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Literarische Korrespondenz:
Walter Plasil an Alois Schöpf
Betrifft:
Kommentar zu
"Wider das Axiom vom gierigen Menschen"


Lieber Alois!

Du beginnst deinen Text mit der Kritik daran, dass sich meistens Leute zu Wirtschaftsthemen äußern, die das zwar aufgrund ihrer fachlich einschlägig erworbenen Ausbildung tun, aber dabei den Eindruck erwecken möchten, jenes nur zu tun, um der Menschheit damit quasi einen Dienst zu erweisen. In Wahrheit geschehe das aber nur, um dafür Honorar zu erhalten. Darüber hinaus hast du den Eindruck, dass diese Leute eigentlich von der Wirtschaft nichts verstehen, sondern nur mit eingelernten Begriffen herumwerfen.

Da hat sich bei mir die Frage aufgedrängt, ab wann tut man das und wodurch kommt man in die Lage, nämlich von Wirtschaft etwas zu verstehen? Ich rekurriere dabei gezielt auf die Wörter Wirtschaft und etwas. Was ist die Wirtschaft? Was bedeutet: etwas davon zu verstehen?

Dazu mache ich gedanklich kleine Ausflüge zum Thema.

Im Gegensatz zum alten Slogan der Wirtschaftskammer – Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. – geht es, selbst wenn die Wirtschaft sagt, dass es ihr gutgeht, in Wirklichkeit gar nicht allen gut. Der Slogan, eben auch ein Axiom, ist ein miserabler Versuch, die genuinen Interessen der Standesvertretung (die sie gar nicht verschleiern) zu solchen zu machen, die auch für allen anderen die guten seien.

Die Wirtschaft, das sind wir alle! Ja, könnte man sagen. Wirtschaft ist aber nichts weiter als ein Oberbegriff, der nur aussagt, es handelt sich um ein System von Geben und Nehmen im menschlichen Zusammenleben.

In Bayern kann man mit der Darstellung vom Geben und Nehmen mehr Ver-ständnis als bei uns erwarten. Der echte Bayer, der sitzt ja immerhin jeden Tag drin in ihr, in der Wirtschaft seines Vertrauens, gleich ums Eck. Das ist der Ort, wo er sein Maß Weißbier konsumiert. Der Wirt gibt’s Bier, der Bayer nimmts. Mancher Wirt wird ja schon vormittags aktiv. Er gibt sie in der Wirtschaft aus, und wieder werden sie genommen, die Weißwürste. Der Bayer weiß also, was ihm die Wirtschaft bedeutet. Als Experte – weil gebürtiger Münchner – könnte ich mich gegen entsprechendes Entgelt dazu herablassen, das zur Not sogar zu beweisen. (Dieser Einschub musste einfach sein)

Aber nicht alles zum Thema Wirtschaft ist damit ausgesagt. Wirtschaft ist – nun wieder ernsthaft betrachtet – eben nur ein Obertitel für höchst unterschiedliche Wirtschaftssysteme und Vorgänge. Und diesen Vorgängen liegen Unmengen an Regeln zugrunde. Die Regeln variieren, je nachdem wo man sich örtlich befindet. Und die Lebensrealitäten in den uns fremden Gebieten unterscheiden sich noch dazu erheblich von den unseren.

In Wahrheit gehören wir alle zu jener Mehrheit der Menschen, denen die globalen, überregionalen Zustände und Vorgänge im Wirtschaftsleben nur aus Berichten und Literatur bekannt sind. Geht ja auch gar nicht anders. Vieles, ja das allermeiste, was tagtäglich geschieht auf der Welt und von dem wir nur hören oder lesen, besteht ja nur subjektiv im Vorgestelltwerden, in unserm Kopf. (danke, Schopenhauer)

Wir können es weder nachprüfen und schon gar nicht selbst faktenbasiert begründen. Und selbst erlebt haben wir das alles sowieso nicht. Wenn wir uns also zur Wirtschaft eine Meinung gebildet haben, könnte man sagen, dass wir uns dabei an verschiedenen Axiomen, die sich im Lauf des eigenen Lebens im eigenen Gehirn festgesetzt haben, orientieren. Wir möchten ja nicht vollständig hilf- und orientierungslos durch die Zeiten taumeln. Wir möchten uns in wichtigen Fragen des Daseins mit unseren Ansichten verorten, indem wir uns eben auch weltanschaulich positionieren, obwohl wir keine Wirtschaftswissenschaftler sind.

