Helmuth Schönauer
Suche Wohnung für künftige Parteifreunde!
Stichpunkt

In der Theorie ist der Bürgermeister von Innsbruck für alle da und steht objektiv über allen Parteien. Dennoch muss er manchmal parteipolitisch agieren, damit das Volk weiß, in welcher Partei er als Fesselballon verankert ist.

Im August 2023 lässt er mitten im Sommerloch über die Grüne Pressestelle ausrichten:

[…]
BM Georg Willi nimmt diesen jüngsten Fall zum Anlass, an die gesellschaftliche Verantwortung der Bauern zu appellieren. „Wer landwirtschaftlichen Grund verwerten will, soll ihn bitte zu einem angemessenen Preis der Stadt Innsbruck anbieten, damit – wenn schon Flächen versiegelt werden – wenigstens leistbarer Wohnraum entstehen kann. Wer viel Eigentum an Grund und Boden hat, hat auch eine Sozialpflichtigkeit gegenüber denen, die sich kaum ein Dach über dem Kopf leisten können. Die erste Adresse für Grundverkäufe muss daher die Stadt Innsbruck werden und nicht Immobilienspekulanten“, so der Bürgermeister. „Es gibt Bauern, die hier vorbildlich sind. Die sollten als Vorbild für andere dienen.“
innsbruck.gruene.at/news

Die einzige Botschaft, die aus diesem Appell herauszulesen ist, ist ein typisch grünes Argument: Wenn man politisch nichts zustande bringt, muss man moralisieren!

Wenn sich der erste Moralschauer über das Wahlvolk ergossen hat, stellen sich manche, die sich schnell im Trockenen der Logik untergestellt haben, ein paar Fragen.

– Wie stark soll die Bevölkerung, die momentan in Innsbruck ein stabiles Nullwachstum hat, wachsen?

– Kann man der Bevölkerung zumuten, den Ruf nach Wohnraum mit griffigen Zahlen zu unterlegen? Also dass Innsbruck vielleicht zehntausende zusätzliche Bewohner an die Hänge geklebt haben wird, wenn man ständig Wohnraum schafft.

– Wenn man mit Gesetzen keine Wohnraumsteuerung zusammenbringt, warum soll dann die Moral helfen?

– Der gelernte Innsbrucker weiß, dass Wohnraum immer mit Parteipolitik verbunden ist. Warum soll ein Landwirt Baugrund zu miesen Bedingungen an eine Stadt verkaufen, damit dann untereinander zerstrittene Politiker ihre Anhänger mit den Wohnungen mästen?

– Wenn die Gemeinderäte nichts zusammenbringen, weil sie nicht mehr miteinander reden, warum soll ich ihnen dann ein Grundstück verkaufen, nur damit weiter gestritten werden kann?

Die Realität in Innsbruck ist, dass allerhand Einwohner davon leben, dass sie im Laufe der Jahrzehnte Wohnungen ererbt haben. Im Volksmund spricht man diese Tatsache oft bewundernswert trocken aus.

– Was arbeitest du?
– Ich habe eine Zweitwohnung geerbt gekriegt.

In diesen Markt mit Moral hineinzustechen, ist irgendwie so infantil wie Kinder in den Gemeinderat mitzunehmen, damit sie dort beim Stillen die eigene Stimme verstärken.


Lieber Gemeinderat!

Wir wählen dich nicht wegen moralischer Presseaussendungen, sondern damit du unseren Besitz schützt, unser Lebensmodell beachtest und uns mit belastbarem Zahlenmaterial versorgst.

Also: Wie ist das mit den neuen Wohnungen und dem Wachsen der Bevölkerungszahl? Sind etwa 200.000 bzw. 300.000 geplant, oder werden sie einfach passieren, weil es der Drang nach grenzenlosem Zuzug so verlangt?

Bauern, haltet zumindest fiktiv eure Grundstücke zusammen, wie ihr es gelernt habt! In der Realität könnt ihr immer noch an die Best-Bieter verkaufen, es wird euer Schaden nicht sein.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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