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Helmuth Schönauer
Hilfe, ich bin getriggert!
Stichpunkt

„Trigger können sehr unterschiedlicher Natur sein. Alles, was einen an irgendeinen Aspekt eines Traumas (bewusst oder unbewusst) erinnert, kann als Trigger fungieren. Hierzu gehören zum Beispiel Orte, Gefühle, Gerüche, Personen, ja sogar Jahres- und Tageszeiten.“ (Netz-Ratgeber)

In zeitgenössischen Kreisen diskutiert man – wie zu jeder Gegenwart – die Frage, ob die psychischen Schäden der Menschheit zunehmen, wenn die Welt geschädigt ist? Oder ob der Mensch nicht umso menschlicher wird, je kaputter seine Umwelt ist?

Je nach Denkart verlangen daher die einen von der Literatur möglichst brutale und ungeschminkte Wortwahl, um die Lesenden realistisch mit der Welt vertraut zu machen. Sie sollen durch Lektüre stabil und abgehärtet werden. Die anderen hingegen machen sich verbal in die Hose und stoßen sogenannte Triggerwarnungen aus, weil ja jedes gelesene Wort einen Schock auslösen könnte.

Zu trauriger Berühmtheit im Verlagswesen hat es dabei wieder einmal der lange von Osttirolern engstirnig geführte Haymon Verlag gebracht, der quasi zu jeder von Figuren formulierten Fügung eine Warnung hinzufügt nach dem Motto: „Achtung! Haymon kann Ihre Dummheit zum Glänzen bringen!“

Als Urvater der Triggerei gilt der ehemalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, der eines Tages pressewirksam damit begonnen hat, die Stufenkanten der U-Bahntreppen gelb einzufärben, damit die Seniorinnen sähen, wo sie hintreten.
Tatsächlich ist heute noch die Bevölkerung auf Bahnsteigen und in Treppenhäusern besonders vorsichtig und dem Zilk dankbar, wenn sie einen gelben Strich sieht.

Dem Bürgermeister selbst blieb leider die wichtigste Triggerwarnung seines Lebens versagt, sodass er eine Briefbombe öffnete, weil er dachte, es handle sich um Literatur. Ihm wurden ein paar Finger zerfetzt, weil es die Haymonsche Triggerwarnung noch nicht gab, wonach Lesen gefährlich ist.

Warnungen haben es generell nicht leicht, wenn man an Zigaretten- und Alkoholaufkleber denkt. Niemand lässt sich gern warnen, wenn ihn die Sucht gepackt hat.

Selbst die Allergiewarnungen auf den Speisekarten haben es nicht leicht, oft werden sie für das eigentliche Menü gehalten und der Kellner vergisst prompt eine Darminkontinenz in der Küche, wenn er die Pommes serviert.

Auch der Hinweis am Pissoir, wonach man die Sache sauber reinhalten soll in die symbolische Fliegenmitte der Muschel, bringt selten den gewünschten Erfolg, weil der Harndrang jede Vorsichtswarnung vergessen lässt.

Und besonders heimtückisch und wirkungslos sind sogenannte amtliche Triggerwarnungen, wenn etwa die Steuernachzahlung zugestellt wird, aber nirgends die Warnung steht: Vorsicht, ihre Steuererklärung kann Sie aufregen!

Ist der Hinweis, wonach man sich in Bussen an der Stange halten soll, wenn dieser losfährt, eine Triggerwarnung? Eine nonverbale wahrscheinlich, wie überhaupt fast alle Piktogramme Warnungen sind.

Zurück zur Warnung in der Literatur. Das ungute Gefühl bei den meisten Lesenden, die nicht Osttiroler sind, besteht darin, dass es schwer zu verstehen ist, wie etwas, das selbst eine Warnung ist, mit einer Warnung versehen werden sollte.

Das ist etwa so übertrieben, wie wenn man auf dem Beipackzettel eines Medikaments die Nebenwirkungen des Beipackzettels anfügen würde.

Literatur ist ein Beipackzettel zur Welt!

Manche Osttiroler freilich, die den Weg aus dem Bezirk hinausgewagt haben, erschrecken noch nach Jahrzehnten vor diesem mutigen Schritt in der Jugend und verlangen nach einer Triggerwarnung auf alles, was sie nicht verstehen.

So soll es in Osttirol Heimkehrerinnen geben, die als Schupsys (Schulpsychologinnen) arbeiten. Sie haben angeblich ganze Regale voller Triggerwarnungen in ihrem Fachmöbel aufgestellt. Während sie sich um die geschundene Seele der jugendlichen Patienten kümmern, blättern sie eifrig in der Fachliteratur vom Haymon, ob sie nicht eine Triggerwarnung fänden, die dem Klienten zur Heilung hülfen.

Der Haymon Verlag freilich wirbt neben seinen Warnungen zwischendurch mit durchaus raffinierten Triggern:

„Du suchst Hochspannung? Du stehst auf schnelle Verfolgungsjagden, und unerwartete Wendungen bewirken bei dir die beste Gänsehaut? Dann ist dieser Thomas-Baum-Krimi voll dein Ding. Wenn du den erstmal im Kopf laufen hast, kann der Fernseher ausbleiben, denn mehr Thrill kann dir auch die beste TV-Krimiserie nicht bieten. Melissa Modersbacher – Projektleitung“

Mit sowas fällt die Krimiabteilung des Verlags der eigenen Warnabteilung ziemlich in den Rücken.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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