Damit fangen wir uns laufend selber die Axiome ein, die herumschweben, wie ein grassierender Virus. Alles Aufgenommene dient uns dazu, unsere Weltsicht und unser Bewusstsein auszuformen. Wir können aber nur dort sammeln und aufnehmen, wo wir uns aufhalten. Dort wo wir eben sind und leben. Dazu das Zitat eines bedeutenden Sozial – und Wirtschaftsforschers:

Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.

Versuche, einzelne, als nicht mehr stimmig erkannte Axiome wieder los zu werden – so wir die überhaupt detektieren können – bedingen den Einsatz einer guten Medikation. Das wäre in dem Fall eine satte Portion an intellektueller Anstrengung. Sich selbst zu korrigieren ist eine reife Leistung, die im fortgeschrittenen Alter ein Mehr an Bewunderung dafür verdient.

Ja, Axiome können ganz leicht zu Vorurteilen führen. Sie sind in Wahrheit vielleicht ohnehin das gleiche, aber nicht dasselbe. Wir neigen dazu, aus eigener Erkenntnis, aus selbstgemachten Erfahrungen in unserer kleinen Welt zu schließen, was in der Großen zutrifft, oder nicht. Ist es tatsächlich so, dass es die kleine Welt ist, in der die große ihre Probe hält?

Entsprechen unsere eigenen Axiome einer Wahrheit oder sind sie zumindest der Wahrheit angenähert? Verbreiten wir nicht auch im Alltag ungeplant und locker assertorische Aussagen? Wir müssen uns da in permanenter Lauerstellung üben, denn der Feind lauert um jede Ecke.

Ich wundere mich selbst darüber, dass ich dazu einen Zen-Meister, nämlich Sosan (um 600 u. Ztr.) zitiere, der erklärte:
Ihr braucht die Wahrheit nicht zu suchen, wenn ihr nur keinen vorgefassten Urteilen und Meinungen anhängt!

Nach dieser kleinen Ausschweifung zurück zu deinem Beitrag, denn eigentlich geht es in deinem Essay ja um etwas anders.

Nämlich um die Rolle, die studierte oder selbsternannte Wirtschaftsberater und Sachverständige spielen. Es geht um das Gefühl, das sich bei manchen Unternehmern nach einschlägigen Kommentaren und Ratschlägen einstellt. Sie haben den Eindruck, der oder die erzählen da etwas, aus dem man schließen muss, der oder die haben wirklich keine Ahnung, wovon sie reden.

Nachdem Unternehmer immer aufmerksam nach außen hin sein müssen (sonst sind sie bald keine solchen mehr) kommt ihnen oft vor, dass Wirtschaftsfachleute mit ihren Analysen und Zukunftsvorschlägen vom elfenbeinernen Turm herab dozieren.

Aber ist für wirtschaftliche Fragestellungen wirklich nur der Unternehmer der einzig Sachverständige dafür?

Das Gefühl schleicht sich deswegen ein, weil der Unternehmer Tag für Tag arbeitet, um seine Aufgaben und Ziele zu erreichen, während von der Seite her Wirtschaftsfachleute dazu ihre Kommentare abgeben. Es wird erklärt, was alles falsch läuft und was alles anders gemacht werden muss und was der Unternehmer nicht noch alles tun müsse, um erfolgreich zu sein.

All das strömt ein, während man vielleicht gerade damit beschäftigt ist, mit dem Finanzamt über Zahlungserleichterungen zu verhandeln. Dafür gibt’s keine Tipps von Wirtschaftsfachleuten. Da muss man selber (immerhin mit dem Steuerberater!) durch.

