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Helmuth Schönauer
Tirolkäse
Stichpunkt

1.
Oft sind es diese kleinen Gemütsdefizite, die unser patriotisches Herz schon früh am Morgen in melancholisches Raunzen bringen, wenn wir das kleinformatige Tagblatt aufschlagen.

Ein Beispiel betrifft den Agrarbericht. So haben wir als Almland keinen Käse, den man über die Landesgrenzen hinaus kennt. Josef Margreiter, Geschäftsführer der Lebensraum Tirol Holding (Tirol-Krone 17.11.23)

Furchtbar! Wir haben keinen Käse, der uns über die Landesgrenzen hinaus berühmt macht. Dabei könnte man ohne Zutun der Holding bei einem Frühstückskaffee voller Gelächter die passende Marke präsentieren: Tiroler Wolfrisskäse!
Der Fachmann erkennt sofort die Analogie zum Vorarlberger Räss-Käse.

Warum vermarktet man nicht die Wolfsrudel, die sich auf den Tiroler Almen herumtreiben, in Gestalt eines würzigen Käses, der selbst in Brüssel noch die Fromage-Spezialisten aus ihren Abgeordnetensesseln haut?


2.
Hinter dem Käsebeispiel steckt die Hilflosigkeit, Tirol als Marke zu etablieren, wenn man noch gar nicht weiß, für wen.

Lange Zeit hat die Vorstellung das Land überwuchert, dass es so wunderschön sei, dass man keine Sprache dafür brauche. Am ehesten konnte man diese Schönheit noch zum Ausdruck bringen, indem man den nackten Ausruf dafür verwendete: Tirol!

Wie bei vielen Produkten und Labels kommt es auf das Publikum an, wie die Marke einschlägt.

Bei der Tirol-Marke ist bis heute nicht klar, wer damit beglückt werden soll.
a) Sind es die darin Wohnenden?
b) Sind es die Anzulockenden?


3.
Einen echten Tiroler erkennt man mittlerweile daran, dass er auf Tirol pfeift. Zu lange schon wurde er mit verlogenen Werbeslogans und verunglückten Bildikonen an der Nase herumgeführt. 

Kaum hat sich der Tiroler an das eine Tirolbild gewöhnt, ist auch schon wieder die Saison vorbei und es kommt das nächste. Die Marke richtet sich offensichtlich an die weitschweifige Tourismusfläche und nicht an die Insassen dieser Marke, an die armen Schweine, die als Teil dieser Marke auftreten müssen, ob als Speck oder als Gastfreund.

Dabei wäre bei aufkeimender Frustration über den dahinvegetierenden touristischen Alltag eine Hinwendung mit Werbebotschaften an die eigene Bevölkerung höchst notwendig. Man müsste den Tiroler Käse der eigenen Bevölkerung schmackhaft machen, wie es die Volkspartei unter Weingartner in ihrer grandiosen Werbeaktion gemacht hat. Unter dem Titel Wir Tiroler hat sie massenhaft Käse unter den Wählern verkauft.


4.
Die sogenannten Tirol-Marken sollte man immer auch auf der Hinterseite anschauen. Vorne wird die Welt als eine schöne Münzansicht gezeigt, hinten jedoch steht der Wert drauf, und der liegt oft bei null.

Die Tirolmünzen sind kein griffiges Zahlungsmittel, sondern höchstens ein Sammelobjekt polierte Platte für ein paar Angestellte der Tirol Holding und ihre politischen Auftraggeber.


5.
Beispiel Illusionsförderung in der Kunst: Während vorne auf der Großleinwand mit allerhand Aufwand Film-Locations vermarktet werden, worin sich im Angesicht der Serles Bollywood-Dancing tummelt, steht hinten in den raren Romanen über Tirol eine ganz andere Wahrheit über das Land drin.

Allein die aktuellen Romane von Gstrein, Hager, Köhle und Prosser zeigen jeweils Helden, die nach dem Studium in Weltstädten in ihr Tiroler Dorf zurückkehren und fassungslos sind, wie das Sozialgefüge, die interne Kommunikation und wirtschaftliches Wuchern mit Natur-Ressourcen bis in den kleinsten Haushalt hinein entgleist sind.


6.
Beispiel Eintritt ins hochgelobte Land: Wenn du vom Süden her über das Straßennetz in das Land einrollst, siehst du als Antwort auf die faschistischen Grenz-Stelen Südtirols aus den 1930er Jahren wahlweise ein Motorradmuseum, das an die Alpenüberquerung Hannibals erinnern soll, oder ein Outlet-Center, worin Migrierende ihre Sachbezugsscheine auf Tiroler Boden in internationalem Flair einlösen können.


7.
Die Lebensraum Tirol Holding ist als Illusions-Box konstruiert. Sie befriedigt den Wunsch der Tirolernden, Entgleisungen und Auswüchse des Landes mit schönen Bildern auf TikTok-Niveau ausreifen zu lassen.

Vielleicht sollte man den Almkäse einfach TikTok nennen.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ronald Weinberger

    Aber aber, lieber Herr Schönauer,
    wozu denn die Häme. Das Tirolbild abseits jedes wolfrissigen oder anderen tirolerischen Käses wird doch durch ganz und gar Unkäsiges laufend aufpoliert.
    Zugegeben: An der Breitenwirkung dieser hochlöblichen Bemühungen mangelt es noch ein bisserl. Wird indes immer besser. Sie wissen nicht, wovon ich schwadroniere? Ich sage nur: Sch… – Sch… – Sch…! Ein „sch“-ges Dreigestirn!? Aber keine Triade (Hongkonger Zuschnitts); wo samma denn.
    Fällt der Groschen, der Cent? Na, bevor er noch auf verschneitem Tiroler Boden auftrifft, die Lösung: Tirolbilder, gar eine Tirol-Marke, vermögen sich doch vermittels diversester Methoden festzusetzen, auch solcher literarischer (!) Provenienz.
    Ein modernes, für das Heilige Land Tirol geradezu zu einem Charakteristikum sich evolviert habendes Schrifttum, von jedwedem Almtum sich fern haltend. Das gibts seit einiger Zeit. Als eine spezielle Ausprägung, eine Sonderform, des Tirolbilds; würzig, aber frei von Käsegeruch und Kasgeschmack. Ich würde für den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung jederzeit meine Hand ins Elmsfeuer legen.
    Hauptverantwortlich für diese neue Tirol-Marke – wie erwähnt, muss an seiner flächendeckenden Verbreitung noch gewerkelt werden – sind die Literaten SCHönauer, SCHöpf und SCHneitter. Ein Dreigestirn. Voila! Möge uns ihr ganz eigenes literarische Licht noch lange (er)leuchten. Schschschön wär’s!

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