dass er seinen Wohlstand, den Sie, Herr Schöpf, (die üblichen Regeln der Diskretion auslassend) bei ihm feststellen, der so satt sein soll, dass der Schreiber damit in der Reichtumsfrage in seiner hier veröffentlichen Meinung am Rande des Maulkorbs spaziert, sich bei Ihnen ein gehöriges Meinungsäußerungsdefizit einhandelt, auch dazu verwendet, seine ganz persönlichen monetären Umverteilungen vorzunehmen.
    Die Behauptung, Menschen, die etwas gegen die systemische Abschiebung so großer Teile der Gesellschaft in die Hoffnungslosigkeit unternehmen, seien nur daran interessiert, sich in Selbstzufriedenheit zu wiegen, ist der Schuss mit der Streumunition.
    Beim Denker Alois Schöpf sind wir es gewohnt, dass er den zu reinigenden Boden immer mehrfach aufnimmt. Auf den Knien führt er sein Wischtuch, fährt er erst längs, dann quer, dann diagonal dahin. Wechselt das Wasser und wiederholt das Prozedere. Man kann dann sozusagen vom Boden essen. Man muss sich manchmal nur wundern, dass Sie, Herr Schöpf, in den Räumen der Zwischenmenschlichkeit so die Oberflächlichkeit befallen kann.

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