Aus der Riege von sonstigen Beratern für ganz vieles oder gar alles, werden von kritischen Geistern immer wieder jene beschrieben, die aus der sogenannten 68-er Generation stammen. Leider ist das auch zum Synonym für Menschen geworden, die damals an den Unis Radau gemacht haben. Damals, ungewaschen und langhaarig, wie sie waren, seien sie nun, nach zweifelhaften Studienabschlüssen, zu jenen mutiert, die uns heutzutage gegen überhöhtes Honorar weise Ratschläge erteilen möchten, wird moniert.

Liegt hier ein Axiom oder ein saftiges Vorurteil vor?

Ich erinnere mich an diese Zeit als an eine, die nicht wenig zur gesellschaftlichen Umwälzung im Handeln und Denken beigetragen hat. Da war auch sehr viel Positives dabei. Auch das wäre ein weites Feld der Reflexion, das zu anderen Gelegenheiten diskutiert werden könnte.

An der Uni Wien unterrichtete damals der Altnazi und antisemitische Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz. Viele Erinnerungen sind mir an diese Jahre geblieben. Zum Beispiel die Namen jener Autoren, deren Bücher verschlungen wurden. Herbert Marcuse, Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit, in Österreich etwa Silvio Lehmann. (Die beiden Letzteren weilen ja noch unter uns).

Jedenfalls war es eine Zeit, die Diskussion über Kapitalismus und Weltbilder, aber auch um Werte in Permanenz zelebrierte. Ob die Aktivisten aus dieser Zeit heute durchwegs jene Nadelstreif-Berater sind, die vorgeben, zu wissen, was nottut, kann ich nicht sagen. Da müsste man deren Biografien im Einzelnen kennen. Ich kenne keinen von damals, der das tut.

Zurück zum Thema:
Wer ist Arbeitgeber, wer Arbeitnehmer? Eigentlich eine Begriffsverwechslung. Der Beschäftigte gibt dem Unternehmer seine Arbeitsleistung, ist also Arbeitgeber. Der Unternehmer nimmt sie, ist also Arbeitnehmer, und verkauft sie mit Gewinn. Nach dem gleichen Prinzip kauft der Unternehmer Waren und weitere Dienstleistungen. Was genau hat sich daran seit dem Beginn der Industrialisierung geändert? Der Staat und nicht gewinnorientierte Unternehmen waren da ja immer schon ausgenommen davon.

Die Firma, die besteht nahezu ausschließlich aus den in ihr arbeitenden Menschen. Der Rest davon ist nur Papier, sind leere Hallen oder verwaiste Büros und vor sich hin rostende Betriebsmittel. Was genau hat sich da seit Marx geändert?

Ja, wir sind beide Unternehmer. Das vereint uns. Ich rede von Elon Musk und mir. Ich könnte noch Jeff Bezos als dritten oder Mark Zuckerberg als vierten in unsere Gruppe aufnehmen.

Wenn wir also von uns Unternehmern sprechen, dürfte es eine winzige Rolle spielen, was uns sonst noch zur Beschreibung unseres Unternehmertums einfällt. Was ist uns vier gemeinsam? Diese Frage möchte ich offenlassen!

Ich jedenfalls habe mich ein berufliches Leben lang in der österreichischen Wirtschaftswelt des gebäudetechnischen Baugeschehens bewegt. Ich war zunächst angestellt und dann lange selbstständig. Da habe ich das Gefühl, da kenne ich mich aus. Deswegen fühle ich mich dazu ermächtigt, gleich ein Axiom vorzustellen: Bei Planung und Ausführung von Gebäuden gibt es keinen Menschen, keinen Betrieb, der oder die aus moralischen und/oder ethischen Beweggründen auch nur die Hand hebt.

Freilich, wie das persönliche Zusammenwirken der beteiligten Menschen innerhalb und außerhalb der Betriebe, die in dieser Branche arbeiten, abläuft, ist eine andere Sache. Auch die Frage, welche Motivatoren Menschen antreibt, die in der Projektentwicklung von Gebäuden arbeiten (Bauträger) oder jenen, die für Krankenhäuser und Schulen verantwortlich sind, sehen schon wieder etwas anders aus. Aber auch die dort arbeiten Personen sind nicht nur dort, weil es sie ethisch moralisch dort hindrängt.

