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Helmuth Schönauer
Streik-Kunst
Stichpunkt

1.
Für die Bewohner jener Gegend, die in der österreichischen Bundeshymne als arbeitsfroh und hoffnungsreich besungen wird, ist Streik etwas Seltsames.

Der letzte größere Streik im klassischen Sinn fand 2003 statt, als 66 Stunden lang in Österreich keine Züge fuhren.

Damals stand der Gewerkschaftsführer Franz Verzetnitsch noch voll im Saft und konnte auf eine dickgebauchte Streikkasse hinweisen, die sich drei Jahre später als leerer Windbeutel herausstellte, nachdem die hauseigene Bank not-verkauft werden musste.

2.
Seither nimmt man das Wort Streik nur selten in den Mund, und schon gar nicht unter die Füße.

Verschwörungsforscher weisen darauf hin, dass die Impfverweigerer bei ihren Spaziergängen öfters von Streik gesprochen haben, aber niemand hielt dieses Herum-Murren für einen echten Streik.

Im Gegenteil, viele glauben mittlerweile, dass es sich beim Streik um eine Kunstform handle, um ein Genre des künstlerischen Ausdrucks, das Individuen und Massen bewegt wie ein echtes Stück Kunst.

Seit in Hollywood heuer Schauspieler und Autoren monatelang gestreikt haben, wird diese These gar noch verstärkt, zumal es auch in Österreich einen Hollywood-Streikableger gibt in Gestalt der IG Autorinnen Autoren.

3.
Diese Vereinigung bestreikt mittlerweile schon seit Monaten die Niederösterreichische Landesregierung, weil es deren Hauptfrau gewagt hat, unter dem Zwang des Proporzes eine Notregierung einzugehen.

Seit es im Land unter blaugelber Flagge eine Schwarzblaue Regierung gibt, treten die staatlich geförderten Dichter nicht mehr bei Festakten des Landes auf.

Und auch die Subventionen nehmen sie nur, wenn diese nicht öffentlich überreicht werden.

So müssen auch die Vor- und Nachlässe in NÖ künftig diskret unter der Hand geregelt werden, weil es die Psychen der Nachlassenden kränken würde, wenn sie von einer farblich durchgemischten Regierung blanke schwarze Kohle für das papierene Lebenswerk zugeführt bekämen.

Wenn also Künstler so hingebungsvoll streiken, kann es sich beim Streik wohl nur um Kunst handeln!

4.
Was ein echter Streik ist, zeigt dieser Tage ein sogenannter Warnstreik der Metaller aus der Aufzugsbranche.

Diese Warnstreiker gelten als die mächtigsten Arbeitnehmer des Landes. Denn wenn sie streiken, fährt kein Aufzug mehr, kein Schilift, keine Rolltreppe. Kurzum, die Menschen sind von einer Sekunde auf die andere immobil und gelähmt.

Um dieses lähmende Gefühl auch jenen zuteilwerden zu lassen, die sich im Auto sicher gegen alles fühlen, haben die Metaller zur Straßenblockade gegriffen und auf der Wiener Südeinfahrt Staus generiert.

Was bei den Klimaklebern noch Hysterie auslöst, lässt man den Metallern tapfer durchgehen. Denn die Einzeller in den Fahrgastzellen wissen, dass sie das Auto sofort verschrotten müssen, wenn die Metaller die diversen Hebebühnen und Förderbänder der Werkstätten bestreiken.

5.
Ein Metallerstreik ist gewiss etwas Staatstragendes, er könnte sofort in die vierte Strophe der Bundeshymne aufgenommen werden, wenn es diese gäbe.

Oder noch besser: Streik gehört in die Verfassung! Man könnte ihn gemeinsam mit den Kleingärten hineinstecken. Für die Kleingärten setzt sich nämlich jetzt schon der neue Arbeiterführer ein mit der Parole: Jedem Sozi sein Garti!
(Der ist wirklich über das Stammeln seines Namens nicht hinausgekommen.)

6.
Während politische Beobachter noch rätseln, ob es bei den heurigen Kollektivvertragsverhandlungen zu echten Streiks kommen wird, und wenn ja, ob man diese auch erkennen wird, geistern im Untergrund kleine Betriebsratsfibeln durch die Pausenräume.

Darin wird klipp und klar beschrieben, dass es sich beim Streik um ein Handwerk handelt, das ausstirbt wie die Kunst, wenn es nicht regelmäßig gepflegt wird.

Mindestens alle zwanzig Jahre soll es zu einem Reality-Streik kommen, damit man das gewerkschaftliche Handwerk üben kann, ehe es gar von der KI übernommen wird.

Der ÖBB-Streik 2003 liegt genau zwanzig Jahre zurück, höchste Zeit also, sich der alten Kunst zu entsinnen und die Streik-Sau wieder einmal durchs Dorf zu treiben.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. walter plasil

    Hallo Herr Schönauer! Also diese Satire ist Ihnen wieder gelungen. Die FPÖ Niederösterreich als Teil einer Notregierung! Weil es einen Zwang dafür gab! Und dieselbe nicht als rechtslastig, sondern als „farblich durchgemischt“ bezeichnet, köstlich! Und die Idee, Streik in die Verfassung aufnehmen, in der er ohnehin schon aufgrund der Menschenrechts-Konvention steht, ist auch originell. Und, jawohl: Nur Nichtsozis sollen Kleingartenparzellen bekommen! Da verbleibe ich mit demütigen Grüßen als ihr Walter Plasil.

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