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Helmuth Schönauer
Sich selbst stopfende Löcher
Stichpunkt

1.
Allmählich wird die Lage im Schi-Universum überschaubar: Kassen, Pisten und Krankenhäuser sind voll. Alle sind happy. Manches Personal wünscht sich schon ein Ende der Saison herbei, so müde ist es.

Wer kann sich noch erinnern, wie im Dezember ein großes Loch am Arbeitsmarkt die Saison bedroht hat? Keine Köche und Kellner weit und breit! Und das alles nur, weil die Regierung im Osten dem Westen keine zusätzlichen Kontingente an billigen Arbeitskräften zur Verfügung gestellt hat.

Außenstehende (also nicht auf dem Schi Stehende) schauen relaxed auf diese Jammerei, die regelmäßig mit dem Anwerfen der Schi-Kanonen einsetzt. Noch in jedem Jahr nämlich hat sich das Loch an Arbeitskräften von selbst gestopft.

2.
Die geheime Macht, die alles gut werden lässt, heißt Realität. Wenn niemand in der Küche steht, gibt es eben nichts mehr, wofür man einen Koch braucht. Wenn niemand die Betten überzieht, muss man sich eben im Schi-Dress aufs Lager werfen. Wenn niemand mehr die Hand fürs Trinkgeld aufhält, muss man als Gast trinkgeldlos die Bude verlassen.

Selbst die Flaschenhälse für eine geglückte Saison, die jeweiligen Kreisverkehre an den Taleingängen, haben sich noch jedes Wochenende überreden lassen, den Verkehr zu bewältigen.

Die Erfolgsformel des Tourismus ist überzeugend. Zuerst wird eine Richtzahl aufgebaut, die sich jemand ausdenkt und an die Presse weitergibt. Dann baut man vorsorglich Sündenböcke ein, die man vorschiebt, wenn es einmal mies laufen sollte, und schließlich verweist man auf das schöne Liebesgedicht von Erich Fried: Es ist, was es ist!

3.
Freilich stopfen sich nicht alle Löcher am Arbeitsmarkt so elegant wie im Tourismus. Jeden Tag ist irgendein Pflegeheim in den Nachrichten, weil es seine Dienste herunterfahren muss.

Pflege: Nur noch einmal wöchentlich Duschen möglich.
Seit sechs Monaten können beim Krankenpflegeverein Bludenz zwei Vollzeitstellen nicht besetzt werden. Deshalb müssen Leistungen eingeschränkt werden. So können etwa Patientinnen und Patienten nur noch einmal pro Woche geduscht werden.

red, vorarlberg.ORF.at 22.1.24

Aber auch hier schreitet die Realität unbarmherzig ein. Das eine sind die Richtzahlen, nach denen eine genormte Pflege zu geschehen hat, das andere ist die Schwerkraft der Verhältnisse. Wer seltener gewaschen wird, muss länger in seinem eigenen Saft schmoren.

An dieser Stelle sollten wir älteren Jahrgänge uns darauf einstellen, dass nicht nur der Tod unausweichlich ist, sondern dass davor auch härtere Zeiten kommen, die man mit Versicherungen und Vorsorgemaßnahmen nur bedingt abfedern kann.

Weil es im Tourismus so schön ist, glauben viele von uns, dass die Pflege ähnlich abläuft wie in einem Hotel. Die Realität sagt freilich Nein, das Gedicht vom Erich Fried sagt auch zum Unglück: Es ist, was es ist.

4.
Ein unangenehmes Loch, das vor allem im Osten des Landes in dieser Saison Furore macht, trifft auf die ÖBB zu. Auch sie haben zuerst einmal Richtzahlen herausgegeben, in Gestalt eines Fahrplans, den niemand einhalten kann.

Die Realität hat gegen diese schönen Zahlen, die offensichtlich für die Ausschüttung von Boni gebraucht werden, knallhart reagiert. Die Realität hat Züge kaputt gemacht, Lieferketten unterbrochen und dem Personal diverse Grippewellen geschickt.

Den Passagieren, die jetzt eingezwängt in den Garnituren stehen, wird als fröhliche Durchsage vermittelt: Zug-Fahren ist wie Schifahren, nur eben auf Schienen statt auf Schiern.

Spätestens im März soll auch dieses Loch im Fahrplan wie von selbst wieder gestopft sein. Bis dahin ist es, was es ist.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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