Ein gewisses Maß an Gier, am Wunsch, an Bestrebung dafür, Anteile an Werten für sich selbst zu ergattern, haben wir wohl alle. Sind wir deswegen alle gierig?
Meine Meinung ist, dass das Axiom, der Mensch benutze seine Rationalität nur zur Nutzenmaximierung, nach wie vor die Umstände grundsätzlich richtig beschreibt.

Worüber man natürlich reden muss, ist, was für den Einzelnen ein Nutzen ist, was nützt ihm? Erfüllt er mit seiner Tätigkeit gar einen gesellschaftlich überlebensnotwendigen Bedarf? Kann der Unternehmer daraus sogar einen ethisch grundgelegten Auftrag ableiten? Könnte man dann nicht gleich von einem ethisch handelnden Unternehmer sprechen? Da wäre dann ja jeder Unternehmer, der anderen etwas verkauft, das der Käufer braucht, ein ethisch handelnder.

Einen Spezialfall stellt immer schon ein Unternehmer dar, dessen Geschäftsmodell eines ist, das mit „Grundbedürfnissen“ von Menschen zu tun hat. Auf diesem Feld des Geschäftemachens ist nach meiner Ansicht höchste Sensibilität angesagt.

Geschäfte mit Nahrung und Wohnen zu betreiben, bedingen die Einsicht, dass sich erstens der Staat völlig zurecht via gesetzlicher Regelbegrenzungen dabei einmischt. Zweitens könnte da der Unternehmer noch am ehesten ethische Grundsätze für sein Vorgehen vorleben. Aber leider sehen wir das selten bis gar nicht. Vermieten wird zum Beispiel immer teurer, obwohl es für den Vermieter nicht immer teurer wird.

Ich meine, dass geht gar nicht. Freilich gibt es Unternehmer, die versuchen, sich im herrschenden System möglichst „menschlich“ zu bewegen. Das ist mir aber als Ausdruck oder Nachweis von „ethisch“ etwas zu wenig. Da müsste ich im Einzelnen dann hinterfragen, wie und worin genau sich diese Menschlichkeit äußert.

Hat es ethische Gründe, wenn ein Unternehmer Gewerkschaften in seinem Betrieb „zulässt“? Macht er das, um zufriedene Beschäftigte zu haben, die ihm weit mehr bringen als unzufriedene, oder, weil ihn ethische Aspekte dazu gebracht haben?
Und Arbeit zu geben, ist seitens des Arbeitgebers keine (ethisch motivierte) Gnade, sondern Unternehmenszweck und Notwendigkeit für das Existieren des Betriebes.
Das Beispiel, wonach schon eine unterlassene Steuerhinterziehung eine „ethische“ Unternehmergesinnung ausdrückt, sollten wir noch diskutieren.

Sind Unternehmer rücksichtslose Ausbeuter? Na ja, das System, das wir haben, lässt das ja zu.

Jeff Bezos lächelt uns aus der Ferne milde zu (bei Amazon Amerika gibt’s nicht mal Gewerkschaften! Ausnahme: Eine einzige Halle in New York). Na und, sagt Jeff, was möchte man damit ausdrücken? Wenn ihr das kritisiert, dann ändert doch die Regeln! Und was soll dann kommen? Anstatt des rücksichtslosen Ausbeuters der rücksichtsvolle Ausbeuter?

Worum geht’s dann eigentlich?

Am Ende bleibt eine ganz große Frage, die sich übergeordnet für all das wirtschaftliche Treiben stellt. Läuft da alles „gerecht“ ab, oder nicht. Gibt es im System Kapitalismus ein ausreichendes Maß an Gerechtigkeit; gibt es in der Praxis für die Teilhabenden Gerechtigkeit? Selbst der wohlmeinendste Kapitalist kann nicht abstreiten, dass die kapitalistische Welt ein katastrophales Bild von unge-rechten Zuständen bietet. Das Ausmaß an Ungerechtigkeit differiert, aber in welchem Land herrscht diesbezüglich Gerechtigkeit?

„Das Ausmaß des gesellschaftlichen Ertrags gerecht zu verteilen“, von wem stammt dieser Spruch? Nur die Eingeweihten ahnen es: Es ist Karl Marx!
Das ist freilich wieder etwas, worüber man getrennt diskutieren muss. Wir wollen doch nicht gleich alle Probleme auf einmal lösen.

Ich will zum Punkt kommen: Jeder arbeitet nur, um etwas zu verdienen. Alle müssen etwas tun, wenn sie darauf angewiesen sind, Geld zu verdienen. Freiwillig Tätige, die unbezahlt arbeiten, möchten sich damit Anerkennung verdienen.
Freiwille Tätigkeit bei der Feuerwehr als Beispiel und Nachweis für das Herrschen von ethischen Zuständen im Kapitalismus würde ich nicht gerade als Beleg dafür ansehen.

Unternehmer unternehmen nur etwas, weil sie sich einen Erfolg davon versprechen. Auch und vor allem einen finanziellen. Aber auch einen imagemäßigen. Als Selbständiger steht man (lt. Maslowscher Bedürfnispyramide) an der Spitze der Erfüllung aller möglichen Bedürfnisse. Ob man deswegen dann gleich von einem glücklichen Unternehmerdasein sprechen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Unternehmer neigen dazu, darüber zu lamentieren, dass sie unendlich viel Arbeit, Stress und Sorgen haben. Auch Urlaub ist nicht drin. Sie erwarten, dass sie dafür bedauert werden. Aber auch das ist eigentlich ein selbstgewähltes Schicksal, das man abwenden kann. Unternehmer sind in der Regel fachlich sehr kompetent. Sie müssen nicht Unternehmer sein. Sie können einen wertvollen 40-Stunden-Job annehmen. Man wird nicht dazu gezwungen, Unternehmer zu sein.

Bedauerlich ist es, wenn sich Unternehmer selbst ausbeuten. Es ist sicher schwer, sich aus solcher meist allmählich gewachsenen Umklammerung wieder zu befreien. Aber am Ende ist auch das ein selbstgewähltes Los.

Ich habe auch die Ansichten von Kollegen noch im Ohr: Wer nie selbstständig war, weiß nicht, was Selbständigkeit bedeutet. So einer ist auch als Ratgeber falsch am Platz. Selbstständig zu sein oder gewesen zu sein, ist noch lange kein Nachweis für Kompetenz, sondern eher einer für Selbstüberschätzung, wenn man deswegen besondere Fähigkeiten für die Beratung anderer zu haben glaubt.

Ist es Oberlehrerhaft, wenn man bestimmte Behauptungen aufstellt oder anderen widerspricht? Natürlich nicht! Wir brauchen den Diskurs. Vermutlich haben unsere körperbehaarten Vorfahren einst am Baum auch darüber diskutiert, ob es wohl besser sei, oben zu bleiben, oder sich runter zu wagen.

Ansichten zu verkünden oder abzulehnen liegt uns „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ (diesen Ausdruck habe ich als ehemaliger Gerichtssachverständiger immer parat) in den Genen. Im Übrigen ist diese Grundhaltung ein recht passables Beurteilungsmodell, mit dem man meist unfallfrei durch den Alltag kommt.

Damit zum Thema Kapitalismus:
Die wesentlichen Zusammenhänge des kapitalistischen Systems hat eben jener schon zuvor genannte Wissenschaftler analysiert und dargestellt.

Das marxistische Weltbild ist eines, das sich ihm damals dargeboten hatte. Er hat den Kapitalismus nicht erfunden, sondern analysiert. Was an dieser Analyse falsch sein soll, müsste erst bewiesen werden. Marx war ein vielseitiger, epochaler Denker seiner Zeit, dessen Reputation von der globalen Geisteswissenschaft bis heute nicht bezweifelt wird.

Es macht daher keinen schlanken Fuß, wenn man ihm posthum all jenes unterschiebt, was die ihm nachgefolgten Kommunisten an Unheil angerichtet haben. Die meisten Kritiker begnügen sich damit, nur den Namen Marx anzuführen, um damit schon eine diffuse Abneigungsreaktion erzeugen zu können. Weil eben von unbedarften Menschen (die auch nie eine Zeile von ihm oder über ihn gelesen haben) Marx als Synonym für die Gräueln der Zeit in der Sowjetunion oder Anderswo untrennbar verbunden werden soll.

In der Welt der Wissenschaft stehen vorhandene Theorien, Analysen und Faktenlagen ständig am Prüfstand. Es gibt ausreichend Literatur über „Marx heute“. Kein seriöser Wirtschaftswissenschafter kann sich heute dem verschließen.

Die aktuellen Botschaften unserer Zeit versenden übrigens derzeit, nach meiner bescheidenen Meinung, Denker wie Slavoj Zizek und Byung-Chul Han (meist-gelesener Philosoph Deutschlands). Das sind die Themen unserer Zeit, das und noch ganz viel mehr davon muss uns beschäftigen.

Nicht nur nach meiner Ansicht tickt gar nicht mehr so im Hintergrund, sondern schon sehr deutlich sichtbar eine Bombe. Das Auseinanderklaffen von Arm und Reich. Da ist jede Menge an Analyse und Beratung von Wissenschaft gefragt.

Wirtschaftswissenschaft ist ein derart vielschichtiges, querschnittsbehaftetes Thema. Für das Schmieden neuer Pläne mit Auswegs-Szenario brauchen wir sie.
Aus der Zeit meines eigenen Studiums der Betriebswirtschaftslehre, (die Uni musste mich leider schon nach ganz kurzer Zeit entbehren) weiß ich noch, dass es unzählige Theorien und Methoden der Betriebswirtschaft gibt. Ab nun spreche ich also auch als Wirtschaftsfachmann. Wer bei mir nach Beratung anfragt, den erwartet Erwartetes.

Als ein Beispiel nenne ich ein zentrales Element, nämlich die alte Anreiz- Beitragstheorie. Aber auch der Kern dieser Überlegung hat schon jede Menge Kritiker, die eben zurecht anmerken, dass sie zu reduktionistisch angetragen ist. Es ist einfach, zu sagen, je höher der Anreiz, desto höher der Beitrag dafür. Das stimmt aber eben auch nicht immer. Die entsprechende Literatur dazu ist ausufernd. Ich vermute, dass viel davon sehr differenzierte Ansätze verfolgt, die versuchen, den spätkapitalistischen Zustand zu analysieren und zu vergleichen.

Vergleichen kann man alles mit allem. Bei manchem Vergleich käme ich ins Stolpern. Etwa dem, Wirtschaftswissenschafter mit Theologen zu vergleichen. Faktenbasiert mit faktenfrei fällt mir dazu ein. Und Theologie ist ja gar keine Wissenschaft.

Also zum Schluss:
Unternehmensberater sind solche, die das herrschende System gut kennen und Betriebslenkern Ratschläge erteilen, wie sie ihr Unternehmen noch gewinnbringender ausrichten können. Wenn sie den Eindruck vermitteln möchten, dass da mehr dahinter ist, dann machen sie sich größer als sie sind. Sie beraten vermutlich nicht darüber, dass wirtschaftlicher Erfolg kein Garant für Glück im Leben ist. Dafür müsste man sich anderen Ratgebern zuwenden.n

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Walter Plasil

Walter Plasil, Jahrgang 1946, geboren in München, aufgewachsen in Wien, seit 1971 in Innsbruck. Führte viele Jahre das INGENIEURBÜRO WALTER PLASIL für Technische Gebäudeausrüstung und Energieplanung und war als Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger tätig. Walter Plasil: „Ich war immer ein Vielschreiber und habe nun, nachdem meine bisherige Tätigkeit dem Ende zugeht, Zeit und Lust dazu, auch zu veröffentlichen. Mein neuer Beruf daher: „Literat.“

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